Süddeutsche Zeitung

Preisverleihung:"Isch der Emmerich da drin?"

Hollywood zu Gast in Laupheim: Die schwäbische Kleinstadt vergibt einen neuen Preis an den berühmten Kino-Produzenten. Und der überrascht am Ende noch mit einer privaten Ankündigung.

Von Hannes Vollmuth

Wenn der Hollywood-Sternenkreuzer Roland Emmerich in einer schwäbischen Kleinstadt landet, um einen Preis entgegenzunehmen, muss alles perfekt sein, Hollywood-Niveau halt. Auch wenn es nur Schwaben ist. Oder gerade deshalb?

Emmerich ist für 13.30 Uhr angekündigt, frühestens. Im Laupheimer Schloss rechnen sie eher um 14 Uhr mit ihm, pünktlich sein ist ja nichts für Promis. Um 13.28 Uhr rollt eine nachtschwarze Mercedes-S-Klasse vor. Die engagierte Rentnergruppe kämpft noch auf dem Boden kniend mit der Verlegung des roten Teppichs, der in Laupheim eher lila ist. "Isch des scho der Emmerich ...", Emmerich steigt aus, "... scheiße."

Emmerich trägt Nadelstreifenanzug, kalifornische Bräune zu grauem Haar und Bikerstiefeln. Er steigt über die Männer hinweg und biegt ab in die Garderobe. Ein auch schon ergrauter Laupheimer, sein Name ist Rainer Kapellen, springt herbei, er ist der Bürgermeister. "War desch der Emmerich?" Große Aufregung. Der katholische Pfarrer kommt angelaufen. Eine Frau stolpert aus der Garderobe. Bürgermeister: "Isch der Emmerich da drin?" Die Frau: "Ja, und er will Espresso und Chicken-Salat."

Laupheim bei Ulm, 21 000 Einwohner. Lattenzäune, von der Sonne blassrot gestrahlte Kaugummiautomaten, Thujahecken, ein Gasthof "3 Mohren". Im Stadtkern, eigentlich ein Stadtkernchen, sorgt Kopfsteinpflaster für Flair. Bekanntester Laupheimer: Carl Laemmle, Mitbegründer Hollywoods, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird und der auch der Grund ist, warum Emmerich nun nach Laupheim kommt, Macher von Blockbustern wie "Independence Day" und "The Day After Tomorrow". Ein Schwabe in Hollywood, und jetzt: erster Preisträger des gerade erfundenen Carl Laemmle Produzentenpreises.

Eine halbe Stunde nach dem Kaltstart lässt sich Emmerich auf Wunsch des Bürgermeisters noch mal vors Schloss vorfahren, drei Meter. Das ZDF ist inzwischen auch da. Emmerich steigt aus dem Fond. Der Bürgermeister strahlt. Smalltalk für die Kamera. "Wir sind hier früher immer durchgefahren, als wir in die Schweiz zum Skifahren wollten", sagt Emmerich. Er ist in Sindelfingen bei Stuttgart aufgewachsen. "Durchgefahren?" Der Bürgermeister wirkt enttäuscht. "Äh, ja", sagt Emmerich, "halt vorbeigefahren."

Dann führt der Bürgermeister Emmerich über den lila/roten Teppich ins Schloss nach hinten, in den Museumstrakt. Das Museum ist der Geschichte von Christen und Juden gewidmet, ein großer Teil dreht sich um Carl Laemmle, den jüdischen Schwaben, der Hollywood miterfunden hat. 1867 in Laupheim als Karl Lämmle geboren, Sohn eines Kleinhändlers, die Mutter starb früh, mit 17 wanderte er nach Amerika aus und hieß von nun an Carl Laemmle. 1906 fing er im Filmgeschäft an, kaufte acht Jahre später in Kalifornien eine Hühnerfarm, 220 Hektar, und gründete Universal City - und damit auch Hollywood. Laemmle blieb seiner Heimat immer verbunden, obwohl er dort mitunter als "Filmjude" verunglimpft wurde. 300 Juden rettete er vor den Nazis, bevor er 1939 verstarb. Dann wurde es in Laupheim still um Laemmle.

Heute umarmt, ja: erdrückt Baden-Württemberg, Schwaben und insbesondere Laupheim seinen Sohn. Es gibt in diesem Jahr zahlreiche Ehrungen, vor allem gibt es dieses weiße Lamm für Emmerich, ein Laemmle, verbunden mit einem Preisgeld von 40 000 Euro. Wie Carl Laemmle, der 9000 Filme produzierte, und Roland Emmerich, der das Weiße Haus von Aliens in die Luft sprengen ließ, will auch Laupheim jetzt in größeren Zusammenhängen denken. Think big.

Am Nachmittag gibt Emmerich Interviews. 54 Journalisten haben ihr Kommen zugesagt. In den Pausen klackert er mit seinen Bikerstiefeln durch die gefliesten Gänge. Er sieht müde aus. Aber niemand weiß besser als er, dass es Bilder braucht. Und Emmerich ist eine Bildermaschine von Weltformat, der die Stadt Laupheim einsaugen soll, um sie größer und funkelnder wieder auszuspucken.

Um 16.50 Uhr federt der Bürgermeister herein, er hat sich eine Laupheim-Krawatte umgebunden. Es gebe ein tolles Heimatfest im Sommer, aber dies sei natürlich der Höhepunkt in diesem Jahr. "Erst haste im Kino gestaunt", sagt er, und jetzt hat er ihn in der Stadt, den Emmerich. Er denkt über eine Städtepartnerschaft mit Los Angeles nach.

Draußen vor dem Schloss hat sich eine Bürgerin postiert, mit Sitzkissen, sonst ist niemand da. Raben drehen kreischend ihre Runden über dem Schloss, dazu Wolken; ein Emmerich-Moment.

Roland Emmerich soll sich im Schlosscafé um 17.30 Uhr ins Goldene Buch der Stadt eintragen, kommt aber schon wieder zu früh. Vor dem Goldenen Buch steht eine Wand aus Kameras und Mikrofonen. Nach der Unterschrift großes Gedränge, einer schmeißt den Stadtwimpel um, eine Radioreporterin will wissen: "Wo stelle Sie des Laemmle denn hin?" Emmerich: "In die Küch." Draußen fahren Limousinen mit Gästen vor. Dazwischen Traktor-Geknatter vom Bauern nebenan.

Eine Stunde später stehen 450 Menschen vor der Tür, vor allem solche, die im Ländle weltberühmt sind, dazu die deutsche Filmgeld-Aristokratie, Verleiher-Bosse, Schauspieler. Dann Funkgerät-Knacken bei den Frauen vom Gäste-Service. "Ich glaube, wir haben Autogrammjäger, wo ist die Security?" Draußen sind aus der einen Laupheimer Schaulustigen acht Laupheimer Schaulustige geworden.

Gegen halb acht kommt Veronica Ferres, und dann beginnt die Gala, eine glitzernde Supershow, 120 000 Euro teuer, mitgestemmt von der Deutschen Produzentenallianz. Am Ende erscheint auf der Leinwand der Name "Roland Emmerich" und Laupheim schwebt einen guten Meter über dem Boden. Alle klatschen, springen auf, bis Emmerich auf die Bühne kommt: "Jetzt setzen sich erst mal alle wieder hin und beruhigen sich", sagt er. Es folgen Dankesworte, ein paar Anekdoten und die Ankündigung, seinen Lebensgefährten, der auch im Publikum sitzt, in diesem Sommer zu heiraten. Ein Laupheimer Geschichtsmoment. Wenn es einem Ort nicht an Bodenhaftung mangelt, fehlt es ihm oft an Grandezza. Für einen Moment gibt es hier wirklich beides.

Am nächsten Tag regnet es. The Day After Emmerich, der nichts zerstört hat, sondern die Laupheimer wieder hinsetzen ließ. Er war am Abend dann plötzlich weg, wahrscheinlich zurück nach Stuttgart und weiter nach LA. In Laupheim läuten am Morgen die Glocken zur Heiligen Messe in der Marienkirche. Acht Grad und Nieselregen: Alles friedlich im schwäbischen Hollywood.

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Quelle:
SZ vom 20.03.2017
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