Tschechien:Wie ein Graffito in Prag auf wundersame Weise verschwand

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Fast zwei Wochen prangte das Graffito am Brückenpfeiler, dann verschwand es. Der Mann, der es beseitigte, nennt sich "Schwerverbrecher". (Foto: dpa)

Zwei Deutsche verunstalten die Prager Karlsbrücke, der Tscheche Miloslav Černý beseitigt es - und wird dafür gefeiert. Doch wer ist Černý eigentlich?

Von Florian Hassel

Es war ein Anblick, den Miloslav Černý nicht länger ertragen wollte: ein fünf Meter breites und zwei Meter hohes Graffito in schreiend leuchtendem Blau, das zwei deutsche Touristen in Tschechiens Hauptstadt Prag am 15. Juli ausgerechnet auf einen Pfeiler der Karlsbrücke gesprüht hatten.

Die beiden 23 und 30 Jahre alten Deutschen wurden auf frischer Tat ertappt und von der Prager Polizei sofort festgenommen. Auf die Schändung nationaler Kulturdenkmäler stehen in Tschechien bis zu drei Jahre Gefängnis. In einem Eilverfahren drei Tage nach ihrer Festnahme hatten die Deutschen allerdings Glück: Sie wurden zu Geldstrafen von umgerechnet jeweils knapp 3900 Euro und der Übernahme der Sanierungskosten von nochmals gut 1500 Euro verurteilt.

Doch die Prager Denkmalschützer und andere Behörden arbeiteten langsamer als die Richter. Bei Schäden an Kulturdenkmälern müssen städtische Konservatoren der Methode zur Beseitigung ebenso zustimmen wie das Institut für nationales Erbe und Techniker der Technischen Straßenverwaltung (TSK) - das dauert. Und so kam es, dass das Graffito auch zwei Wochen später noch immer an der Brücke prangte.

Zwei Stunden später war das Graffito weg

Da beschloss Miloslav Černý, Besitzer einer kleinen Firma zur Graffitibeseitigung, auf eigene Faust zu handeln. Am 28. Juli, einem Sonntag, erschien Černý um fünf Uhr morgens mitsamt einem mit heißem Dampf arbeitenden Hochdruckreiniger an der Karlsbrücke. Zwei Stunden später war das Graffito weg. Ebenso wie Černý. Und die Prager fragten sich: Wer ist der Graffito-Robin-Hood?

Drei Tage darauf folgte die Auflösung: Černý meldete sich bei der Polizei und informierte sie über seine eigenmächtige Aktion. Prags von der Piraten-Partei gestellter Bürgermeister Zdeněk Hřib, der das Graffito der beiden Deutschen zuvor als "totale kulturelle Barbarei" verurteilt hatte, schlug nun vor, die Stadt solle Černý dafür bezahlen. Der Bürgermeister lud Černý zu einem Workshop über effektivere Graffiti-Beseitigung ins Rathaus. Černý wurde mit Glückwünschen überschüttet und sogar für staatliche Ehrungen vorgeschlagen - eine Ehre, die "ich nicht verdient habe", wie er in einem Interview bekräftigte.

Tatsächlich stellte sich bald heraus: Černý, 49 Jahre alt, ist ein verurteilter Doppelmörder. Im März 2000 hatte er in Prag seine von ihm getrennt lebende, sich damals in Scheidung befindende Frau und deren neuen Lebensgefährten getötet. Ein Gericht hatte ihn sodann zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, Tschechiens Oberstes Gericht reduzierte die Strafe später auf 17 Jahre. Nach elfeinhalb Jahren im Gefängnis, wo der verurteilte Mörder Bildungskurse belegt und zuletzt im Fernstudium Theologie an der Prager Karlsuniversität studiert haben will, wurde Miloslav Černý im Jahr 2012 schließlich entlassen.

Černý wohnte weiter in Prag, später auch einige Jahre in England, wo er laut seiner Schilderung von einer Familie von Angehörigen der Heilsarmee aufgenommen wurde. Erst wusch er Autos, später betreute er Obdachlose bei einer karitativen Organisation. Schließlich begann er, Graffiti zu beseitigen - eine Tätigkeit, die er nach seiner Rückkehr nach Prag mit einer eigenen Firma fortführte.

Die ethische Dimension der Graffiti-Beseitigung

Er verdiene nicht, gerühmt oder gar für Belohnungen vorgeschlagen zu werden, betonte er nun. "Ich bin ein Schwerverbrecher, der in seinem Leben einen Doppelmord begangen hat, und ich bin dafür voll verantwortlich. (...) Ich bin zu Recht dafür verurteilt worden. (...) Und ich muss in meinem Leben mehr tun als nur im Rahmen des Gesetzes leben. Denn ich kann den Verlust, den ich verursacht habe, nicht wiedergutmachen. (...) Ich habe eine große Schuld gegenüber der Gesellschaft", sagte Černý in einer Art Lebensbeichte dem Infodienst Idnes.

Graffiti-Beseitigung habe auch "eine ethische Dimension", so meinte er. Seine neue Lebensgefährtin kenne seine Vergangenheit übrigens ebenso wie seine Mitarbeiter. Es sei nicht leicht, vor die Kamera zu treten und zu sagen: "Hey, ich bin ein Doppelmörder." Und doch: "Ich bin keine Berühmtheit und keine Person, die Lob verdient hat."

Prags Bürgermeister Zdeněk Hřib bekräftigte sodann im tschechischen Fernsehen, dies ändere nichts an der Gegenwart. "Herr Černý hat seine Strafe verbüßt und nützt gegenwärtig der Gesellschaft." Und so kam Černý am vergangenen Montag wie eingeladen dann doch ins Rathaus und stellte dem Bürgermeister zusammen mit anderen Experten die besten Methoden zur schnellen Schmierereien-Reinigung vor. Wichtig sei es, schnell zu handeln, betonte er: Warte man zwei Wochen, wie es die städtischen Experten getan hätten, fresse sich die Farbe tief in die Oberflächen ein und sei am Ende noch schwerer zu entfernen.

Allerdings sind auch nach Černýs Hochdruckbehandlung noch leichte Spuren des Graffito am Pfeiler der Karlsbrücke zu erkennen. Der ursprünglich von der Straßenverwaltung beauftragte Restaurator hat noch bis zum 15. August Zeit, um das Graffito der beiden Deutschen wirklich restlos vergessen zu machen.

© SZ vom 07.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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