Süddeutsche Zeitung

Vier Tote im Oberlinhaus:"Es ist ein schwerer Tag für Brandenburg"

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In einer Potsdamer Wohnstätte für Behinderte werden vier Menschen getötet, eine Frau ist schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft beantragt Haftbefehl gegen eine Mitarbeiterin des Oberlinhauses.

Von Jan Heidtmann, Potsdam

Das kleine Blumengebinde und die sechs weißen Rosen liegen bereits seit dem frühen Morgen vor dem Fenster der Pflegestation des Oberlinhauses. Irgendjemand muss sie noch im Dunkeln abgelegt haben. Im Laufe des Tages kommen dann immer mehr Menschen an der viel befahrenen Straße vorbei, manche bringen ganze Kränze mit. Sie sind das greifbare Gegenstück zum Bild der brennenden Kerze, das die diakonische Einrichtung auf ihre Webseite gestellt hat, "Trauer im Oberlinhaus" steht darüber. Der Donnerstag ist ein schwerer, grauer Tag in Potsdam-Babelsberg.

Nach allem, was bisher bekannt ist, sind hier am späten Mittwochabend vier Menschen gewaltsam und auch brutal getötet worden, eine Frau wurde schwer verletzt. "Eine schreckliche Nachricht, ich bin schockiert", erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Donnerstagmorgen, "es ist ein schwerer Tag für Brandenburg."

Polizei und Staatsanwaltschaft haben eine Nachrichtensperre verhängt, die Journalisten wurden aufgefordert, die nähere Umgebung des Tatorts zu verlassen. Dort stehen am Vormittag noch zwei Busse der Polizei, einer davon gehört zur Spurensicherung.

Die vier Toten und die Schwerverletzte im Alter zwischen 31 und 56 Jahren waren nach Angaben des Oberlinhauses langjährige Bewohner in der diakonischen Einrichtung. Zwei von ihnen haben dort seit ihrer Kindheit gelebt, sagte Tina Mäueler, Bereichsleiterin Wohnen in den Oberlin Lebenswelten, der Deutschen Presse-Agentur. Die Tat fand im Thusnelda-von-Saldern-Haus statt, einer speziellen Einrichtung für Menschen, die wegen ihrer körperlichen Einschränkung kaum selbständig leben können.

Nach Mitteilung der Polizei wurden sie in unterschiedlichen Krankenzimmern getötet. "Die Verletzungen aller Opfer sind nach bisherigen Erkenntnissen auf schwere äußere Gewaltanwendung zurückzuführen", heißt es. Die Tatwaffe soll ein Messer gewesen sein.

"Die Arbeit muss weitergehen"

"Dringend tatverdächtig" ist eine 51-jährige Mitarbeiterin des Oberlinhauses, die festgenommen wurde. Am Donnerstagnachmittag beantragte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen Totschlags. Der Tatvorwurf kann auf Mord erweitert werden, falls Mordmerkmale wie niedere Beweggründe oder Heimtücke erfüllt sind. Das Motiv für die Tat ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft bislang jedoch unklar.

Nach Informationen des Berliner Tagesspiegels war die Frau am Mittwochabend nach Hause gekommen und hatte ihrem Mann gesagt, sie habe Menschen getötet. Die daraufhin alarmierte Polizei sei dann um kurz vor 21 Uhr am Tatort gewesen. Eine Mordkommission der brandenburgischen Polizeidirektion West unter Leitung der Potsdamer Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen.

Das Oberlinhaus ist eine diakonische Einrichtung mit mehreren Standorten rund um Potsdam und Berlin sowie in Wolfsburg. Seit mehr als 150 Jahren werden hier Menschen mit Behinderungen betreut. "Unsere Anteilnahme gilt auch den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern, die nun mit dem Verlust leben müssen und unseren Kolleginnen und Kollegen im Thusnelda-von-Saldern-Haus der Oberlin", schreibt die Einrichtung.

Der theologische Vorstand Matthias Fichtmüller erklärte auf einer spontan anberaumten Pressekonferenz im Rathaus: "Das hat uns die Beine weggehauen. Wir können uns noch gar nicht auf das Trauern konzentrieren. Wir müssen funktionieren." Dies mache die Situation für die Mitarbeiter des Oberlinhauses besonders schwierig. "Die Arbeit muss weitergehen. Da sind Menschen, die wären hilflos, wenn wir jetzt einfach runterfahren würden." Doch bereits am Abend soll es in der nur einen Steinwurf entfernten Oberlinkirche eine Gedenkandacht geben. In zwei Wochen sei ein Gedenkgottesdienst geplant.

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