Post vom Finanzamt für Babys:Sehr geehrter Herr Neugeborener

Schon der erste Brief, der jeden deutschen Bundesbürger schon wenige Wochen nach der Geburt erreicht, ist eine Enttäuschung. Mit dem Schrieb bekommen Babys vom Bundeszentralamt für Steuern eine Nummer zugeteilt. Dabei gäbe es wirklich nettere Alternativen.

Evelyn Roll

Man ist ja auf den Knien seines Herzens, wenn so ein Neugeborenes da und gesund ist, alles dran, alles perfekt, sogar zwanzig winzig kleine, wohlpositionierte Finger- und Fußnägelchen. Und wie sich dann nach und nach der Bau- und Lehrplan zur Menschwerdung erfüllt. Wie das Kind alles irgendwann einmal zum ersten Mal kann und macht. Ein Wunder.

Mama und Papa schreiben solche Daten und Ereignisse in sehr schöne Baby-Bücher und schicken den Großeltern Fotonachrichten von diesen kleinen, festlichen Momenten: Zum ersten Mal an Papas Finger gesaugt. Zum ersten Mal nach der Rassel gegriffen. Heute sind seine Augen zum ersten Mal Mamas Hand hin und her gefolgt. Das erste Lachen. Das erste Kopfheben. Zum ersten Mal Musik hören. Zum ersten Mal nachts fünf Stunden durchgeschlafen. Der erste Brief.

Der erste Brief kommt heutzutage schon in das Glück der vierten Lebenswoche hinein. Er kommt - hurra - mit vollständigem und korrekten Namen des Kindes, an seine richtige Adresse und ist: eine Enttäuschung. Vom "Bundeszentralamt für Steuern". Betreff: "Zuteilung der Identifikationsnummer nach §139b der Abgabenordnung (AO)".

Das Baby wird in diesem Brief hoheitlich gesiezt. Und der Text geht so: "Sehr geehrter Herr, das Bundesamt für Steuern hat Ihnen die Identifikationsnummer 98256135718 zugeteilt. Sie wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist lebenslang gültig. Sie werden daher gebeten, dieses Schreiben aufzubewahren, auch wenn Sie derzeit steuerlich nicht geführt werden sollten. Bitte geben Sie Ihre Identifikationsnummer bei Anträgen, Erklärungen und Mitteilungen zur Einkommen-/Lohnsteuer gegenüber Finanzbehörden immer an. Bitte geben Sie vorerst Ihre Steuernummer zusätzlich zur mitgeteilten Identifikationsnummer an . . . Beachten Sie auch die Hinweise auf der Rückseite dieses Schreibens . . . Mit freundlichen Grüßen. Ihr Bundeszentralamt für Steuern."

Das ist, auch weil der sehr geehrte Herr noch gar nicht lesen kann, etwas albern und ungeschickt und eigentlich auch mit der Würde des neugeborenen Menschen in einer aufgeklärten Zivilgesellschaft nicht wirklich vereinbar. Ein Missverständnis.

Preußischer Obrigkeitsstaats-Tonfall

Wenn sie wenigstens diese seltsame Idee, schon Neugeborene mit persönlichen Identifikationsnummern zu versehen, besser gestalten würden, ironischer, freundlicher, lebensnäher. Es wäre zum Beispiel ja schon etwas ganz anderes, wenn jedem Neugeborenen mit einer kleinen Urkunde vom Bundespräsidenten oder wenigstens vom Innenministerium feierlich eine Nummer verliehen und es bei dieser Gelegenheit von seinem Staat im Leben und in der Bundesrepublik begrüßt und willkommen geheißen würde.

Die Eltern lachen, sind sowieso anspruchslos bis zynisch, was das seltsame, und rein ökonomisch geprägte Verhältnis des aufgeblähten Fürsorgestaates zu seinen Bürgern angeht. Als wäre das Finanzamt die staatliche Instanz schlechthin. Als müsse schon ein Baby aufgeklärt werden über seine Staatsbedürftigkeit und die fatale, alles bestimmende Priorität von Finanzen und Ökonomie. Als müsse auch dieser preußische Obrigkeitsstaats-Tonfall dringend schon in die frühkindliche Prägung aufgenommen werden.

Und weil sie nicht sicher sind, wann das Baby zum ersten Mal Fettgedrucktes von Normaltext unterscheiden kann, kleben Mama und Papa den ersten Brief nicht in das Erste-Jahr-Buch, werfen ihn lieber in die ungeliebte Kiste, auf der "Steuerunterlagen" steht, und sagen: Alles gut, solange wenigstens keiner von uns verlangt, dass wir unserem Söhnchen die lebenslängliche Identifikationsnummer auf den Oberarm tätowieren lassen müssen.

Und das Baby? Schreit. Laut. Sehr laut. Trainiert seine kleinen Lungen schon mal für die spätere Eignung und Verwendung als Wutbürger.

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