Polizistenmord von Heilbronn:Schlussakt eines realen Krimis

Jahrelang jagte die Polizei im Fall der ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter ein Trugbild. Doch die wahren Hintergründe der Tat von 2007 sind fast ebenso unglaublich: Es geht um Banküberfälle, ein ausgebranntes Wohnmobil in Thüringen und Bombenbauer aus der rechtsradikalen Szene. Beate Z. könnte nun vielleicht alle offenen Fragen beantworten. Die Frau hat sich der Polizei gestellt.

Christiane Kohl, Erfurt, und Roman Deininger, Stuttgart

Würde ein Drehbuchschreiber auf die Idee kommen, die Story für einen Tatort-Krimi zu verarbeiten - sein Text würde wohl abgelehnt werden, weil der Sachverhalt zu kompliziert und vor allem auch zu unwahrscheinlich klingt. Denn es geht hier um einen Polizistinnen-Mord in Heilbronn, eine spektakuläre Ermittlungspanne der Polizei, mehrere Banküberfälle in Thüringen und eine Neonazigruppe.

Neue Spur im Heilbronner Polizistenmord

Mit Entsetzen reagierte die Öffentlichkeit 2007 auf den Tod der jungen Polizistin Michele Kiesewetter. Nun steht der Mord an der 22-Jährigen offenbar kurz vor der Aufklärung.

(Foto: dpa)

Zwei Männer und eine Frau sollen die Protagonisten der Taten sein, zu denen auch Bombenanschläge einer Gruppe von Neonazis gehören. Irgendwann waren die drei dann verschwunden, doch zwei Männer aus dem Trio tauchten jetzt wieder auf - verbrannt in einem Wohnmobil, in dem sich auch die Dienstwaffe der getöteten Polizistin wieder fand. Wer soll solch eine verworren klingende Geschichte glauben? Thüringer Polizisten und Staatsanwälte arbeiten derzeit daran, Licht ins Dunkel dieses realen Krimis zu bringen.

Für die Ermittler in Thüringen begann alles mit einem Banküberfall in Eisenach. Das war am vergangenen Freitag, als in der Stadt eine Sparkassenfiliale überfallen wurde. Die Täter flüchteten auf Fahrrädern mit etwas mehr als 10.000 Euro im Gepäck und versteckten sich dann in einem Wohnmobil. Als die Polizei auf das Wohnmobil aufmerksam wurde, das ein Kennzeichen aus dem sächsischen Vogtland trug, stach bald eine Stichflamme aus dem Wagen heraus - offenbar hatten die Männer das Wohnmobil angezündet und sich selbst getötet.

Bei der Durchsuchung des ausgebrannten Wagens fanden die Polizisten nur noch die Leichen der beiden Männer vor - es handelt sich um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zwei Männer, die schon früher mal von der Thüringer Polizei gesucht wurden. Überdies stießen die Ermittler auf ein wahres Waffenlager aus Gewehren, Pistolen und Revolvern. Darunter fand sich die spektakuläre Entdeckung: die Dienstwaffe der Polizistin Michele Kiesewetter, die im Frühjahr 2007 in Heilbronn ermordet worden war - die damals 22-jährige stammte aus dem thüringischen Ort Oberweißbach.

Hat der Mord in Heilbronn etwas mit den Thüringer Bankräubern zu tun? Sind die zwei Männer womöglich die Mörder der Polizistin? Seit vier Jahren suchen die Ermittler einer Sonderkommission "Parkplatz" in Baden-Württemberg nach möglichen Tatverdächtigen. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat nun seine Sonderkommission in dem Fall verstärkt. Die Ermittlungsgruppe sei von 15 auf 32 Beamte aufgestockt worden, sagte ein LKA-Sprecher am Dienstag in Stuttgart. Mehrere Beamte seien seit Samstag in Thüringen vor Ort.

Schüsse auf dem Festplatz

Der Fall begann am 25. April 2007. Damals hatten zwei junge Bereitschaftspolizisten ihren Streifenwagen auf der Heilbronner Theresienwiese geparkt, vermutlich für eine Mittagspause. Gegen 14 Uhr hallten mehrere Schüsse über den Festplatz. Wenig später fanden Polizeibeamte ihre Kollegen: Die 22-jährige Michele Kiesewetter lag tot neben dem Auto, ihr ebenfalls junger Begleiter hatte schwer verletzt überlebt. Vermutlich seien zwei Täter von hinten gekommen, mutmaßten die Ermittler, hätten die beiden Beamten in den Kopf geschossen und dann ihre Handschellen und Dienstwaffen mitgenommen - jene Pistolen vom Typ P 2000, die nun in Eisenach entdeckt wurden.

Der verletzte Polizist erholte sich, hatte aber jede Erinnerung an die Tat verloren. Auf der Theresienwiese hätte an jenem Abend ein Volksfest beginnen sollen, dennoch gab es keine Zeugen. Dafür gab es bald eine Spur: An dem Streifenwagen der Opfer wurde die DNS einer "unbekannten weiblichen Person" gesichert. Diese "UWP" sollte dann zwei Jahre lang in Deutschland und Österreich mehr als 100 Ermittler beschäftigen, fünf Staatsanwaltschaften und sechs Sonderkommissionen. 300.000 Euro wurden als Belohnung für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung der Frau führen. Aber die "Frau ohne Gesicht" war nicht mal im Ansatz zu greifen. Man kannte ihre DNS, ihr Blut und ihren Speichel, aber sonst kannte man nichts. Die Jagd auf das "Phantom von Heilbronn" hielt die ganze Republik in Bann.

39 Taten wurden der Frau zugeordnet, ihre DNS fand sich in einem Radius von 400 Kilometern auf angebissenen Keksen, aufgestemmten Haustüren und Drogenspritzen. Doch das Bild wurde nicht klarer: 1993 schien das Phantom in Idar-Oberstein eine Rentnerin erdrosselt zu haben, und 2001 in Freiburg einen Frührentner erwürgt. Aber die brutale, offenbar teuflisch raffinierte Serientäterin schien auch an einer Disco-Schlägerei im oberösterreichischen Linz beteiligt gewesen zu sein, bei der Zeugen nur Männer gesehen hatten. Dann hatte sie offenkundig beim Einbruch in eine Schule im Saarland gemeinsame Sache mit Zwölfjährigen gemacht. Die Jugendlichen beteuerten, da sei keine Frau gewesen.

Im März 2009 war das Rätsel um das Phantom dann gelöst, nicht aber das um die Mörder von Heilbronn. Die Polizei musste eine der größten Ermittlungspannen der Nachkriegszeit eingestehen: Die DNS-Spur stammte von einer 71-jährigen Dame aus Bayern, die in der Firma arbeitete, in der die Wattestäbchen der Polizei abgepackt worden waren. Die Kriminaltechniker hatten die Spuren mit verunreinigter Watte aufgenommen - die UWP hatte es niemals gegeben.

Nach dem Brand in dem Wohnmobil suchte die Polizei nun wieder fieberhaft nach einer Frau: nach Beate Z. Sie war aktenkundig geworden, als sie in den 1990er Jahren gemeinsam mit zwei Kumpels in der rechtsradikalen Gruppe "Heimatschutz Thüringen" aktiv war. Das Trio, zu dem auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehörten, baute Rohrbomben. Ein Bombenkoffer wurde 1997 vor dem Theater in Jena deponiert - die Bombe war funktionstüchtig, nur der Zünder versagte, deshalb blieb die Katastrophe aus.

Nach Hausdurchsuchungen wurden die drei Tatverdächtigen seinerzeit ausfindig gemacht. Doch sie verschwanden irgendwann so spurlos, dass böse Zungen behaupteten, das Trio könnte behördliche Fluchthilfe bekommen haben - womöglich vom Thüringer Verfassungsschutz, der die Heimatschutz-Gruppe infiltriert haben soll, wie die sächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei Kerstin Köditz berichtet. Jahrelang gab es keine Spur von den Dreien, 2003 wurden ihre Taten für verjährt erklärt. Erst durch den Bankraub in Eisenach machten sich Mundlos und Böhnhardt nun wieder bemerkbar.

Am Dienstag schließlich stellte sich die gesuchte dritte Person des Verbrecher-Trios, Beate Z., zusammen mit einem Anwalt den Behörden. Sie hatte mit den beiden Männern in einem Haus in Zwickau gewohnt, womöglich schon seit Jahren, ohne dass die Behörden eine Ahnung hatten, wer sie waren. Das Haus war am Freitagnachmittag explodiert. Die Frau sei mit den Worten "pass mal auf meine Katze auf", aus dem Haus gerannt, und habe seiner Tochter das Tier in den Arm gedrückt, sagte ein Nachbar. Dann verlor sich die Spur der 36-Jährigen - bis sie sich nun stellte. Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger hält diesen unglaublichen Fall nun für aufgeklärt.

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