Süddeutsche Zeitung

Polizeigewalt:Schläge im Namen des Gesetzes

Die Polizei klagt über die vermeintlich zunehmende Gewalt gegen Beamte. Aber es gibt auch Gewalttäter in Uniform - und eine Polizei, der die Fehlerkultur fehlt.

Ein Gastbeitrag von Joachim Kersten

Beginnen wir mit der guten Nachricht: Verglichen mit anderen Ländern genießt die Polizei in Deutschland im hohen Maße das Vertrauen der Bürger; noch besser stehen nur die Skandinavier da. Bei uns gibt es keine paramilitärischen Star-Wars-Krieger, anders als in Frankreich, wo die Eingreiftruppe CRS immer wieder ihren Teil zu den Gewaltausbrüchen in den Migrantenvierteln beigetragen hat. Anders als in London und Manchester würde die Polizei verhindern, dass ganze Viertel abgefackelt und Läden geplündert werden. In deutschen Städten ist sie selbst in den schwierigen Kiezen von Neukölln in soziale Projekte eingebunden. Sie will eine Bürgerpolizei sein und nicht nur die Drogentoten und Leichen von Gangschießereien beiseiteräumen, wie das die Cops in einigen US-Städten tun müssen. Und während in manchen Staaten der USA die Polizeiausbildung nach sechs Wochen beendet ist, dauert sie je nach Bundesland zwei bis fünf Jahre; Polizeiführer haben fünf bis sieben Jahre studiert.

Die schlechte Nachricht: Es passiert in Deutschland, dass ein (Ex-)Polizeichef einen Jungen gegen die Wand haut - oder der Eindruck entsteht, dass in Münchner Polizeizellen "zugelangt" wird. Auch für die Polizei sollten das sehr schlechte Nachrichten sein. Stattdessen wird von einzelnen "schwarzen Schafen" geredet, wo doch die zutreffende Bezeichnung für Polizeitäter "Widerstandsbeamter" wäre: Gewalttätige Polizisten zeigen häufig Bürgerinnen und Bürger wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt an, um deren Anzeige wegen Körperverletzung zuvorzukommen.

Man kennt in jeder Wache solche chronischen Streithansel in Uniform. Der Sheriff von Rosenheim war schon während seiner Münchner Zeit entsprechend auffällig geworden. Auch in Rosenheim lag er bald wegen trivialer Verstöße im Clinch mit Bürgern. Man wird solche Fehlbesetzungen wegen des deutschen Beamtenrechts schwer los. Man sollte sie aber keinesfalls mit der Verantwortung für das größte Flächenrevier Bayerns belohnen. Fische stinken vom Kopf her. Ein Polizeigewaltproblem entsteht meist durch unprofessionelles Management an der Spitze.

Unterscheiden muss man unterschiedliche Typen unrechtmäßiger Gewaltausübung durch Polizeibeamte. "Die" Polizeigewalt - das ist zu pauschal, das bewirkt keine Veränderung. Es gibt kompetente, hilfsbereite Polizisten, die über Jahre geduldig arbeiteten, dann aber rasten sie auf einmal aus, zum Beispiel im Umgang mit sehr schwierigen Bürgern. Mit denen hat ein Polizist nun einmal häufiger zu tun als andere Berufsgruppen. In der Ausbildung trainiert er, gelassen zu bleiben, aber es kann passieren, dass er in einer höchst aggressiven Situation die Flucht nach vorn antritt. Verfolgungsfahrten und anschließende Konfrontationen oder die Bedrohung einer Kollegin sind da hohe Risikofaktoren. Mit der Anspannung steigt auch die Gefahr einer Überreaktion.

Verhältnismäßigkeit ist ein Rechtsgrundsatz

Das kann man verstehen, zu rechtfertigen ist es nicht. Vertreter des Gewaltmonopols müssen beim Einschreiten gegen Bürger diszipliniert handeln, Verhältnismäßigkeit ist ein Rechtsgrundsatz ohne Wenn und Aber. Polizisten dürfen nicht unkontrolliert schlagen, schon gar nicht misshandeln. Wenn so etwas geschieht, geraten die Kollegen des "Ausgerasteten" oft unter enormen Gruppendruck; der Korpsgeist verhindert häufig die Aufarbeitung des Übergriffs. Weshalb wird gelogen, wieso hat man gerade weggeguckt oder war pinkeln? Situatives Fehlverhalten müsste sorgfältiger untersucht werden, damit man es besser verhindern kann. Und chronische Polizeitäter wird man härter anfassen müssen.

Es gibt Polizisten, die für gefährlichere Alltagssituationen eine besondere Hand haben. Sie gehören in einem Beruf, der gewaltlegitimiert ist, notwendig zum Personal. Sie haben nichts mit den Polizeitätern zu tun. Es handelt sich um professionelle, "coole" Experten in der Anwendung von Techniken, die einen Gewalttäter daran hindern, sich und anderen Schaden zuzufügen, auch Polizisten anzugreifen.

Ich habe solche Angriffe von verwirrten, aggressiven Menschen auf Polizisten beobachtet, ich finde solche Kollegen okay. Man braucht sie in den Städten, in den freitäglichen Saufzonen, gelegentlich auch in geschlossenen Räumen. Wer mit ihnen nachts unterwegs ist und erlebt hat, wie sie souverän und unaufgeregt eine gewalttätige Situation beenden, Gewalttäter festnehmen und am nächsten Morgen einen Suizid verhindern, der weiß, was diese Frauen und Männer leisten. Niemand sollte da vorverurteilend von "Polizeigewalt" reden.

Doch wenn die Polizei Fehler nicht analysiert, lernt sie auch nicht aus ihnen - dann lernt sie zu vertuschen, notfalls zu lügen. Ein Oberstaatsanwalt hat mir Fälle nur aus einem Bundesland geschildert. Polizisten decken schlagende Kollegen auch, weil die disziplinarischen und strafrechtlichen Konsequenzen so hart sind. Eine informelle Regelung von Konflikten, Entschuldigungen, gar Formen der Wiedergutmachung sind nicht vorgesehen. Es gibt Ansätze einer Beschwerdekultur, doch ihr fehlt die strukturelle Basis. Eine Fehlerkultur bei er Polizei? Fehlanzeige.

"Bad hair days" auch unter Polizeimützen

Die erwähnte "Flucht nach vorn" nennt der Gewaltforscher Randall Collins die gefährlichste aller sozialen Situationen - in ihr sieht er die häufigste Ursache von Polizeigewalt. Nun gibt es Spezialeinheiten, die solche Auseinandersetzungen mit hohem Gewaltpotenzial bewältigen können, dafür werden sie trainiert. Trotzdem kann auf Seiten der Polizei die Gewalt eskalieren. Diese Situationen gilt es vorwegzunehmen oder, wenn sie sich ereignet haben, genau zu analysieren. Es geht um die Rechtmäßigkeit des Handelns, in einer Zivilgesellschaft aber auch um Fairness. Zu überprüfen, ob die Polizei sich angemessen verhalten hat - das wäre die wahre Fehlerkultur. Bei uns fehlt die Kontrolle von außen, zu der auch Bürgerinnen und Bürger Zugang haben müssen, die sich von Polizisten misshandelt oder auch nur schlecht behandelt fühlen.

Wer erlebt hat, dass Polizisten falsche Anschuldigungen erheben, die sie dann durch Absprachen, de facto also durch Lügen, "rechtlich" absichern, verliert das Vertrauen in die Polizei. Ja, es gibt bad hair days auch unter Polizeimützen. Es muss aber Instrumente geben, mit denen man herausfinden kann, ob Polizisten häufig oder gar routinemäßig gegen Vorschrift und Recht verstoßen. "Widerstandsbeamte" gehören von innerhalb und außerhalb der Organisation diszipliniert. Die Polizei hat solche Charaktere nicht verdient.

Die Polizei klagt über die vermeintlich stets zunehmende Gewalt gegen Beamte. Dann aber muss sie mit der eigenen Gewalt gegen Bürger anders umgehen.

Joachim Kersten, 64, ist Professor und Fachgebietsleiter an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Er bildet die Masterstudenten der Polizei von Bund und Ländern aus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1599748
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.02.2013/vks
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.