Polizeigewalt in den USA:Tausende Tote, 54 Anklagen, elf Verurteilungen

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Nach einer Verfolungsjagd in Cleveland feuerten Polizisten 139-mal auf das Auto von Timothy Russell und Malissa Williams. Das Paar war unbewaffnet. (Foto: AP)
  • In den vergangenen zehn Jahren haben amerikanische Polizisten während ihrer Einsätze Tausende Menschen erschossen.
  • Recherchen der Washington Post zeigen, dass in lediglich 54 Fällen Anklage erhoben wurde, nur elf Beamte wurden verurteilt.
  • Drei Viertel der Todesschützen sind Weiße, zwei Drittel der Opfer sind Afro-Amerikaner.
  • Die Zahlen dürften die Debatte über brutal und häufig rassistisch handelnde US-Polizisten weiter befeuern.

Von Simon Hurtz

Amerika diskutiert wieder über Polizeigewalt

Am 4. April stoppt der Polizist Michael Slager das Auto von Walter Scott an einer Ampel in North Charleston, South Carolina. Der unbewaffnete Afro-Amerikaner läuft davon, Slager schießt ihm acht Mal in den Rücken. Scott fällt mit dem Gesicht ins Gras, keiner der herbeieilenden Polizisten leistet erste Hilfe, wenig später erliegt Scott seinen Verletzungen.

Die tödlichen Schüsse haben in Amerika eine Debatte über Polizeigewalt ausgelöst. Besser gesagt: Sie haben eine Debatte neu entfacht, die seit Monaten geführt wird. Im vergangenen Juli starb der asthmakranke Eric Garner, nachdem ihn ein Polizist im Würgegriff gehalten halte. Keinen Monat später wurde Michael Brown in Ferguson erschossen, im November kam der 12-jährige Tamir Rice ums Leben, nachdem ein Polizist das Feuer auf ihn eröffnete. Tamir hatte in einem öffentlichen Park mit einer Softair-Pistole gespielt.

Slager wurde angeklagt - das ist selten

Der Tod von Walter Scott ist also kein Einzelfall. Und doch ist er eine Ausnahme. Ein Augenzeuge hat den Vorfall mit seinem Smartphone gefilmt, außerdem gibt es ein Dashcam-Video der Kamera im Streifenwagen. Polizeipsychologen sehen " absolut keine Rechtfertigung für diese Schüsse", Slager wurde bereits aus dem Dienst entlassen und wegen Mordes angeklagt.

Das kommt selten vor. Um genau zu sein: 54-mal in den vergangenen zehn Jahren. Journalisten der Washington Post haben gemeinsam mit dem Kriminologen Philip M. Stinson Tausende Seiten Gerichtsakten ausgewertet, mit Dutzenden Anwälten und Verteidigern gesprochen, Polizisten befragt und Angehörige von Opfern interviewt. Das Ergebnis ihrer Recherchen lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Wenn amerikanische Polizisten Menschen erschießen, müssen sie nur wenig Angst vor Strafverfolgung haben.

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Tausende Polizeieinsätze endeten mit tödlichen Schüssen

Beim FBI gibt es zwar eine Datenbank mit diesen Fällen, doch die lokalen Polizeibehörden sind nicht verpflichtet, sie aktuell zu halten. Klar ist, dass es seit 2005 Tausende Polizeieinsätze gab, die damit endeten, dass ein Beamter schoss und ein Mensch starb. Und klar ist auch, dass sich nur in den seltensten Fällen ein Staatsanwalt findet, der Anklage erhebt. "Um einen Polizisten nach Todesschüssen anzuklagen, muss etwas derart Ungeheuerliches vorgefallen sein, dass man es nicht mehr rational erklären kann", sagt Kriminologe Stinson. "Und obendrein müssen die Ankläger bereit sein, ihren Ruf zu riskieren."

Ohne "zwingende Beweise", dass das Opfer zum Zeitpunkt der Schüsse keine Gefahr für Polizisten oder umstehende Zivilisten dargestellt habe, würde niemand eine Anklage wagen, geben laut Washington Post sogar Staatsanwälte selbst zu. 43 der 54 Fälle, die vor Gericht landeten, erfüllten mindestens eines, häufig mehrere der folgenden Kriterien: Das Opfer wurde in den Rücken geschossen, andere Polizisten beschuldigten ihren Kollegen oder es existierte ein Video des Einsatzes.

Es sind Fälle wie der Tod der 92-jährigen Afro-Amerikanerin Kathryn Johnston - so eindeutig, dass eine Anklage alternativlos ist. Bei einer Drogenrazzia in Atlanta irrten sich Polizisten im Haus und brachen ihre Eingangstüre auf. Johnston feuerte mit einem alten Revolver einen Warnschuss ab - die Polizisten antworteten mit 39 Schüssen. Anschließend versuchte einer der Beamten, den Einsatz zu rechtfertigen, indem er nachträglich Marihuana im Keller von Johnston platzierte. Der Vertuschungsversuch flog auf, die beiden Polizisten wurden angeklagt und zu Haftstrafen von sechs beziehungsweise zehn Jahren verurteilt.

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Die Schützen sind überwiegend weiß, die Opfer schwarz

Das sind ungewöhnlich harte Strafen für Polizeibeamte. Richter würden die Gesetzeshüter normalerweise als "die gute Seite" sehen, sagt David Harris, ein Juraprofessor aus Pittsburgh. "Sie davon zu überzeugen, dass ein Polizist auch mal der Böse sein kann, widerspricht ihren Überzeugungen." Von den 54 angeklagten Beamten wurden nur elf schuldig gesprochen, 19 Verfahren laufen noch.

Die Recherchen der Washington Post machen noch eine weitere Tendenz deutlich: 43 der 54 Todesschützen sind Weiße, aber nur 14 der 49 Opfer. Polizisten weisen Rassismus-Vorwürfe zurück und Staatsanwälte beteuern, dass die Hautfarbe bei ihren Ermittlungen keine Rolle spiele. Dennoch passen die Zahlen zu Erhebungen wie der von Pro Publica, einer amerikanischen Non-Profit-Organisation für investigativen Journalismus. Demnach werden schwarze Teenager 21-mal häufiger von Polizisten getötet als weiße Jugendliche. Die seit letzter Woche andauernden Proteste von Afro-Amerikanern dürften durch den Bericht der Washington Post jedenfalls nicht leiser werden.

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