Polizeigewalt:Strategie der ausgestreckten Hand

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Er schaffte unübersichtliche Führungsstrukturen ab und richtete ein Beschwerdemanagement ein. Dort konnten Polizisten Übergriffe von Kollegen melden oder Mobbing. Es kam, wenn auch selten, zu Anzeigen von Polizisten gegen Polizisten. "Wenn es solche Vorgänge gab, hat Glietsch nicht gewartet, bis sie über irgendwelche anderen Kanäle bekannt wurden, sondern ist mit offenem Visier angetreten", erinnert sich der langjährige Innensenator Ehrhart Körting.

Dass Polizisten wegen Körperverletzung verurteilt wurden, blieb trotzdem selten. Wichtiger aber war es, meint Körting, junge Polizisten zu ermutigen, offen mit eigenen Fehlern umzugehen. Die Handygesellschaft tat ihr Übriges. Kaum ein Fußtritt bleibt ungefilmt bei Demonstrationen, Berliner Einsatzpolizisten sind inzwischen durch Nummernschilder identifizierbar. Der größte Erfolg der Deeskalation lässt sich jedes Jahr am 1. Mai in Kreuzberg besichtigen. Statt wilder Straßenschlachten gibt es nur noch vergleichsweise harmlose Scharmützel. Auch, weil die Polizei lieber ein paar Mülltonnen brennen lässt, als die Stimmung anzuheizen. Die "Strategie der ausgestreckten Hand" wird längst in anderen Bundesländern kopiert.

Vorfälle wie der Faustschlag von München werden auch unter anderen Polizisten kritisch diskutiert. Gegenüber Journalisten allerdings bleiben Beamte, die einen fatalen Korpsgeist beklagen, lieber anonym. Da berichten sie, wie schwer es ist, ruppige Kollegen zu mäßigen oder zu melden. "Letztlich besteht immer das Problem", sagt Kersten, "dass die Beamten in der Kollegenschaft in einer schwierigen Situation sind, wenn sie einen Fall beobachtet haben, wo eine Sache aus dem Ruder gelaufen ist. Deshalb wäre es wohl klug, eine Ansprechstelle außerhalb einzurichten."

Gerade bereiten in Hessen SPD und Grüne, beide freilich in der Opposition, nach einer Reihe von Beschwerden einen Gesetzentwurf für einen Landespolizeibeauftragten vor, eine Art Ombudsmann. Amnesty verweist auf gute Erfahrungen mit einer unabhängigen Kommission in Großbritannien, die auch bei Polizisten anerkannt sei. Zu einem solchen Schritt bräuchte es in der Politik die Einsicht, dass man die Arbeit von Polizisten hinterfragen darf. "Wichtig ist, dass so etwas nicht als Aktion gegen die Polizei verstanden wird", sagt Joachim Kersten, "denn dann hätte es keinen Sinn. Es gibt viele aufgeschlossene Köpfe in der Polizei, die an Veränderung ein Interesse haben."

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