Polizei - Wiesbaden:Kriminologe Behr soll Polizei- und Bürgerbeauftragter werden

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Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr. Foto: Rafael Behr/dpa (Foto: dpa)

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Wiesbaden (dpa/lhe) - Der Kriminologe Rafael Behr soll der neue Polizei- und Bürgerbeauftragte in Hessen werden. Diesen Personalvorschlag haben die Regierungsfraktion von CDU und Grünen vorgelegt. Behr sei ein ausgewiesener Experte und verfüge sowohl über einen wissenschaftlichen als auch einen praktischen Hintergrund, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Jürgen Frömmrich, am Mittwoch in Wiesbaden. "Er ist ein Mann der klaren Worte, ausgewogener Urteile und großer Empathie." Der Personalvorschlag geht auf Initiative der Grünen zurück.

Der Bürger- und Polizeibeauftragte soll als unabhängige Instanz im Konfliktfall zwischen Bürgern und der Polizei vermitteln. Ebenfalls soll er als Vertrauensperson für polizeiinterne Auseinandersetzungen dienen. Geplant ist, dass der unabhängige Beauftragte mit einem Büro und Mitarbeitern beim hessischen Landtag angesiedelt ist. Das Parlament in Wiesbaden hatte Ende vergangenen Jahres ein entsprechendes Gesetz zur Schaffung der Stelle verabschiedet. Die Besetzung steht im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen.

Behr ist derzeit als Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg beschäftigt. Er lehrt auch am Institut für Kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie an der Universität Bochum Kriminologie und Polizeiwissenschaft. Behr ist ausgebildeter Polizist und war mehrere Jahre bei der hessischen Bereitschaftspolizei und im Polizeipräsidium Frankfurt im Einsatz. Nach seinem Studium der Soziologie und Psychologie widmete er sich der Polizeiwissenschaft.

Der Kriminologe kündigte an, sich auch in dem Amt einen kritischen Blick zu bewahren. Der Polizeibeauftragte sei keinem Ministerium unterstellt, sondern dem hessischen Landtag, sagte der Wissenschaftler der Deutschen Presse-Agentur. "Insofern glaube ich schon, dass Kritik an der Polizeiführung, an der Polizei, durchaus kompatibel ist mit dem Amt, das sich ja eher um die kümmert, die bisher noch keine Stimme hatten."

Der Polizeibeauftragte bearbeite allerdings keine Polizeiskandale wie etwa den um das Frankfurter Spezialeinsatzkommando (SEK) und sei auch nicht für strafrechtlich relevante Vorfälle zuständig, erklärte Behr. Es würden eher Stimmen derjenigen aufgefangen, die bisher kein Gehör fänden. "Es sind eher die Bereiche von Menschen, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind und die Polizisten und Polizistinnen, die sich warum auch immer ungerecht behandelt fühlen." Da zu vermitteln, sehe er als Aufgaben des Polizeibeauftragten. Dabei könne auch die Polizeiführung mit Vorwürfen konfrontiert werden.

Der Umgang von Whistleblowern müsse noch ausgelotet werden, sagte der Kriminologe zu Hinweisen aus den Reihen der Polizei. "Bis jetzt steht im Gesetz nicht drin, dass man anonym Hinweise geben kann." Es könne aber Vertraulichkeit mit Hinweisen an den Polizeibeauftragten zugesichert werden. "Aber ein Whistleblowertelefon ist nicht vorgesehen. Da muss man mal sehen, ob es solche Möglichkeiten gibt."

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich kritisch zu dem Amt. Es gebe bereits eine unabhängige Expertenkommission zur Aufarbeitung der Vorkommnisse bei der hessischen Polizei, sagte GdP-Landeschef Jens Mohrherr der Deutschen Presse-Agentur. Er befürchte eine "absolute Zerreißprobe", wenn sich nun auch noch jemand von außen mit den Problemen befasst. Die Expertenkommission war nach rechtsextremen Vorfällen beim SEK des Frankfurter Polizeipräsidiums von Innenminister Peter Beuth (CDU) eingesetzt worden.

"Die Kollegen sind verunsichert", erklärte Mohrherr. Dass der künftige Polizei- und Bürgerbeauftragte überall Zugang haben soll, werde kritisch gesehen. Viele Polizisten befürchteten, dass jemand von außen die Dienststellen "aufmischen" solle oder könne. "Das versteht keiner mehr. Da wird die Fehlerkultur ad absurdum geführt", warnte der hessische Landesvorsitzende der GdP.

Die Linke-Fraktion reagierte positiv auf den Personalvorschlag. Als ehemaliger Polizist und Wissenschaftler verfüge Behr nicht nur gleichermaßen über Praxiserfahrung und wissenschaftliche Expertise, erklärte der Innenexperte Torsten Felstehausen. Behr habe sich in den öffentlich geführten Debatten um Skandale im Polizeiapparat immer wieder ebenso fachlich wie kritisch geäußert und dabei Reformperspektiven angemahnt. Die Stelle müsse jedoch zügig mehr und "echte" Kompetenzen erhalten. Es brauche eine unabhängige Beschwerdestelle mit weitreichenden Ermittlungsbefugnissen.

Der AfD-Fraktion lehnt das Amt des Bürger- und Polizeibeauftragten ab. Der Innenexperte Klaus Herrmann sprach von einem unnötigen und teuer bezahlter Versorgungsposten. Mit dem Petitionsausschuss des Landtages und anderen Ansprechpartnern der Polizei gebe es bereits genügend Möglichkeiten für die Bürger, ihre Anliegen zu kommunizieren. Die Kritik habe aber nichts mit der Person Rafael Behr zu tun, erklärte der AfD-Politiker.

Der Personalvorschlag der Koalitionsfraktionen soll in einer der nächsten Sitzungen des hessischen Landtags mit den anderen Fraktionen debattiert und dann auch darüber abgestimmt werden. Als Beginn der Tätigkeit des Polizei- und Bürgerbeauftragten könne er sich Anfang 2022 vorstellen, sagte Frömmrich. Derartige Posten gibt es auch in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein

© dpa-infocom, dpa:210922-99-309296/3

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