Polizei - Wiesbaden:Forscher: Keine Entwarnung durch hessische Polizeistudie

Deutschland
Peter Beuth (CDU) nimmt die Ausstattung eines Polizisten in Augenschein. Foto: Boris Roessler/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Wiesbaden/Hamburg/Wellington (dpa/lhe) - Gibt es Alarmsignale für einen Rechtsruck innerhalb der Polizei? Nach einer Umfrage in der hessischen Polizei sprach Innenminister Peter Beuth (CDU) vor wenigen Tagen von Einzelfällen - wie im Fall der Ermittlungen, die die Frankfurter Staatsanwaltschaft zu einer Chatgruppe mit rechtsextremen Inhalten führt. Extreme oder extremistische politische Positionen seien der ganz großen Mehrheit der Einsatzkräfte fremd, sagte Beuth. Polizeiforscher sehen allerdings keinen Grund zur Entwarnung.

Die Frage zu rechter oder gar rechtsextremer Einstellung sei müßig, sagte der Polizeiforscher Rafael Behr von der Hamburger Akademie der Polizei der Deutschen Presse-Agentur: "Niemand will sich in die rechte Ecke stellen lassen, nicht einmal AfD-Wähler. Die erklären auch, dass sie in der Mitte der Gesellschaft stehen." Untersucht werden müsse vielmehr, wie es in Alltagssituationen aussehe und ob sich dort Hinweise auf eine Radikalisierung erkennen ließen.

Zudem hätten nur etwa 25 Prozent der hessischen Polizisten an der Umfrage teilgenommen. "Mehr als 14 000 Polizisten haben sich nicht geäußert - von denen wissen wir gar nichts", sagte Behr. "Das ist kein Super-Rücklauf, das ist mangelhaft." Bei der Polizei habe es bei anderen Umfragen ein Teilnehmer-Feedback von 70 Prozent oder mehr gegeben. "Wer wirklich was zu verbergen hat, wird den Teufel tun und auf solche Fragen korrekt antworten", sagte Behr.

Dennoch könnten interessante Erkenntnisse aus der Studie gezogen werden, etwa die hohe Wertschätzung der Kollegialität. Das könne auch gedeutet werden mit Blick auf die sogenannte "Cop Culture" in der zu internen Vorfällen geschwiegen werde. "Das sind wichtige Befunde, damit muss man umgehen."

Behr sprach sich für Polizeibeauftragte aus, die auch Ermittlungskompetenzen hätten und keine "zahnlosen Tiger" seien. "Es ist falsch, dass es fast nirgends nicht-polizeiliche Stellen gibt, an die sich Polizisten mit ihren Hinweisen anonym und vertraulich wenden können." Dies gelte für rechtsextremes Verhalten ebenso wie für Vorfälle von Sexismus oder Homophobie.

"Alles in allem geben die Ergebnisse meines Erachtens keinen Grund zur Entwarnung, was das Problem rechtsextremer Einstellungen in der Polizei angeht", meinte auch der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum, derzeit Gastwissenschaftler im neuseeländischen Wellington. Die Umfrageergebnisse zeichneten vielmehr ein sehr differenziertes Bild und müssten dringend vertieft werden.

So hätten etwa 27,6 Prozent der Befragten der Aussage zugestimmt oder eher zugestimmt, dass eine Gefahr bestünde, dass Deutschland "ein islamisches Land" wird. Und 44,8 Prozent der Befragten hätten angegeben, dass sie Probleme mit Vorurteilen in der hessischen Polizei sehen, sagte Singelnstein zu den Ergebnissen der Studie.

"Genau das sind die Punkte, an denen das Problem extrem rechter Einstellungen in der Polizei beginnt – nicht erst wenn Drohbriefe an Anwältinnen verschickt oder Nazibilder in Chat-Gruppen getauscht werden", sagte der Wissenschaftler. "Wer jetzt von Einzelfällen spricht und die Akte schließen will, der negiert, dass solche Handlungen nicht vom Himmel fallen, sondern gerade aus Ressentiments und Vorurteilen entstehen, wenn die Institution diesen nicht klar und entschieden entgegentritt." 

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