Tödlicher Unfall:Dürfen Polizisten rasen?

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Winterliche Straßenverhältnisse haben derzeit etliche Polizeieinsätze zur Folge. (Foto: Jannis Große/Imago)

Ein Polizeiauto im Einsatz kollidiert mit einem Mopedfahrer. Der Mann stirbt. Jetzt gab es in Fürth ein Urteil. Der Beamte war mit Tempo 140 in die Kreuzung gefahren.

Von Thomas Hummel

Ein Sonntagnachmittag im April 2018, ein Einsatzwagen der Polizei rast östlich von Nürnberg auf der Landstraße Richtung Ammerndorf. Weil dort in einem Supermarkt eine Tür offensteht, wird ein Einbruch vermutet, die Täter könnten noch dort sein. Der damals 30-jährige Polizeihauptmeister Björn S. sitzt am Steuer, Blaulicht und Sirene sind eingeschaltet. Hunderte solcher Einsatzfahrten hat er schon absolviert. Später wird er erklären, dass er in diesem Moment den Eindruck hatte, das Fahrzeug unter Kontrolle zu haben.

Auf den Tacho schaut er nicht. Zusammen mit seiner Beifahrerin fährt er auf eine Kreuzung zu, die Ampel zeigt Rot. Er bremst kurz, weicht einem stehenden Auto aus, tritt wieder aufs Gaspedal - plötzlich wird die Windschutzscheibe milchig und der Airbag löst aus.

Björn S. hat einen Mopedfahrer übersehen.

Der 30-Jährige war bei Grün über die Ampel gefahren, unter dem Helm und bei dem Getöse seines umgebauten Kraftrads konnte er das Martinshorn wohl nicht rechtzeitig hören. Er wird von dem Polizeiwagen von links mit voller Wucht getroffen, fliegt 40 Meter durch die Luft in ein Gebüsch und stirbt, noch bevor ein Krankenwagen eintrifft. Das Polizeiauto gerät ins Schleudern, kollidiert mit einem Wagen auf der anderen Straßenseite, dessen Fahrer wird leicht verletzt. Die Beamten überstehen den Unfall körperlich fast unversehrt.

Mit Tempo 140 in die Kreuzung

Ein Gutachten stellt anschließend fest: Björn S. fuhr mit Tempo 140 in die Kreuzung, vielleicht auch schneller. Zwar haben Polizei, Notarzt und Feuerwehr bei Einsatzfahrten ein Sonderrecht, die Regeln der Straßenverkehrsordnung gelten für sie nicht. Dennoch müssen die Fahrer verhältnismäßig handeln, dürfen also nicht andere Verkehrsteilnehmer rücksichtslos gefährden.

Deshalb wurde der inzwischen 31 Jahre alte Polizist vom Amtsgericht Fürth nun wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt, zudem muss er 5000 Euro an die Schwester des getöteten Mopedfahrers zahlen. Die Anwälte der Schwester, die als Nebenklägerin auftrat, hatten 15 Monate auf Bewährung gefordert - man dürfe Polizisten nicht anders behandeln als Normalbürger.

Das Heulen der Martinshörner hört man in Deutschland jeden Tag, wie häufig das in einen Unfall mündet, weiß hingegen niemand. Es gibt schlichtweg keine Statistik. Verkehrswissenschaftler oder Unfallforscher erklären unisono, dass den Behörden zwar Unfallzahlen vorliegen. Doch bevor sie jemand negativ interpretiert, hält man sie lieber zurück.

Das Polizeipräsidium Mittelfranken, in dessen Gebiet der tödliche Unfall vor Ammerndorf geschah, gab auf Nachfrage einen Einblick: 2017 gab es dort 248 Unfälle mit Einsatzfahrzeugen, 134-mal war die Polizei der Verursacher, 21-mal erhielten die Beamten Teilschuld. Unfälle mit kleinen Sachschäden sind inbegriffen. Die Polizei weist darauf hin, dass ihre Leute in dem Zeitraum insgesamt 19 Millionen Kilometer gefahren seien.

Hamburg deckelt die Höchstgeschwindigkeit der Polizisten

Kollisionen mit Verletzten oder gar Toten sind selten, die anderen Verkehrsteilnehmer geben zumeist den Weg frei. Rafael Behr, 15 Jahre als Polizist im Einsatz und heute Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, berichtet, dass die Kollegen in der Hansestadt laut einer Vereinbarung nie schneller fahren dürfen als 50 Prozent über der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit. Ist Tempo 50 erlaubt, sind das also höchstens 75 Kilometer pro Stunde. Fast ungebremst über eine rote Ampel zu preschen, sei ein Unding.

Behr forscht über die Verhaltenskultur innerhalb der Polizei und weiß, dass Polizisten in Stresssituationen bisweilen die Vorschriften vergessen. "Dann geht es darum, schnell am Ort zu sein. Gerade wenn Kollegen um Verstärkung oder um Hilfe rufen. Das ist eine Art Tunnelblick, der zu einer Wirklichkeitsverzerrung führt", sagt Behr.

Im Amtsgericht Fürth sagte die Beifahrerin von Björn S. aus, sie habe sich bei ihm immer sicher gefühlt. Sie glaube nicht, dass er übertrieben schnell unterwegs gewesen sei. "Wir sind zu einem Einsatz gefahren, da fährt man nun mal schnell", sagte sie. An die genaue Geschwindigkeit erinnert sie sich nicht. Der Staatsanwalt gestand dem Angeklagten zu, dass er mit der Raserei seine Pflicht als Polizist besonders gut erfüllen wollte. Allerdings habe er einen schweren Fehler begangen. Durch seine hohe Geschwindigkeit hatte der Mopedfahrer keine Chance.

Situation falsch eingeschätzt

Professor Behr berichtet, dass nach solchen Unfällen die Ereignisse im Polizeibericht oft "gerade geschrieben" werden, sie werden also so dargestellt, dass dem Beamten keine Schuld nachgewiesen werden kann. Im Fürther Fall war die Sachlage allerdings klar, Björn S. gab auch alles zu. Der hagere Mann saß bleich im Gerichtssaal und erklärte, er habe die Situation falsch eingeschätzt. Er sei danach lange nicht in der Lage gewesen, zu arbeiten, die Polizeiseelsorge habe ihn wieder halbwegs aufgerichtet. Seit Kurzem sei er wieder im Außendienst, ans Steuer traue er sich aber nicht mehr.

Am Zielort, dem Supermarkt in Ammerndorf, verpasste er an jenem verhängnisvollen Tag nichts. Die Sache mit der offenen Tür stellte sich als Fehlalarm heraus.

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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