Süddeutsche Zeitung

Korruptionsverdacht in Leipzig:Polizisten sollen beschlagnahmte Fahrräder verkauft haben

In Sachsen wurden so viele Fahrräder aus Asservatenkammern entwendet, dass die Ermittler Mühe haben, jeden Fall nachzuvollziehen. Die Verdächtigen: die eigenen Kollegen.

Von Anna Ernst

Bei den sächsischen Sicherheitsbehörden gibt es offensichtlich einen kuriosen Korruptionsfall: In Leipzig, das bundesweit als eine der Hochburgen des Fahrraddiebstahls gilt, sollen sich Beamte an gestohlenen Rädern bereichert haben. In größerem Stil sollen Fahrräder aus mindestens einer Asservatenkammer veräußert - und möglicherweise von anderen Beamten auch gekauft worden sein. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt - und die Liste der Tatvorwürfe ist lang. Sie reicht von Strafvereitelung im Amt, Diebstahl und Unterschlagung bis zu den Tatbeständen des Korruptionsstrafrechts: Vorteilsgewährung, Vorteilsannahme, Bestechlichkeit und Bestechung.

Die sächsische Morgenpost berichtete am Donnerstag zuerst von den Fällen, die seither große Empörung bei Landtagsabgeordneten von SPD und Grünen ausgelöst haben. Die Zeitung beruft sich auf einen internen Bericht der ermittelnden LKA-Sonderkommission "Ines" und spricht von 40 betroffenen Beamten und insgesamt möglicherweise 1000 illegal weiterverkauften Fahrrädern. Die Staatsanwaltschaft möchte sich zu den Zahlen aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht äußern. Eine Sprecherin bestätigt nur, dass es sich um einen "großen Komplex" handele, der enormen Aufwand mit sich bringt: "Man muss für jedes Fahrrad durchprüfen, was damit passiert ist und wer es gekauft hat", sagt sie. Das benötige Zeit.

Begonnen hatten die Ermittlungen in der Polizeidirektion Leipzig: Im Juli 2019 wurde eine Beamtin, die als Asservatenbeauftragte in der "Zentralen Bearbeitung der Fahrradkriminalität" bei der Kripo arbeitete, der Untreue beziehungsweise Vorteilsgewährung verdächtigt. Das LKA übernahm den Fall - und vermutete schnell, dass noch weitere Beamte der Kripoinspektion beteiligt gewesen sein müssen. Die Verdächtigen wurden versetzt. "Es wurde sichergestellt, dass diese nicht mehr mit der Bearbeitung und Verwertung von sichergestellten Fahrrädern betraut sind", erklärt die Polizeidirektion Leipzig dazu.

"Da fragt man sich, was womöglich sonst noch verschwindet"

Mittlerweile aber reichen die Ermittlungen noch weiter. Die Staatsanwaltschaft spricht von "zahlreichen Beamten" der sächsischen Polizei - "nicht nur der Polizeidirektion Leipzig" - die unter Verdacht stünden.

Die Angelegenheit ist eine Belastung für die sächsische Kenia-Koalition. SPD und Grüne sind verärgert, weil sie nicht vom CDU-geführten Innenministerium informiert wurden. Sie fordern schnelle Aufklärung und üben scharfe Kritik an Minister Roland Wöllner. "Es können doch nicht einfach 1000 Fahrräder aus Asservatenkammern entfernt werden, ohne dass das jemand weiß. Da fragt man sich, was womöglich sonst noch verschwindet", sagt Valentin Lippmann von den Grünen. Auch Albrecht Pallas von der SPD findet die Vorgänge "besorgniserregend". Wenn sich der Verdacht bestätige, könne ein erhebliches Misstrauen in die Polizei und den Rechtsstaat insgesamt entstehen." Innenminister Wöllner betreibe eine "(Nicht-)Informationspolitik", die dieses Misstrauen verstärke.

Der Minister selbst will sich nicht äußern. Die Pressestelle seines Ministeriums weist den Vorwurf der Vertuschung auf SZ-Anfrage zurück. Von der Polizeidirektion seien schließlich umgehend personelle Konsequenzen gezogen worden.

Die Folge: Ausgerechnet in Leipzig, der Hochburg des Fahrraddiebstahls, wurde die für die Fahrradkriminalität zuständige zentrale Einheit komplett geschlossen.

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