Süddeutsche Zeitung

NYPD:Du alter Haarsack!

Ein New Yorker Polizist verklagt die Stadt wegen Altersdiskriminierung in seinem Beruf. Es geht um eine verwehrte Beförderung und eine ganz bestimmte Beleidigung.

Von Johanna Bruckner, New York

Wenn von "New York's Finest" die Rede ist, geht es nicht etwa um Luxusläden auf der Fifth Avenue, einen avantgardistischen Wolkenkratzer oder ein teures Restaurant. Sondern um die Ordnungshüter in der Stadt. Das New York City Police Department, kurz NYPD, ist die vielleicht berühmteste Polizeibehörde der Welt - sicher aber die mit dem besten Marketing. Kapuzenpullis, T-Shirts und Kappen mit dem Behördenlogo sind ein Verkaufsschlager. Während im Rest Amerikas in den vergangenen Jahren über Polizeigewalt und Rassismus diskutiert wurde, blieb das Ansehen des NYPD weitgehend stabil.

Doch jetzt ist es ausgerechnet ein Polizist selbst, der am Image der New Yorker Vorzeige-Cops kratzt. Der dekorierte Detective Keith Dietrich verklagt die Stadt wegen Altersdiskriminierung auf sieben Millionen Dollar. Dietrich, 56, behauptet, zur Frühpensionierung gedrängt worden zu sein. Es geht um eine verwehrte Beförderung und eine sehr spezielle Beleidigung. Als "Hairbag" soll ihn ein Vorgesetzter geschmäht haben - im US-Polizeijargon eine abfällige Bezeichnung für ältere Kollegen.

Die Herkunft des Wortes, das 1958 erstmals in einem Glossar des örtlichen Polizeimagazins auftauchte, ist der New York Times zufolge nicht ganz klar. Eine Theorie besagt, dass ein Friseurbesuch einst unter Polizisten als legitime Entschuldigung dafür galt, den Posten zu verlassen. Weil vermeintliche Besuche im Barber Shop überhandnahmen, pochten Vorgesetzte allerdings irgendwann auf einen Beweis: die abgeschnittenen Haare in einer Tüte. So abwegig diese mögliche Erklärung klingt - es könnte etwas dran sein. Denn das Erscheinungsbild von New Yorker Polizisten war tatsächlich lange streng reglementiert, erst 2017 lockerte das NYPD seine Vorgaben und erlaubte unter anderem, sich einen Bart wachsen zu lassen - allerdings in eng definierten Grenzen.

Als Hairbag bezeichnet zu werden, hat Dietrich getroffen

Für Dietrich, der auch als Pensionär Wert legt auf ein aufgeräumtes Äußeres - inklusive polierter Schuhe, wie die Times notiert - geht es um die eigene Ehre. Als "Hairbag" bezeichnet zu werden, hat ihn getroffen. Er will nicht als Polizist gelten, "der nichts mehr tut und dem alles egal ist". Dietrich will aber auch auf ein grundsätzliches Problem hinweisen: den Argwohn und die Geringschätzung, die vielen älteren Kollegen entgegengebracht werde.

Ein Vorwurf, der bei allem Schmunzelpotenzial von Dietrichs Klage durchaus Zündstoff birgt. Denn auch wenn große Teile New Yorks längst nicht mehr so gefährlich sind wie noch vor einigen Jahrzehnten: Im Einsatz in einer Großstadt kann gegenseitiges Vertrauen unter Beamten überlebenswichtig sein. Dietrich kennt solche Situationen: Mitte der Neunziger wurde er für sein heldenhaftes Handeln bei einer Schießerei in einem Parkhaus mit der "Medal of Honor" ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der New Yorker Polizei. Den Großteil seiner Laufbahn verdingte sich Dietrich dann im Drogendezernat im eher unglamourösen Stadtteil Queens, bevor ihm 2014 eine weitere Ehre zuteil wurde: Er wechselte in das Team, das New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio beschützt.

Warum seine Karriere nur fünf Jahre später ein Ende gefunden hat, soll nun womöglich ein Verfahren klären. Ob es dazu kommt, liegt im Ermessen von Bezirksrichterin Colleen McMahon. Bei einer ersten Anhörung stritten die Anwälte der Stadt den "Hairbag"-Kommentar nicht ab. Sie argumentieren allerdings, dass Dietrichs Vorgesetzter damit auf dessen Leistung angespielt habe und nicht auf sein Alter.

Keith Dietrich musste zuletzt U-Bahn statt eines Polizeiwagens fahren und in einem Wachhäuschen vor dem Rathaus Dienst schieben - in Uniform. Für Detectives, die sonst Anzug tragen, eine Degradierung.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2019/mpu
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