Polizeiprojekt "Identify Me":Wer sind die toten Frauen?

Polizeiprojekt "Identify Me": BKA sucht Identitäten von Frauenleichen; Kampagne Identify Me

BKA sucht Identitäten von Frauenleichen; Kampagne Identify Me

(Foto: BKA)

Sie wurden ermordet, manche vor Jahrzehnten, und bis heute sind nicht einmal ihre Namen bekannt: Wie das BKA versucht, mit Hilfe der Bevölkerung die Identität mutmaßlicher Gewaltopfer zu klären.

Von Christoph Koopmann

Wer in den vergangenen Tagen mal durch einen Bahnhof gelaufen ist, dem sind die eher ungewöhnlichen Motive vielleicht aufgefallen. Normalerweise nutzt die Polizei ihre Fahndungsplakate, ob auf Papier oder auf digitalen Tafeln, vor allem, um Verbrecher wie etwa den ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek zu suchen. Neulich aber war zum Beispiel im baustellenbedingt improvisierten Stuttgarter Hauptbahnhof ein anderes Gesicht auf einer der Digitalanzeigen in der Halle zu sehen. Ein Frauengesicht, dunkler Teint, lockiges Haar. Es war kein Foto, sondern eine Gesichtsrekonstruktion. Ein Foto gibt es von der Frau nicht, denn es ist nicht bekannt, wer sie überhaupt ist. Ein Pilzsammler fand sie am 14. Oktober 2001 in einem Moorgebiet am Stadtrand von Köln. Die Frau war schon seit mindestens vier Monaten tot.

Das Bundeskriminalamt sucht nun nach ihr, sie ist keine mutmaßliche Verbrecherin, sondern eine mutmaßlich Ermordete. Die Tote aus dem Moor ist eine von sechs Frauen, zu denen sich das BKA nach Jahren der vergeblichen Fahndung endlich entscheidende Hinweise erhofft. Alle sechs sind mit großer Wahrscheinlichkeit getötet worden. Und bei allen sechs ist nicht klar, wer sie sind. Um das zu ändern, hat das BKA vor einigen Tagen eine Kampagne gestartet. Der Titel: "Identify Me", identifiziere mich.

Initiiert hatte die Kampagne die niederländische Polizei, die einige Cold Cases mutmaßlich ermordeter Frauen klären wollte. In einem Fall geht es um eine Frau, deren Leiche Wanderer schon im Herbst 1976 an einer Autobahn gefunden hatten. 47 Jahre später also geht die Suche nach ihrer Identität weiter. Die Fahnder aus den Niederlanden haben, auch wegen der geografischen Nähe, ihre Kollegen aus Belgien und Deutschland gebeten, sich der Kampagne anzuschließen. Auch Interpol ist inzwischen dabei und hat einen weltweiten Fahndungsaufruf an Polizeibehörden verschickt. Insgesamt geht es um 22 Frauen aus den drei Ländern.

Vergewaltigt, gewürgt, lebendig verbrannt

Offiziell ist es nicht die Absicht der beteiligten Ermittlungsbehörden, den Blick der Öffentlichkeit auf Femizide zu lenken, also Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Man habe einer solch bisher einzigartigen Suchaktion vor allem einen klaren Fokus geben wollen, heißt es vom BKA. Neben der Toten aus Köln sucht die Polizei auch nach Hinweisen zu einer Frau, deren Leiche 1986 an der A6 bei Heidelberg gefunden wurde. Zu einer Frau, die 1988 in einem Wald entdeckt wurde, in einen Jutesack gepackt, mit Seilen um den Hals. Zu einer jungen Frau, die 1997 in Altena in Nordrhein-Westfalen vergewaltigt, gewürgt und lebendig verbrannt wurde. Zu einer weiteren Frau, deren Leiche teilweise verbrannt im selben Jahr im Schwarzwald lag. Zu einer Frau, deren Körper 2002 in einem Bremer Weser-Yachthafen angespült wurde.

Für die Identifizierungskampagne haben sich die Polizeibehörden prominente Unterstützerinnen aus den jeweiligen Ländern geholt, in Deutschland haben Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Boxweltmeisterin Regina Halmich Videoappelle aufgenommen. "Schauen Sie sich die Gesichter der Mädchen an", sagt Müller-Hohenstein da, "die Kleidung der Frauen, ihre Ringe und Halsketten." Wer irgendetwas wiedererkenne, möge sich bitte melden. Irgendwo auf der Welt hätten die toten Frauen Familie, Freunde, Bekannte. "Sie verdienen Antworten."

Carina van Leeuwen und Martin de Wit von der niederländischen Polizei, die die Kampagne gestartet haben, sagten zur Vorstellung des Projekts: "Es muss Verwandte, Freunde oder Bekannte geben, die die Opfer, meist junge Frauen oder Mädchen, vermissen. Wir hoffen, diese Menschen mit unserer Kampagne zu erreichen." Es geht den Fahndern um Namen. Anja Allendorf vom BKA sagt, auch in vergleichbaren Fällen sei die Identifizierung des Opfers der Schlüssel gewesen, um einen Tatverdächtigen zu finden. Neulich etwa sei es gelungen, nach einem Leichenfund in den Niederlanden den Namen der getöteten Frau herauszufinden und so ihren Ex-Partner in Deutschland festzunehmen.

Auch die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" stellt die ungeklärten Fälle nach und nach vor. Angefangen hat es bereits in der Ausgabe vergangene Woche mit dem Fall der Toten, die vor 22 Jahren im Kölner Moor gefunden wurde. In den ersten Tagen nach der Sendung gingen bei der Polizei bereits 30 Hinweise ein. Ihr Gesicht wird trotzdem weiter zu sehen sein.

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