Es waren Brandbriefe, die Polens Justizminister erhielt. Der für den Schutz der Bürgerrechte zuständige Ombudsmann Adam Bodnar informierte Minister Zbigniew Ziobro 2016 über Folter auf polnischen Polizeirevieren - und das in mehreren Fällen. Der Bürgerrechtskommissar bat den Minister, den Tatbestand "Folter" ins polnische Strafgesetzbuch aufzunehmen. Bodnars Initiative und die Informationen über Folter im Polizeigewahrsam wären wohl unbeachtet geblieben, wäre dem Fernsehsender TVN nicht ein schockierendes Video zugespielt worden: Die Aufnahme zeigt, wie Polizeibeamte einen Mann namens Igor Stachowiak misshandeln: Der 25-Jährige starb kurz darauf.
Die Breslauer Polizei hatte Stachowiak am 15. Mai 2016 in einer Bar am Marktplatz von Breslau festgenommen; angeblich ähnelte er einem gesuchten Verbrecher. Als der junge Mann seine Unschuld beteuerte und wiederholte, er sei Igor Stachowiak, brachten die Polizisten ihn auf das Revier der Breslauer Altstadt. Dort bedrohten ihn Beamte; das dem TV-Sender zugespielte und später veröffentlichte Video zeigt, wie der mit Handschellen gefesselte Mann in der Toilette des Reviers mit einem Elektroschocker gequält wird. Einige stunden später war Stachowiak tot.
Sein Vater Maceij fotografierte die Leiche, sie zeigte Spuren von Schlägen und Tritten sowie blutige Wunden. Freunde Stachowiaks und andere Breslauer demonstrierten vor dem Revier, riefen "Mörder, Mörder!" und warfen Steine und Flaschen. Stachowiaks Vater und dessen Anwalt wurden später von Innenminister Mariusz Błaszczak empfangen. Dieser versprach schnelle Aufklärung.
Die blieb aus. Vor Gericht kamen stattdessen drei junge Männer, die Steine auf das Polizeirevier geworfen hatten. Die unter Folterverdacht stehenden Beamten wurden nicht angeklagt. Im Gegenteil: Der Chef des Skandalreviers wurde zum Vize-Polizeichef von Breslau befördert. Die mit der Ermittlung beauftragte Staatsanwaltschaft von Posen erklärte, es fehlten noch Gutachten und Zeugenaussagen.
Nach dem schockierenden Fernsehbericht wurden zwei Polizeichefs entlassen
Am 20. Mai 2017 zeigte TVN24 die Reportage "Tod auf dem Polizeirevier". Das Video, das die Torturen Stachowiaks zeigt, war mit einer am Elektroschocker der Polizisten angebrachten Kamera aufgenommen worden. Nach der Sendung setzte der Innenminister eine Sonderkommission ein; zwei Tage später wurden die Polizeichefs von Breslau und der Region gefeuert.
Das Skandalvideo aber hatte sowohl der Staatsanwaltschaft vorgelegen wie wohl auch dem Innenminister und sogar der Büroleiterin von Premier Beata Szydło. In der folgenden politischen Debatte verlangte die Opposition den Rücktritt der Minister des Inneren und der Justiz sowie der Büroleiterin. Die Regierung konterte, die Opposition betreibe offen Heuchelei.
Mit einigem Recht. Nicht allein durch Berichte des Bürgerrechts-Ombudsmannes ist lange bekannt, dass auf polnischen Polizistenrevieren gefoltert wird. Das UN-Menschenrechtskomitee, der Europarat und Menschenrechtsorganisationen verlangen seit Jahren vergeblich effektive Maßnahmen gegen Misshandlung von Personen in Polizeigewahrsam. Sie hatten dies schon zu Amtszeiten der Vorgängerregierung getan - die hatte die heute in der Opposition sitzende "Bürgerplattform" (PO) gestellt.
In Polen gibt es im Strafgesetzbuch keinen Tatbestand "Folter"
Auch in anderen EU-Ländern misshandeln oder foltern Polizisten gelegentlich. In Hannover etwa brüstete sich der Polizist Torsten S. im März 2015, er habe Flüchtlinge aus Afghanistan und Marokko gequält. Spanien wurde Amnesty International (AI) zufolge wegen Folter oder Misshandlung durch die Polizei bereits sieben Mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Ende 2016 berichtete AI, italienische Polizisten folterten Flüchtlinge mit Elektroschocks, wenn sie die Abgabe von Fingerabdrücken verweigerten.
In Polen bleibt Misshandlung jedoch straffrei. Es fehlt der Tatbestand "Folter" im Strafgesetzbuch. Ombudsmann Bodnar zufolge bleibt deswegen das Ausmaß unbekannt: 33 Polizisten, von 2008 bis 2015 wegen Misshandlung von Gefangenen verurteilt, wurden verschiedenster Tatbestände wegen angeklagt - nicht aber wegen Folter.
Misshandlungen kommen selbst bei kleinen Vergehen vor. So wurden in Bartoszyce zwei Festgenommene gequält, die Diebstähle im Wert von 20 Euro gestehen sollten; in Kalisz wurde eine 17-Jährige wegen angeblichen Diebstahls einer Aktenmappe misshandelt. Schläge, Einschüchterung mit Waffen und Hunden, Vergewaltigungsandrohung oder das Unterschieben von Drogen gehören zum Repertoire.
Im Fall Igor Stachowiak behaupten die Behörden, der Mann habe sich gegen die Festnahme gewehrt. Todesursache seien nicht Misshandlungen durch die Polizisten, sondern Herzstillstand, mutmaßlich hervorgerufen durch Drogenmissbrauch. Von strafrechtlichen Anklagen gegen die Breslauer Beamten ist bisher keine Rede.
Eine schärfere Kontrolle der polnischen Polizei ist unwahrscheinlich: Die nationalpopulistische Regierung stützt sich stärker als ihre Vorgänger auf Polizei, Geheimdienste, Armee und eine neue Bürgerwehr: Seit ihrem Amtsantritt hat die Regierung Zahl und Gehälter der Uniformierten erhöht und ihnen Privilegien gewährt.