Pokerspieler Hans Martin Vogl:"An neun Tischen gleichzeitig pokern"

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Pokern ist keine wilde Zockerei in glamourösen Casinos, sondern Mathematik, Analyse und harte Arbeit. Ein Besuch beim Pokerspieler Hans Martin Vogl .

Jürgen Schmieder

Man kennt diese Szenen aus Fernsehübertragungen und aus zahlreichen Filmen: Wenn sich Menschen gefühllos in die Augen sehen, während sie um ein paar Millionen Dollar, die Ehefrau oder das Eigenheim zocken, ist das spannender als jede Explosion oder Verfolgungsjagd. Einmal selbst dabei sein bei diesem Nervenkitzel, das ist der Traum vieler Menschen, wenn sie die Bilder der professionellen Pokerspieler sehen.

Hans Martin Vogl beim Pokern. (Foto: Foto: privat)

In der Realität freilich sehen Pokerspiele anders aus - vor allem seit dem Siegeszug des Internets. Die Spieler treffen sich nicht mehr wohlgekleidet mit Cocktail in der einen und attraktiven Frau in der anderen Hand im glamourösen Casino, sondern spielen im Internet. Hans Martin Vogl ist einer dieser Menschen, die zum Pokern nur den Computer einschalten. Um Vogl beim Spielen zuzusehen, muss man nicht nach Las Vegas fahren, sondern nach Beratzhausen in der Nähe von Regensburg - wenn er denn einmal zu Hause ist.

Der besondere Reiz liegt für ihn nämlich in den großen Turnierserien im Ausland. "Ich reise mehr als sechs Monate pro Jahr in der Welt umher", sagt er. Immer dabei ist sein Notebook. Wo es möglich und erlaubt ist, braucht er zum Pokern nur den Computer einschalten, manchmal schon gleich morgens. "Ich gehe aber schon erst mal duschen, frühstücke und ziehe mich an." Erst dann geht er an den virtuellen Spieltisch.

Vogl hat sich erfolgreich seiner Leidenschaft verschrieben. Er ist 32 Jahre alt, hat gerade sein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen und ist seit Jahresanfang Profi im deutschen Team von Full Tilt Poker. In Beratzhausen hat er sich ein Pokerzimmer eingerichtet - ohne Filztisch, ohne Karten, ohne Chips. Hier wird trainiert. Auf dem Schreibtisch stehen zwei riesige Bildschirme, daneben ein Laptop. Unter dem Tisch stehen zwei Computer. "So kann ich an neun Tischen gleichzeitig pokern", sagt er. Neun Tische. Die meisten Hobbyspieler sind schon an einem Tisch überfordert. Nebenbei blogt er noch Beiträge in Foren, chattet mit anderen Spielern und spielt um virtuelle Chips.

Pokern im Internet hat wenig gemein mit den glamourösen Filmszenen, die man aus dem Bond-Film "Casino Royale" kennt. Ja, es erinnert nicht einmal an die Hinterzimmer-Ästhetik von "Cincinnati Kid". Vogl sitzt vor dem Bildschirm, die Maus fliegt über die Bildschirme.

Während ein Beobachter Mühe hat, überhaupt zu erkennen, an welchem Tisch er gerade spielt, errechnet Vogl schon seine Gewinnchancen - und analysiert die Gegner. "Der da spielt ziemlich schwach", sagt er und grinst. Er öffnet eine Statistik-Datei, die man ohne Mathematikstudium nicht schwindelfrei entziffern kann. Vogl liest aus diesem Wust an Zahlen die Aggressivität des Gegners, die Bereitschaft zu setzen und die Wahrscheinlichkeit einer Erhöhung. So kann er seine Mitspieler einschätzen und seine Taktik dementsprechend ausrichten.

Doch damit nicht genug: Vogl hat sich Notizen zu vielen Gegnern gemacht, er analysiert seine Partien, lässt bereits gespielte Hände noch einmal durch den Stochastik-Rechner laufen. Er weiß um seine Stärken und Schwächen. "Ich bin pro Woche nur etwa 20 Stunden tatsächlich am Pokertisch", sagt er. "Den Rest der Zeit verbringe ich mit Analyse und Fortbildung." In seinem Regal stehen eine Unmenge an Pokersoftware, Bücher über Wahrscheinlichkeitsrechnung und Analysen anderer Spieler. Man sieht sofort: Pokern bedeutet für Vogl nicht fröhliches Zocken, sondern harte Arbeit.

"Es hat mir geholfen, dass ich mein Leben lang Karten gespielt habe", sagt er. Das Taschengeld etwa besserte er mit Schafkopfen auf dem Schulhof auf. Er kennt das Berechnen der Wahrscheinlichkeiten, das Analysieren der Gegner und den Druck, schnell Entscheidungen treffen zu müssen: "Damit habe ich einen großen Vorteil gegenüber den Menschen, die Pokern nur aus dem Fernsehen kennen."

Anfänger erkennt Vogl sofort - obwohl er ihnen nie begegnet ist. "Das merkt man auch beim Online-Pokern sehr schnell", sagt er. "Es ist weniger psychologisch wie beim Live-Poker, wo man auf kleine Bewegungen achtet." Allein durch die Spielweise würden sich Anfänger verraten. Sie schätzen ihre Siegchancen falsch ein, vertrauen zu sehr aufs Glück oder sind zu vorsichtig. Wenn man Vogl so reden hört, dann merkt man, dass er kein Zocker ist, kein Glücksritter, der sein Geld in einen einarmigen Banditen in Las Vegas werfen würde. "Ich habe mein Hobby perfektioniert", sagt er.

Diese Perfektion lohnt sich auch wirtschaftlich. Den größten Einzelgewinn schaffte er nicht im Internet, sondern bei einem Live-Turnier im vergangenen Jahr in Australien. Er erreichte den fünften Platz und gewann umgerechnet 250.000 Euro. "Das hat sich schon rumgesprochen in Beratzhausen", sagt er. "Obwohl im Laufe der Zeit der Gewinn immer größer wurde bis es hieß, ich sei Millionär." Über Verdienstmöglichkeiten beim Online-Pokern will er nicht sprechen - auch, weil das Pokern um Geld im Internet je nach Land der Teilnahme eine rechtliche Grauzone darstellt. Das Geschäft mit dem Online-Glücksspiel ist in vielen Ländern verboten, auch in Deutschland. "Man muss sich vorher gut orientieren, wo Pokern erlaubt ist und wo nicht", sagt Vogl. "Deshalb reise ich so gerne herum. Ich kann quasi im Urlaub spielen."

Vogl muss noch warten, bis sein Beruf auch in Deutschland offiziell anerkannt wird. Bis dahin behält er seine Wohnung in Beratzhausen und fährt um die ganze Welt. In der Pokerszene ist er mittlerweile ein Star. Deshalb belächeln ihn auch seine Eltern nicht wegen seiner Leidenschaft: "Seit sie in Beratzhausen auf mich angesprochen werden, sind sie natürlich stolz." Und froh. Welche Eltern können schon behaupten, dass ihr Kind seinen Lebenstraum verwirklicht hat?

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