Playmobil wird 30:Kinder, wie die Zeit vergeht

Unter größter Geheimhaltung, hinter Türen, die außen keine Klinken haben, werden seit 30 Jahren Männchen, Autos, Häuser, Burgen und seit neuestem auch Weibchen entwickelt.

Von Martin Zips

Zirndorf - Hinter Zweirad-Mlady hörte die Welt auf. Früher wäre man hier links abgebogen, wäre in die Schwalbenstraße gefahren, hätte mit Andreas und Daniela die Darda-Bahn aufgebaut oder den Commodore 64 angeschmissen. So wie immer in den Schulferien, beim Verwandtschaftsbesuch in Oberasbach bei Fürth. Und natürlich hätte man Hunderte von Playmobil-Männchen aus den Kisten gekramt. So, wie es heute noch Kinder in über 65 Ländern der Welt tun. Man hätte mit Rittern, Piraten und Indianern gespielt. Eine fremde Welt. Eine schöne Zeit.

Playmobil-Hauptquartier liegt in Bayern

Heute geht die Fahrt geradeaus weiter. Ein paar hundert Meter hinter Zweirad-Mlady liegt Zirndorf. Und dort erhebt sich - wer hätte das gedacht? - das riesige Playmobil-Hauptquartier. Seit 30 Jahren werden in Zirndorf Figuren, Autos, Häuser und Burgen entwickelt. Unter größter Geheimhaltung, versteht sich. Hinter Türen, die außen keine Klinken haben. 60 Prozent der Deutschen wissen noch immer nicht, dass Playmobil eine bayerische Firma ist. Selbst Ministerpräsident Edmund Stoiber soll einmal sehr überrascht gewesen sein, als er davon erfuhr.

Irgendwo in dem hellen, großzügig eingerichteten Zirndorfer Bürohaus sitzt Andrea Schauer, 45, seit vier Jahren Geschäftsführerin bei der Firma, die eigentlich "geobra Brandstätter" heißt. Eine ruhige Frau mit hellen Augen und blonden Haaren. Sie kaut auf irgendetwas herum, das größer als ein Kaugummi ist, aber kleiner als ein Playmobil-Männchen. Andrea Schauer erzählt von den 2300 Mitarbeitern, vom gewaltigen 300 Millionen-Euro-Umsatz und den 1,7 Milliarden bisher verkauften Figuren, die übrigens alle auf Malta produziert werden. Für den Rest sind die Arbeiter im fränkischen Werk Dietenhofen zuständig. Im 24-Stunden-Dienst pressen sie mit bis zu 6000 Formen zum Beispiel Busse, Burgen, Bauernhöfe. Nur ein rotes Fachwerkhaus pressen sie nicht mehr. Das soll vor vielen Jahren als Einzelstück produziert worden sein. Seitdem gilt es in der Sammlerwelt als verschollen. Die blaue Mauritius der Playmobilisten.

Exakte 7,5 Zentimeter hoch, aber ohne Nase

Es war am 2.Februar 1974, als man die ersten Figuren, die damals noch "Klickys" hießen, auf der Nürnberger Spielwarenmesse präsentierte. Die 7,5 Zentimeter-Männchen entsprächen den "DIN-Sicherheitsanforderungen" und seien "in freundlichen Farben" gehalten, stand damals im Pressetext.

Entworfen hat sie Hans Beck. Ihn hatte Firmenchef Horst Brandstätter einst als Mustermacher eingestellt. Auf ersten Skizzen hatte seine Figur noch eine Nase. Eine Nase! Im Gesicht einer Playmobil-Figur! Furchtbar! Erfinder Beck und Unternehmer Brandstätter verzichteten später auf sie. Während der Öl-Krise vor drei Jahrzehnten hätte eine Nase eh nur zusätzlich Plastik gekostet. Die Öl-Krise war einer der Gründe, warum Brandstätter nach der Produktion riesiger Kunststoff-Traktoren und Hula-Hoop-Reifen Plastik sparende Miniaturen in Auftrag gab. Diese waren billiger zu produzieren. Und dank des Ideenreichtums des Erfinders Beck, heute Pensionär am Bodensee, dauerte es nicht lange, bis aus Playmobil ein Paymobil wurde. Die Miniaturwelt expandierte, ihre Bevölkerungszahlen explodierten, die Sache begann sich zu rechnen.

Zahlreiche Inszenierungen sind möglich

Wenn man das heute so hört und liest, sitzt man im Gedanken sofort wieder bei Andreas und Daniela vor der Spielzeugkiste. Sieht das Piratenschiff vor sich. Den Zirkus. Das Fernsehstudio. Davon würde man der Geschäftsführerin Schauer am liebsten stundenlang erzählen. Was man nicht alles mit Playmobil-Figuren nachstellen könnte: Den letzten Tatort, das Konzil von Trient, eine Sitzung im Bundestag oder einen tollen Warnstreik. Künstler wie Men Rabe, Ralf Gemein oder Ingo Klöcker verwenden die Punkt-Punkt-Strich-Gesichter in ihren Werken. Harald Schmidt ließ mit Playmobil griechische Sagen, Offenbachsche Operetten oder faschistische Fantasien nachstellen.

Derlei betrachtet man in Zirndorf freilich mit gemischten Gefühlen. Man müsse schon aufpassen, dass die kindliche Spielwelt frei von brutalen oder sexuellen Kontexten bleibt, sagt Frau Schauer. Täglich erhält sie Kinderpost. Playmobilfans malen Teile und Kreaturen, die sie sich schnellstmöglich wünschen. Doch von der Idee bis zum fertigen Produkt braucht das 50-köpfige Entwicklungsteam satte drei Jahre.

Das alles ist durchaus im Sinne des 71-jährigen Seniorchefs Horst Brandstätter, der gerne auf Floridas Golfplätzen überwintert. Immer wieder faxt er Handschriftliches nach Zirndorf. 48 Seiten waren es gestern. Anweisungen, Berechnungen.

Neu im Sortiment: Blumenkübel

Vor einiger Zeit hatte er die überraschende Idee, neben Spielmännchen auch riesige Blumenkübel zu produzieren. Bei Frau Schauer im Büro stehen nunmehr zwei davon. Mit Selbstbewässerungssystem. Wegen seines pausenlosen Tatendrangs nennen seine Mitarbeiter Herrn Brandstätter, der die Firma von seinen Onkeln übernahm, einen "Machsscho", einen "Mach ich schon". Zwei Söhne hat er. Sie haben es vorgezogen, nicht in die riesigen Stapfen des meist Plastik-Sandalen tragenden Bosses zu treten.

Evolution der Männchen

Niemals dürfe seine Firma an einen Spielzeug-Riesen wie Mattel verkauft werden, hat Brandstätter erst gerade wieder befohlen. Wer seine Figuren verrate, dem werde er post mortem als Geist an den Kragen gehen. Dieser Geist könnte wie die riesigen Playmobil-Männer aussehen, die in Brandstätters Themenparks in Zirndorf, Paris, Athen, Malta, Palm Beach und Orlando wachen. Nur diesmal vielleicht mit runtergezogenen Mundwinkeln. Gerade in der Spielzeugwelt merkt man, wie schnell sich die Zeiten ändern.

Früher gab es nur Playmobil-Männchen. Sie hatten Frisuren wie Günther Jauch als Rätselflug-Reporter. 1976 kamen Playmobil-Weibchen hinzu. Deren Haare wirkten wie die von Brigitte Xantner aus Dalli Dalli. Heute haben die Kleinstkörper drehbare, fleischfarbene Hände. Das Spielzeug hat Sommersprossen im Gesicht und mitunter sogar Zehen an den Füßen. Und die Weibchen haben - einen Busen. Zwar eher Juliette Binoche als Britney Spears. Man muss sich trotzdem dran gewöhnen.

In Speyer, im Historischen Museum, ist noch bis Mitte April eine Ausstellung zum dreißigjährigen Playmobil-Jubiläum zu sehen. Ein Herr Deeg zeigt hier seine knapp drei Meter hohe Ritterburg. Herr Wiedenlübbert stellt seine auf 50.000 Playmobil-Soldaten ausgerichtete napoleonische Armee des Jahres 1809 vor. Auch Daniela aus Oberasbach, die einst unweit von Zweirad-Mlady wohnte und mittlerweile 36 und verheiratet ist, stellt aus. Sie hat sich ein zimmergroßes, voll besetztes Playmobil-Opernhaus samt Intendantenbüro, Kulissenmaler und Schneider eingerichtet. Liebe Güte.

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