Neu entdeckte Inseln:Land in Sicht

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Die meisten neu gezählten Inseln sollen sich im Süden der Philippinen befinden, rund um Mindanao. Eine Gegend, in der sich Piraten und Terroristen festgesetzt haben. Symbolbild: Eilande im Hundred Islands National Park im Golf von Lingayen vor Luzon. (Foto: imago stock&people)

534 Inseln, die es vorher nicht gab? Klingt nach einer wundersamen Vermehrung rund um die Philippinen. Auch in der Arktis wurden neue Inseln entdeckt - was eher als Warnung denn als Glücksfall gilt.

Von Silke Bigalke und Arne Perras

Als sie die Inseln vor drei Jahren entdeckte, war Marina Migunowa noch Studentin. Sie war damals nicht mit dem Schiff unterwegs, sondern saß über Sattelitenbilder gebeugt an der Uni. Es waren Bilder einer arktischen Bucht in Russland, Migunowa schrieb darüber ihre Abschlussarbeit, berichtet die staatliche Marineuniversität nun stolz. Wo früher nur Gletschereis zu sehen war, entdeckte die Studentin Festland.

Die fünf neuen Inselchen liegen westlich von Nowaja Semlja: Diese lang gezogene Doppelinsel in Russlands Arktis ist kaum bewohnt, früher wurden dort Kernwaffen getestet. Im Vergleich zu dieser großen Hauptinsel sind die neuentdeckten Inseln winzig, die kleinste 900 und die größte 54 500 Quadratmeter groß, siebeneinhalb Fußballfelder. Trotzdem waren sie nun gut sichtbar.

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Es dauert dennoch drei Jahre, bis das russische Verteidigungsministerium Migunowas Entdeckung offiziell bestätigte. Die ist längst keine Studentin mehr, sondern arbeitet als Ingenieurin auf einem Hydrografie-Schiff, das Ozeane vermisst. Die Insel-Expedition im Sommer bestritten andere: Wissenschaftler fuhren in die arktische Bucht, um die fünf neuen Inseln zu begutachten. "Früher waren dort Gletscher", sagte Expeditionsleiter Alexander Moisejew nun der russischen Nachrichtenagentur Tass, er meinte wohl vor allem den Wylka-Gletscher. Dessen Schmelze habe zur Entdeckung geführt. Und: "Natürlich wird jede Insel einen Namen bekommen."

Laut Verteidigungsministerium sind in den vergangenen vier Jahren in Russland mehr als 30 neue Inseln, Kaps und Buchten entdeckt worden. Manchmal werden dabei auch aus einer Insel plötzlich zwei: Die Expedition fuhr im Sommer von Nowaja Semlja noch weiter in den Norden, bis zur Inselgruppe Franz-Josef-Land. Das Archipel liegt näher am Nordpol als Spitzbergen, das Meereis macht die Inseln oft unerreichbar. Doch in diesem August war es dort ungewöhnlich warm, es gab weniger Eis als sonst. Im Süden von Franz-Josef-Land hat ein schmelzender Gletscher eine Meerenge frei gelegt. Sie liegt zwischen der Hall-Insel und deren Halbinsel Littrow. Die Expedition bestätigte, was Satellitenbilder schon ahnen ließen: Die Meerenge macht die Halbinsel zur Vollinsel.

Land kommt, Land geht

Schmelzendes Eis macht die Arktis zugänglicher, für Russland steigt damit auch ihr strategischer Wert. Der Klimawandel gibt nicht nur neues Land, sondern auch Schiffsrouten frei. Auf den unbewohnten Inseln von Franz-Josef-Land soll nun sogar ein Touristenzentrum eröffnen, Bilder zeigen ein einsames Holzhaus auf traurigem Geröll.

Die Arktis erwärmt sich zweimal so schnell wie der Rest der Welt. Das macht Insel-Neuentdeckungen dort eher zur Warnung als zum Glücksfall. Während schmelzende Gletscher im nördlichen Eismeer Inseln freilegen, lässt sich weiter südlich längst erkennen, dass Land verschwindet, weil der Meeresspiegel steigt. Besonders hart trifft dies die flachen Inselstaaten im westlichen Pazifik. Umso kurioser wirkten nun Meldungen aus Manila, wonach die Philippinen nach neueren Erkenntnissen über deutlich mehr Inseln verfügen sollen als bisher gedacht: nämlich über 7641 Inseln statt 7107, wie es in alten Büchern steht.

534 Inseln, die es vorher nicht gab? Das klingt nach einer wundersamen Vermehrung, schon 2017 waren ähnliche Berichte aufgetaucht, die sich allesamt auf Daten der staatlichen Behörde Namria beriefen. Doch der Staat hat sie bislang nicht im Detail erklärt. Anfragen der SZ blieben unbeantwortet. Der Facebook-Post eines Forschungssymposiums, der noch am Dienstag die Zahl 7641 enthielt, wurde inzwischen sogar gelöscht. In Manila spielen sie offenkundig Versteck.

Gut möglich, dass dies mit den politischen Spannungen im Südchinesischen Meer zu tun hat. Dort streiten die Philippinen mit China um maritime Ansprüche, vielleicht wollen manche Kräfte in Manila eine genaue Zahl gar nicht bestätigt sehen. Oder die Kartografen zählen immer noch.

"Es wird jedenfalls kaum so sein, dass auf den Philippinen überall neue Inseln aus dem Meer aufgetaucht sind", sagt der Ozeanograf Detlef Stammer von der Universität Hamburg. Dafür gebe es keinerlei Hinweise. Zwar ist die Region vulkanisch sehr aktiv, was zur Ausformung neuer Inseln führen kann, so etwas geschah zum Beispiel im pazifischen Zwergstaat Tonga im Jahr 2014. Aber das sind eher seltene Einzelfälle.

Wissenschaftler nehmen an, dass der philippinische Staat einfach genauer zählt als früher, wobei auch verbesserte Methoden helfen. Mit neuester Radartechnik, die bei Satellitenaufnahmen zum Einsatz kommt, lassen sich nicht nur die genauen Umrisse von Inseln bestimmen, sondern auch deren Höhe. Dabei ist es auch egal, ob Wolken den Himmel verdecken oder nicht. Die Daten ermöglichen ein komplettes 3-D-Bild. "Das ist extrem nützlich", sagt Stammer, "denn wir können dank solcher Daten exakt vorausbestimmen, wie viel Land jeweils verloren geht, wenn der Meeresspiegel um einen bestimmten Wert steigt."

Vielleicht müssen die Philippiner bald aber auch völlig neu rechnen

Die philippinische Zeitung The Inquirer will herausgefunden haben, dass die meisten neu gezählten Inseln im Süden des Archipels liegen, rund um Mindanao. Eine Gegend, in der sich Piraten und Terroristen festgesetzt haben, die Arbeit von Landvermessern erleichtern sie nicht. Es ist gut möglich, dass die Kartografen bislang einigen Ungenauigkeiten aufgesessen sind. Was sie einst für ein einzelnes Stück Land hielten, zeigt sich nun womöglich als Ansammlung mehrerer Inseln, die nah beieinander liegen.

Die Philippiner betrachten die Zahl ihrer Inseln spätestens seit 1994 als schwankende Angelegenheit. Das haben sie einer jungen Dame namens Charlene Gonzales zu verdanken, die es damals in die Endrunde des Miss-Universe-Wettbewerbs schaffte. Als Finalistin musste sie sich einer Frage zur Geografie stellen: "Aus wie vielen Inseln bestehen die Philippinen?" wollte der Conférencier wissen. Gonzales strahlte ihn an und fragte zurück: "High Tide oder Low Tide?"

Flut oder Ebbe. Vielleicht werden die philippinischen Wissenschaftler bald genauer erklären, wie sie zu ihren neuesten Zahlen gekommen sind. Vielleicht müssen sie bald aber auch völlig neu rechnen, wenn der Meeresspiegel weiter steigt.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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