Phil Spector:Sex, Drogen und Rock 'n' Roll

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Ein Genie, und eine Zumutung für seine Umwelt: Beim Mordprozess gegen den Musikproduzenten Phil Spector offenbart der Angeklagte seine Paranoia und seine Alkoholprobleme.

Willi Winkler

Der Film könnte von ihm handeln, von dem reichen Musiker aus der Rock'n'Roll-Zeit, der früher einmal, vor ewigen Jahrzehnten, berühmt und erfolgreich war und bei dem sich alle fragen: ,,Was, der lebt noch?'' Vom alten Ruhm ist ihm das Geld geblieben, viel Geld, und damit kann er sich beinahe jede von den Frauen kaufen, die sich in Hollywood zuhauf finden, Grundpreis 1000 Dollar, Spesen und Extras extra. Nur dass ihn eine davon dann ermordet, recht drastisch mit dem Eispickel.

Sharon Stone 1992 wurde mit der Rolle als eiskalte Killerin in ,,Basic Instinct'' berühmt. Im wirklichen Leben starb in der Nacht zum 3. Februar 2003 in einem dieser hybriden Paläste, in denen sich die Stars in Hollywood verschanzen, die 40-jährige C-Klasse-Schauspielerin Lana Clarkson, und als Mörder gilt der Musiker.

Ein Mord? Der Hausbesitzer soll kurz vor Morgengrauen blutbefleckt vor die Tür gestolpert sein, um vor seinem Chauffeur ein volles Geständnis abzulegen: ,,Ich glaube, ich habe gerade jemanden umgebracht.''

Das ist der Mann, der in Los Angeles seit fünf Wochen vor Gericht steht. Phil Spector, reich, vor unvordenklich langer Zeit auch berühmt und offenbar ziemlich verrückt. Es ist für die kalifornischen Medien wieder einmal der ,,Prozess des Jahrhunderts'' und hat alles, was das mitfühlende Herz begehrt: Sex, Mord und Drogen, oder doch Teufel Alkohol. Als lebenslanger Entertainer respektiert der Angeklagte sein Publikum und erscheint mit Mafia-Anwälten und den aberwitzigsten Perücken.

"To know him is to love him"

Frauen treten auf, nicht jede in der erwähnten Preisklasse, und berichten, dass er sie mit dem Revolver bedroht, sie auch geschlagen hat. Angezeigt hat ihn keine, denn Phil war immer so höflich, hielt einem die Tür auf, schickte Blumen, alles, aber er konnte auch anders. Dann war er der wahnsinnige Spector.

Pete Townshend berichtet, wie ihm 1964 ein winzigkleiner Kerl auffiel, der bei einer Produktion mit dem Toningenieur von The Who zusammenhockte und verlangend auf die Regler starrte, an denen er ausnahmsweise nicht fummeln durfte. Wer das sei, fragte Townshend Jack Nitzsche, und der legte den Finger an die Lippen und sagte nur: ,,To know him is to love him.''

Das war der Hit, mit dem die Teddybears 1958 berühmt wurden, ein Titel, den Spector vom Grabstein seines Vaters genommen und ins Präsens und seine private Wehklage übersetzt hatte: ,,To know, know, know...''. Dieser Vater hatte sich, als sein Sohn acht war, im Auto umgebracht, indem er sich einen Schlauch in den Mund steckte und die Abgase einatmete. Phil war hochmusikalisch, beherrschte bald mehrere Instrumente, er sang mit der hohen Stimme des vereinsamten Kindes, das man dann auch noch um die Tantiemen seines ersten Hits betrog.

Phil Spector wusste sich zu rächen; er wurde selber Produzent, und von den Rechten, die er sich zusichern ließ, die er seinen Künstlern und Mitarbeitern abpresste, lebt er noch heute. Im Studio, am Mischpult, entdeckte er seine Berufung. Hier dirigierte er seine Musiker, stellte die Bands nach Belieben um, ließ ein 150-köpfiges Orchester im Hintergrund streichen und vorne zwanzig Kesselpauken lärmen, dazu Tina Turner, die wie eine Katze um ihr siebtes Leben jaulte, wimmerte, schrie. Das war ,,River Deep - Mountain High'' und reiner Spector-Sound.

Pop ist Schund und Schund große Kunst, die niemand besser beherrschte als der kleine Phil. Natürlich maß er sich nur an den Großen, wollte sein wie Gott oder doch wenigstens wie Tschaikowski und Wagner.

,,Bumm-ba-boom, bäng! Bumm, baboom, bäng!'': Mit diesem Intro beginnt einer der größten Songs der Popgeschichte, ,,Be My Baby'', und dann kommt diese schneidende Stimme aus dem Bauch und berichtet von dem Abend, an dem sie ihn traf und gleich wusste, wie sehr sie ihn brauchte.

Veronica Bennett sang das, wiegte sich dazu in den Hüften, schaute - ,,uahaha''- so verlangend aus ihren kleopatraschwarzen Augen und flehte doch bloß um Liebe. Veronica sang das mit den Ronettes, und sie singen das seither immer wieder durch Jeans-Werbung und Soundtrack und Greatest Hits, immer wieder ,,Bumm, baboom, bäng!'', immer zum Lobpreis ihres Entdeckers.

Der Reporter Tom Wolfe ernannte Spector zum ,,ersten Tycoon der Teenager'', Millionär schon, ehe er volljährig war, Percy Bysshe Shelley quasi und, ja, ein bisschen verrückt, aber welcher Künstler wäre das nicht? Der Künstler produzierte Hit auf Hit, bis er einen Fehler beging und die Frau seiner Träume, die Frau, die er nach seiner Phantasie geschaffen hatte, auch noch heiratete.

Der Kunstproduzent versagte vor dem Leben. Er quälte sie mit seiner Paranoia, und er quälte sich. Er trank, sie trank, aber damit konnte er das unglückliche Kind nicht erlösen, das er geblieben war. Ein Genie, und eine Zumutung für seine Umwelt. Manchmal schoss er auch.

Leonard Cohen bekam die Knarre zu sehen und Dee Dee Ramone. Bei Aufnahmen mit John Lennon löste sich tatsächlich ein Schuss - ,,bumm!'' - und ging in die Decke. Ein Lärm war das, ein ganz neuer Sound-Effekt. ,,Wenn du mich umbringen willst, Phil, bitte. Aber lass mir meine Ohren'', soll Lennon geschrien haben, ,,ich brauche sie noch!'' Danach haben sie weitergetrunken. Dabei verträgt Phil Spector überhaupt keinen Alkohol.

In den letzten Jahren hatte er ganz darauf verzichtet. Dafür nahm er die handelsüblichen Psychopharmaka, Lithium, Prozac, alles, was half gegen seine Paranoia. Es half nicht viel. ,,Ich habe eine bipolare Persönlichkeit'', erklärte er wenige Wochen vor Lana Clarksons Tod. Mit seiner manisch-depressiven Störung hatte er zehn Jahre lang Hits produziert und vierzig Jahre lang diverse Psychiater ernährt. Doch wie hätten die ihm helfen können: ,,Ich bin selber mein ärgster Feind.''

Nach Lana Clarksons Tod tourten seine Söhne durch die Talkshows und erzählten, wie es war mit ihm. Sie durften ihr Zimmer nicht verlassen, weil er sie nicht sehen wollte. Ein Telefon bekamen sie, aber keinen Anschluss. Der reiche Müßiggänger hatte keine Zeit für sie, weil er sich Filme anschauen musste, am liebsten ,,Citizen Kane'', die Geschichte eines reichen Mannes, der in seinem einsamen Palast seiner verlorenen Kindheit nachtrauert. Die Kinder sind heute erwachsen und standesüblich verwahrlost. Einer singt gegen Geld Karaoke in japanischen Bars, eine Parodie seines Vaters.

Die Nacht dann, in der er Lana Clarkson kennenlernte. Phil Spector hatte wieder zu trinken angefangen, und er trank sich durch den Abend. Er las Frauen auf und schickte sie wieder fort. Er ließ sich, ganz der besser gestellte Trinker, von seinem Fahrer zur nächsten Bar befördern, nichts Ungewöhnliches.

Es war früh am Morgen, als er im House of Blues ankam, aber in einer kranken Seele, hat der seelenverwandte F. Scott Fitzgerald einmal geschrieben, ist es immer drei Uhr morgens. Lana Clarkson, die an der Rezeption arbeitete, erkannte ihn erst nicht. Sie war nicht mehr so jugendfrisch, dass sie weiter in Fernsehserien hätte auftreten können, und hoffte auf Anschluss an reiche, gern auch ältere Männer, höfliche Männer wie Phil Spector, der die Rechnung ritterlich von 50 Dollar auf 500 aufrundete.

Das House of Blues schloss, und Phil Spector nahm die blonde, großgewachsene ehemalige Schauspielerin mit. Er wohnte auf der anderen Seite von Hollywood, in einem Stadtteil namens Alhambra, wo er sich ein Schloss mit dem schönen Namen ,,Pyrenees'' gekauft hatte. Spector war betrunken, aber der Chauffeur kannte den Weg, und das Paar auf dem Rücksitz sah sich unterwegs auf DVD einen Film an.

Wie in einem besonders monströsen Drehbuch musste es ,,Kiss Tomorrow Goodbye'' (Den Morgen wirst du nicht erleben) sein. Der Film war zu Ende, aber ging in seinem Haus weiter. Er brauchte sie, vielleicht brauchte sie ihn auch. Es fiel ein Schuss, und das Baby in seinen Armen, es war tot.

,,Da ich zu den Leuten gehöre, die nicht glücklich sein können, wenn sie nicht unglücklich sind'', hat Phil Spector einmal gesagt, ,,tröste ich mich damit, dass nicht jeder glücklich ist, der als geistig gesund gilt. Wäre es anders, dann wäre auch keiner bei Verstand.''

© SZ vom 21.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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