Süddeutsche Zeitung

Phantomjagd:Wattestäbchen taugten nicht zur Spurensicherung

Die Abstrichbestecke, mit denen das DNS-Profil des angeblichen Phantoms von Heilbronn gewonnen wurde, waren laut Hersteller gar nicht dazu geeignet. Der Lieferant weist jede Verantwortung von sich.

Die jahrelange Jagd auf das "Phantom von Heilbronn" mit immensem personellen und finanziellen Aufwand war offenbar umsonst: Auch wenn die offizielle Bestätigung noch immer aussteht, so scheint es doch sicher, dass das Phantom nicht anders war als eine Kette falscher DNS-Spuren: Zu einem Verbrecher wird sie wohl nicht führen, höchstwahrscheinlich dagegen zu einer Arbeiterin bei einem Hersteller von Wattestäbchen. Die Suche nach dem Ursprung der DNS-Verunreinigung, die die Polizei auf eine falsche Fährte führte, ist in vollem Gange.

Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) hatte am Donnerstag Schadenersatzansprüche nicht ausgeschlossen, falls verunreinigte Wattestäbchen Grund für eine Fahndungspanne auf der Suche nach der mutmaßlichen Serienverbrecherin seien.

Der Hersteller der vermutlich auch bei den Ermittlungen zum Polizistenmord von Heilbronn eingesetzten Wattestäbchen wies jede Verantwortung jedochweit von sich. Die von der Greiner Bio-One GmbH vertriebenen Abstrichbestecke seien nicht für die Verwendung von molekulardiagnostischen Analysen vorgesehen, teilte das Unternehmen in Frickenhausen bei Nürtingen etwas umständlich mit.

Die Produkte sind demnach zwar steril, aber wohl nicht steril genug für eine störungsfreie DNS-Analyse. Die Sterilisation der Produkte mit ionisierenden Strahlen führe zu einem sterilen keimfreien Produkt, sagte eine Unternehmenssprecherin. DNS-Freiheit werde dabei aber nicht garantiert: "Mögliche vorhandene DNS-Verunreinigungen menschlichen oder tierischen Ursprungs können durch eine Sterilisation nicht beseitigt werden." Dies gehe aus den ausführlichen Produktbeschreibungen hervor.

Die Firma arbeite mit dem baden-württembergischen Landeskriminalamt zusammen, hieß es. Genauere Angaben machte sie aber zunächst nicht. Damit steht nicht fest, ob die Abstrichbestecke überhaupt bei den Tatorten des Phantoms eingesetzt wurden.

Die Wattestäbchen werden den Angaben zufolge über einen deutschen Importeur bezogen. Die Stäbchen seien aus Holz gefertigt, die Watte bestehe aus Baumwolle. Wattestäbchen, Kunststoffröhrchen und Verschluss werden zu einem kompletten Abstrichbesteck montiert, teilte die Firma mit.

Der Sprecher des baden-württembergischen Landeskriminalamts, Horst Haug, sagte am Freitag in Stuttgart, die Behörde habe sich an den europäischen Standards für die Spurensicherung orientiert. "Die halten wir ein." Die Polizei lässt nun bundesweit alle Wattestäbchen-Vorräte überprüfen. Wann es Sicherheit über die Herkunft der DNS-Spur des "Phantoms" gibt, ist laut Landeskriminalamt noch nicht absehbar.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hatte bereits eine Art Gütesiegel gefordert, um Falschanalysen wegen Verunreinigungen auszuschließen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, kündigte an, dass künftig "sterilere" Mittel bei der Spurensicherung eingesetzt werden. Es gebe spezielle Verfahren, um das Material noch steriler zu machen, sagte er im Deutschlandfunk. Dass es Fehlverurteilungen aufgrund von DNS-Analysen gegeben haben könnte, schloss der BKA-Präsident aus. "Die DNS-Analyse ist ein taugliches Beweismittel." Auch der renommierte Rechtsmediziner hatte in einem Interview mit sueddeutsche.de auf die Stärken des Verfahrens hingewiesen.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Wolfgang Wieland erwartet dennoch zahlreiche Wiederaufnahmeverfahren. "Es ist eine Grunderschütterung in dieser DNS-Verlässlichkeit, und man muss sehen, ob das in weiteren Fällen ähnlich gelaufen ist", sagte Wieland im RBB-Inforadio. DNS-Analysen hätten bislang eine große Bedeutung in der gerichtlichen Praxis gehabt. Als Rechtsanwalt gehe er davon aus, dass viele seiner Kollegen jetzt die Fälle, bei denen eine DNS-Spur zur Verurteilung führte, überprüfen werden.

Die Furcht, dass falsche DNS-Spuren eine Verurteilung zur Folge haben könnten, ist eher unbegründet. Der Bundesgerichtshof hat erklärt, ein Urteil dürfe sich nicht allein auf die DNS stützen.

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