Süddeutsche Zeitung

Phantom-Jagd in Heilbronn:"Es gibt keine sterilen Wattestäbchen"

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Das Phantom von Heilbronn war gar keins: Rechtsmediziner Michael Tsokos erklärt, wie es zu dem Ermittlungschaos kommen konnte - und wie man Pannen künftig verhindern kann.

Takis Würger

Michael Tsokos, 42, leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité in Berlin und gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin. Im Auftrag der Berliner Polizei obduziert er Leichen von Unfalltoten und Opfern von Tötungsdelikten. Tsokos war einer der ersten fünf externen Experten, die die Opfer des Tsunamis in Südasien identifizierten. In den Jahren 1998 und 1999 arbeitete er im Kosovo und exhumierte Leichen aus Massengräbern. Für seine Arbeit wurde der Rechtsmediziner mehrfach ausgezeichnet.

sueddeutsche.de: Jahrelang haben Ermittler ein Phantom gejagt, das es gar nicht gibt. Was ist da schiefgegangen?

Michael Tsokos: Da haben manche Leute einfach nicht sauber gearbeitet. Wir Rechtsmediziner sagen das seit einem halben Jahr. Uns war völlig klar, dass es das Phantom nicht gibt. Wenn ich an sehr vielen verschiedenen Tatorten dieselbe DNS habe, ist es doch logisch, dass die Materialien der Spurensicherer verschmutzt sind. Die Ermittler haben einfach nicht eins und eins zusammengezählt.

sueddeutsche.de: Wie können auf einem sterilisiertem Wattestäbchen überhaupt DNS-Spuren liegen?

Tsokos: Die Stäbchen sind wohl bei der Herstellung kontaminiert worden. Auch auf Wattestäbchen, die angeblich steril sein sollen, finden wir immer wieder DNS-Spuren. Offensichtlich ist es nicht möglich, da wirklich sauber zu arbeiten. Sterile Wattestäbchen gibt es nicht. Wir arbeiten deshalb mit Ausschlusstabellen. Bei uns kommt das DNS-Profil von allen Mitarbeitern, die mit Spuren in Kontakt kommen, in eine Tabelle. Wir können dann prüfen, ob eine Kontamination der DNS vorliegt.

sueddeutsche.de: In diesem Fall wurden die Wattestäbchen anscheinend schon verunreinigt geliefert. Da hilft Ihr Ausschlussverfahren wenig.

Tsokos: Stimmt, man muss jetzt in der Firma, die die Wattestäbchen geliefert hat, von allen Mitarbeitern einen Mundschleimhautabstrich machen - dann finden Sie auch Ihr Phantom. Ich kann mir gut vorstellen, dass jetzt unheimliche Schadenersatzforderungen an diese Firmen herangetragen werden.

sueddeutsche.de: Kennen Sie weitere Fälle, in denen durch verunreinigtes Material falsche DNS-Spuren gefunden wurden?

Tsokos: Ich kenne keinen Fall in einem solchen Ausmaß wie diesen hier. Wir finden in unserem Labor zwar oft verschmutzte DNS, aber wir überprüfen das dann und finden schnell herraus, dass es die DNS eines Mitarbeiters ist.

sueddeutsche.de: Haben Ermittler die DNS-Analyse überschätzt?

Tsokos: Nein, jetzt dürfen wir nicht anfangen zu sagen, die DNS-Analyse hat keinen Wert. Es gibt genügend Straftäter, die auf Grund ihrer DNS überführt wurden.

sueddeutsche.de: Sollten Gerichtsurteile überdacht werden, in denen DNS-Spuren aus Wattestäbchentests als Beweismaterial genutzt wurden?

Tsokos: Auf keinen Fall. Das ist ein ganz anderer Schuh als die Suche nach dem Phantom. In einem Gerichtsverfahren wird ja nicht die DNS eines unbekannten Täters überprüft, sondern die eines Verdächtigen. Dazu kommt, dass DNS nie als alleiniger Beweis für ein Urteil gilt. Wir dürfen bloß nicht dahinkommen, alle Urteile zu überprüfen, die auf Grund einer DNS-Analyse gefällt wurden.

sueddeutsche.de: Was bedeuten also die Erkenntnisse aus dem Phantom-Fall für laufende Ermittlungsverfahren?

Tsokos: Der Phantom-Fall zeigt: Es müssen höhere Qualitätsstandards bei den Herstellern der Wattestäbchen und in den Labors garantiert werden.

sueddeutsche.de: Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert, dass die Hersteller von Wattestäbchen ihren Packungen die DNS-Merkmale der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen. Was halten Sie von der Idee?

Tsokos: Das ist ein sinnvoller Vorschlag. Aber eigentlich sollte es keine Kontamination geben. Die Hersteller von Wattestäbchen müssen einfach sauber arbeiten.

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