Süddeutsche Zeitung

Phänomen Eisbärbaby:Diesen Knutsch der ganzen Welt?

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Der EU-Gipfel in Berlin endet nicht im kompletten Desaster, alle Menschen werden Brüder, nur wegen ihm: Knut. Doch kann dieses Glück von Dauer sein? Warum wir bald sehr stark sein müssen.

Franziska Seng

Eine kleine Wolke unschuldigsten Weißes tapste am vergangenen Wochenende durchs Brillenbärgehege des Berliner Zoos: Eisbärbaby Knut debütierte in der Gesellschaft, und die ganze Welt sah zu. Der Wiener Opernball, wo sich in einem ähnlichen Zeremoniell der Nachwuchs den neugierigen Augen der Öffentlichkeit präsentiert, ist dagegen einfach nur fade.

In Wien: Schlaksige Debütantinnen und Debütanten beim verkrampften Versuch, einen lockeren Walzer aus Parkett zu legen, dazu horrende Eintrittspreise und Horror-Promis. In Berlin: Berliner Eintrittspreise, demokratisch gemischtes Publikum, dazu ein cooler Eisbär, der sich einen feuchten Dreck um seine Walzerschritte schert.

Seine Natürlichkeit, sein ungekünsteltes Verhalten, gerade gegenüber der medialen Öffentlichkeit, hat uns total entwaffnet. Selbst hartgesottene Journalisten liegen sich frag- und sprachlos weinend in den Armen, schlagartig wurden von ihrer Berufskrankheit, ihrem ätzenden Zynismus geheilt.

Endlich glücklich!

Knut ist erst dreieinhalb Monate alt, aber für viele ist er in diesem zarten Alter bereits ein Symbol: Für die Verantwortung beim Klimawandel, für humanes Verhalten gegenüber Tieren, auch für die Generation Patchwork-Family, schließlich haben sich Knuts Eltern aus dem Staub gemacht, und nun ist er in der liebevollen Obhut des allein erziehenden Tierpflegers.

Der tapfere und gute Knut ist pflegeleicht, er ist anhänglich und schlabbert dankbar seinen Nahrungspampe, was man von den wohlstandsverwöhnten Kids in Deutschland nicht immer behaupten kann. Er symbolisiert das Wahre, Schöne und Gute, und die Menschen saugen es dankbar auf: Sie hätte keine Lust mehr auf die ganzen Negativ-Schlagzeilen, so eine Knut-Besucherin, Knut mache sie nun endlich glücklich.

Doch warum gerade er, Knut? Im vergangenen Dezember wurden im Berliner Zoo neben Knut noch zahlreiche andere Tiere geboren: Zum Beispiel ein Bürstenschwanzrattenkänguruh, eine Berliner Langlatschige Elster und knapp zwei Dutzend muntere Tintenfische.

Warum entzücken wir uns nicht am Bürstenschwanz des Känguruhs, an den langen Latschen der jungen Elster, an den hundert fusselnden Tentakeln des Tintenfischnachwuchses? Psychologen kennen die Gründe für unsere Knut-Sucht, die Ursachen dafür liegen bei manchen von uns Jahrzehnte zurück.

Früher war die Welt noch in Ordnung

Was wir bisher verdrängt haben: Knut erinnert uns an unseren Teddy-Bären. Nein, noch mehr, er ist der Super-Teddy-Bär, den wir uns immer gewünscht haben: Er ist groß, weiß, sicherlich wahnsinnig kuschelweich - und lebendig. Das Trauma des frühen Verlustes sitzt tief.

Psychologisch ist die Sache schnell erklärt: Der Teddy-Bär ist dem Kind einerseits anvertraut und andererseits auch Beschützer für ihn. Kinder sorgen für ihren Teddy und betreuen ihn, andererseits brauchen sie ihn, um in Momenten der Unsicherheit und des Alleinseins Geborgenheit zu erfahren.

Der Teddybär dient auch der Projektion von Erwartungen und Sehnsüchten. In einer bestimmten Phase der Entwicklung muss eine Ablösung von diesen frühkindlichen Vorstellungen erfolgen; allerdings könnten sich auch bei Erwachsenen infantile Tendenzen halten.

Ja, Knut ist uns anvertraut: Wir haben ihn der unbarmherzigen Natur nicht ausgeliefert, wir haben ihn auch nicht tot gespritzt! Wir geben ihm zu essen und zu trinken. Und er gibt uns Zuversicht und Hoffnung: Mit ihm überleben wir den Klimawandel. Er beschützt uns vor Schnupfen und kalten Gedanken. Vor Zynismus und Einsamkeit. Vor den Russen und den Amerikanern.

Doch Professor Wik hat ernüchternde Nachrichten für uns: "Eisbären sind absolute Einzelgänger. Mit Geschlechtsreife nabeln sie sich ab." Schock! Und wir dachten, das könnte uns nicht noch einmal passieren, die Tränen, die Wut über die faulen Ausreden der Mutter, die wollte, dass wir endlich erwachsen werden: "Du kannst Teddy nicht mehr wieder haben, ich habe ihn in die Waschmaschine, da hat er sich einfach aufgelöst. Er war ja schon so kaputt. Du bist doch viel zu alt für einen Teddy!"

Knut wird also erwachsen werden. Auch er. Er wird über uns Menschen hinaus wachsen, eine gewöhnliche Bestie werden und uns allein lassen. Dann werden die schlechten Nachrichten wieder ungefiltert auf uns einprasseln können, wir sind wieder unglücklich.

Eine kleiner Lichtstreif leuchet uns jedoch in der Verbraucherdämmerung: "Wir bringen bald tolle Knut-Produkte heraus, wir haben den Namen Knut als Marke schützen lassen", so die Vertriebsleiterin des Berliner Zoos, Vivian Kreft. Knut-Produkte? Vielleicht ist da auch ein riesiger, weißer kuschelweicher Bär dabei? Ganz bestimmt! Der kommt uns dann nienieniemals in die Waschmaschine! Schließlich sind wir jetzt erwachsen.

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