Pflegekosten im Alter:Kinder haften für ihre Eltern

  • Wenn Eltern im Alter pflegebedürftig werden, müssen in Deutschland die Kinder zahlen. Seit mehr als 100 Jahren ist das so gesetzlich geregelt.
  • Der BGH versuchte, die Kindergeneration mithilfe von Steuervergünstigungen zu entlasten - mit mäßigem Erfolg.
  • Das Bundesjustizministerium sieht keinen Handlungsbedarf, obwohl staatliche Kassen von dem Gesetz nicht nur profitieren.

Von Wolfgang Janisch

Wer nach Gründen sucht, warum erwachsene Kinder von Rechts wegen für den Unterhalt ihrer alten und bedürftigen Eltern aufkommen müssen, der kann auf ein paar Tausend Jahre Rechtsgeschichte verweisen. Schon die griechische Polis kannte - wie tausend Jahre später die Germanen - das "Altenteil", das der Hoferbe den Eltern zu gewähren hatte; die Herren Platon und Aristoteles sprachen hier von einer "Dankesschuld". Im Jahr 1900 wurde der "Elternunterhalt" im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, dort steht er bis heute. Und da liegt das Problem.

Denn es haben sich einige Dinge geändert in den vergangenen 100 Jahren. Die Lebenserwartung hat sich verdoppelt, wer heute 60 Jahre alt ist, hat als Frau noch gut 20 und als Mann fast 17 Jahre vor sich. Und es geht im Jahr 2015 nicht mehr ums "Austragshäusl", sondern um professionelle Pflege.

Steigende Pflegekosten, ältere Menschen

Die Unterhaltspflicht der Kinder für ihre Eltern ist faktisch zu einem Pflegekostenbeitrag geworden: Die Sozialhilfeträger übernehmen die Pflegekosten - und klagen die Ansprüche bei den Nachkommen ein, wenn das Vermögen der Pflegebedürftigen nicht reicht.

Von 2002 an hat der Bundesgerichtshof (BGH) zwar gegengesteuert, um die "Sandwich-Generation", die eigene Kinder zu versorgen hat, nicht zu überfordern. Großzügige Freibeträge wurden geschaffen, Kreditraten und Altersvorsorge verschont. Trotzdem schlägt die Demografie inzwischen auf die Schreibtische der Anwälte durch: "Die Fälle werden häufiger, denn die Menschen werden älter - und die Pflegekosten steigen", sagt die Familienrechtlerin Eva Becker.

Und es trifft selten die Reichen, weil dort in der Elterngeneration meist genügend Geld da ist, sondern Facharbeiter, Lehrer, höhere Angestellte - Leute, die sich aus den bescheidenen Verhältnissen ihrer Eltern hochgearbeitet haben, sagt Heinrich Schürmann, Richter am Oberlandesgericht Oldenburg.

Konzept lohnt sich für den Staat nicht

Wer als Alleinstehender nach allen Abzügen 2000 Euro netto übrig hat, muss vielleicht 100 Euro abzweigen, bei 5000 Euro netto steigt der Anteil auf ein Drittel - bei Erwerbstätigen, die durch Steuern und Abgaben ohnehin die größten Lasten für die ältere Generation geschultert haben. "Die Problematik steckt im System." Schürmann fragt sich, warum man ein solches Grundsatzthema eigentlich den Gerichten überlässt - auf der Basis eines mehr als hundert Jahre alten Gesetzes. "Da ist doch eine politische Entscheidung fällig." Kommentar des Bundesjustizministeriums: Haben wir derzeit nicht auf der Agenda.

Hinzu kommt: Für die öffentlichen Kassen lohnt sich der Elternunterhalt nicht wirklich. Der Jurist Martin Hillebrecht hat für das Jahr 2007 ausgerechnet: Über den Regress beim Elternunterhalt nimmt der Staat - wenn man den steuermindernden Effekt bestimmter Aufwendungen einkalkuliert - pro Jahr gerade einmal 23 Millionen Euro ein.

Nach den jüngsten Statistiken dürften es vielleicht fünf oder zehn Millionen mehr sein. Allerdings sind die Einnahmen mit Ausgaben verbunden. Für die komplizierte Berechnung des Unterhaltsregresses sind nach Hillebrechts Schätzung rund 150 Sachbearbeiterstellen notwendig. Kosten: Elf Millionen Euro pro Jahr.

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