Paris:Wohnort: Flughafen Roissy-Charles de Gaulle

Seit 16 Jahren lebt und schläft ein Iraner ungestört auf dem Flughafen - jetzt hat Steven Spielberg seine Geschichte verfilmt mit Tom Hanks in der Hauptrolle.

Von Gerd Kröncke

Paris, 22. August - Ein bisschen verrückt ist er schon, der Flughafengast, der auf keinen Flug wartet und trotzdem seine Tage und Nächte auf dem Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle verbringt. Mehran Karimi Nasseri ist wahrscheinlich vor 59 Jahren im Iran geboren, so genau ist das nicht aus ihm herauszukriegen, und es verwischt sich auch langsam.

Paris: Mehran Karimi Nasseri lässt seine Gepäckwagen nie aus den Augen.

Mehran Karimi Nasseri lässt seine Gepäckwagen nie aus den Augen.

(Foto: Foto: AP)

Sicher ist nur, dass er die letzten 16 Jahre, also mehr als ein Viertel seines Lebens, auf dem Pariser Flughafen verbracht hat. Dort sitzt er, wird älter, mit den Jahren auch hagerer, seine Haare werden grauer und weniger. Auch schläft er dort, in unbequemer Haltung, weil die Sitzbänke nicht zum Schlafen gebaut sind.

Er lässt seine beiden Gepäckwagen und die paar prallen Pappkartons nicht aus den Augen. Darin hat er seine Habe verstaut. Manchmal trifft man auf den Straßen von Paris den Typ des Clochards, der sein Leben auf einem Trolley mit sich herumfährt, mit so einem hat der Mann vom Pariser Flughafen aber nichts gemein.

Vielmehr ist Mehran Karimi Nasseri von einer gewissen Eleganz, er pflegt sich nachhaltig im Sanitärbereich für die Reisenden. Er lebt im öffentlichen Raum, der seine Wohnung ist. Briefe an ihn werden von der französischen Post ohne weiteres zugestellt, als Adresse genügt: Sir Alfred Mehran.

Wohnort: Flughafen Roissy-Charles de Gaulle

So nennt er sich seit einiger Zeit: Sir, weil das Englisch klingt, Alfred, wegen Hitchcock, und Mehran hat er von früher behalten. Steven Spielberg hat einen Film gedreht, der im September anläuft. Tom Hanks spielt Sir Alfred.

Wahrscheinlich würde er sich nicht wiedererkennen in dem Film, sein Leben ist weniger aufregend. "Es sprechen nicht viele Menschen mit mir, manchmal rede ich einen ganzen Monat mit Niemandem", sagt er. Seit dem Film hat sich das zwar geändert, aber noch immer verbringt Sir Alfred seine Tage vor allem mit Lesen.

Bill Clintons Memoiren waren seine letzte Lektüre. Ob er sich den Film ansehen wird, ist zweifelhaft. Denn dann müsste er den Flughafen verlassen, und seine Habe stünde verwaist und könnte von den Sicherheitskräften konfisziert werden. Dabei ist die Zeit, da er kein Geld hatte, vorbei, seitdem ihm die Filmfirma Dreamworks eine vielstellige Summe für die Rechte an seiner Geschichte bezahlt hat, überwiesen auf sein Konto, das er sich bei der Post im Flughafen eingerichtet hat.

Vor sechzehn Jahren also ist er angekommen, und das war schon das Ende einer Odyssee. Sein Vater war Arzt bei der iranischen Ölgesellschaft, und als er starb, war Sir Alfred 23 Jahre alt. Da erfuhr er, dass seine Mutter in Wirklichkeit eine britische Krankenschwester war und dass ihn die Frau seines Vaters nur akzeptiert hatte, um einen Skandal zu vermeiden. Nun, nach des Vaters Tod, war das nicht mehr von Belang.

Lange hat Mehran Karimi Nasseri nach der Krankenschwester gesucht. Er hat in England studiert, hat seine Examen als Psychologe abgeschlossen. Als sie ihn nicht mehr nach England ließen, war er in Frankreich hängen geblieben, hatte sogar zweimal für ein paar Monate im Gefängnis gesessen.

Das alles hatte mit seinem illegalen Status zu tun. In den Iran aber konnte er auch nicht zurück. Er hatte zwar gegen den Schah opponiert, aber auch die neuen Herren waren ihm suspekt. 1988 installierte er sich in Roissy-Charles de Gaulle, ohne sich je ein Ticket zu kaufen. Einmal hat sein Anwalt ihm des nachts Paris gezeigt, das reichte ihm.

Nach zehnjährigem Kampf mit den Behörden hatte der Anwalt endlich eine Anerkennung als Flüchtling und eine Aufenthaltsgenehmigung für seinen Klienten durchgesetzt. Doch der eigensinnige Mann, der auf dem Flughafen lebt, weigerte sich, die nötigen Papiere zu unterschreiben. "Ich heiße nicht Mehran Karimi Nasseri. Ich heiße Sir Alfred Mehran", sagte er, und Iraner sei er auch nicht.

Manchmal gibt er sich als Schwede aus, die Nationalitäten wechseln. Drei Monate lange versuchte der Anwalt, Sir Alfred umzustimmen, dann war die Frist verstrichen. "Wenn Sie bereit sind", sagte der Anwalt, "werde ich da sein."

Er schaut einmal in der Woche vorbei. Die Angestellten des Flughafens und der Geschäfte tolerieren Sir Alfred, die Polizei unternimmt nichts. So wird er auf dem Airport bleiben, es sei denn, er brauchte eines Tages ärztliche Hilfe oder sonstige Betreuung, die über das ambulante Maß hinausginge. Sein Anwalt hat gelegentlich den herben Realitätsverlust seines Klienten beklagt.

Nun, da es den Film gibt, sprach Sir Alfred neulich in eine Fernsehkamera, könnte er sich auch eine Zukunft in Hollywood vorstellen.

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