Die Revolution muss noch kurz warten, weil Herr Sananda zum Rauchen gegangen ist. Endlich betritt er wieder den Vorlesungssaal, schenkt sich am Pult Wasser in die Tasse, klappt die Schreibablage eines Uni-Stuhls hoch, setzt sich, nimmt eine Denkerpose ein und gibt auf Badensisch Bescheid, dass er nun bereit sei. Sein derzeitiger Körper ist mindestens sein achtzigster. Er hat eine Glatze, einen Vollbart, ist um die 60 Jahre alt und stämmig. Als Jesus hatte er einst schlankere Hüften, als Buddha wiederum breitere, das weiß Herr Sananda dank detaillierter Überlieferungen. Aber was heißt schon wissen in diesen Tagen, in diesen trostlosen Räumen.
Ein Stockwerk tiefer liegt Sanandas Mitstreiterin Inge Lämmle auf einer Matte auf einem Tisch. Sie hat einen Arm in die Höhe gestreckt, er wird am Handgelenk gehalten von ihrer Freundin Vera, die beim selben privaten Briefdienst in Bad Waldsee arbeitet wie sie. "Ich bin die Armdrückerin", stellt sich Vera vor; das schallende Lachen der beiden, das durch das miefige Zimmer hallt, schreckt kurz die ernsten Skeptiker auf, die um die Frauen herumsitzen. Dann sagt die Armdrückerin: "Geliebtes hohes Selbst von Inge, sind wir mit diesem Arm verbunden?". Sie drückt gegen den Arm, aber der rührt sich kaum. Sie nickt einer Skeptikerin zu, die daraufhin, ganz klassisch über ihr Telefon, nach oben die Nachricht übermittelt: "Sie ist nun empfangsbereit."
Sie sind bereit für den Psi-Test, eine Überprüfung paranormaler Fähigkeiten durch die Skeptiker. Die Skeptiker, das sind Mitglieder der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften", kurz: Gwup. Sie trafen sich erstmals 1987 aus der Überzeugung heraus, "dass Wissenschaft und kritisches Denken für die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen wichtiger sind denn je."
Jeden Sommer laden sie in Räume der Universität Würzburg ein, um Menschen die Chance zu geben, gewissermaßen unter Laborbedingungen ihre behaupteten übernatürlichen Talente zu beweisen. Wer die Naturwissenschaftler von einer paranormalen Fähigkeit überzeugt, erhält 10.000 Euro, die von den Skeptikern privat gespendet wurden. An diesem wechselhaften Sommertag leiten die Biologen Martin Mahner und Rainer Wolf diese Tests. Mahner, mit Mitte 50 der Jüngste hier, sitzt nun mit Herrn Sananda oben. Wolf, der 3000 Euro für die Prämie spendiert hat, sitzt mit den armdrückenden Damen unten.
Sananda werden Fragen zugelost, die sehr leicht mit "ja" oder "nein" zu beantworten sind. Er liest jede Frage, schickt sie "an den Allerhöchsten", der sie wiederum an Inge im anderen Zimmer übermitteln soll. Die soll die Antwort empfangen und mit ihrem Arm kundtun: Fällt er nach leichtem Druck wie leblos auf die Matte, bedeutet dies ein "Nein", bleibt er vertikal stehen, heißt es: "ja". Zügig werden die 50 Fragen geschickt und die Antworten gegeben, nur einmal fragt Sananda, ob er eine Frage an den Allerhöchsten umformulieren dürfe. Die ursprüngliche Frage lautet: "Gab es vor den Dinosauriern schon Menschen?" Sananda aber möchte der Klarheit wegen "Menschen" durch "Homo sapiens" ersetzen. Mahner erlaubt ihm die Umformulierung so nüchtern, wie er zuvor die Testbedingungen erklärt oder Kaffee angeboten hat. Der Skeptiker verhält sich so korrekt wie möglich, nur selten rutscht ihm ein Herr Götze heraus. So hieß Herr Sananda früher.
Uwe Götze war am Boden. Mitte der 90er Jahre ging seine Firma pleite, seine Frau verließ ihn, und Ärzte diagnostizierten eine nicht behandelbare Autoimmunerkrankung. Er geriet an eine Heilerin, eine Psycho-Kinesiologin. Sie wollte den Beschwerden auf den Grund gehen und suchte mit der Arm-Methode nach seelischen Traumata. "Bei der ersten Behandlung", erzählt Sananda und kratzt sich am Bart, "suchte sie noch in meinem jetzigen Leben." Die zweite führte schon weiter zurück. Seine Schmerzen seien verschwunden, sagt er. Heute bietet er selber an, beim "Abarbeiten von Biographien" zu helfen. Vier bis sechs Stunden dauert eine Sitzung, sie kostet den Klienten - "Patienten nenne ich sie lieber nicht, aus rechtlichen Gründen" - etwa 100 Euro.
Seine Mitstreiterin Inge Lämmle ist eine langjährige Klientin. Sie sei zu ihm gekommen, weil sie keine richtigen Beziehungen zu Menschen habe eingehen können, sagt sie und lacht. Sie lacht nach jedem Satz. Nun seien ihre Traumata beseitigt, ihre Seele sei rein, sagt sie. Wie weit in die Vergangenheit musste sie gehen, um alles aufzuarbeiten? "14 Milliarden Jahre", sagt sie und lacht. Nein, das sei kein Witz. Vor ein paar Jahren, bei einer Sitzung, habe Sananda sich nicht getraut, ihr eine heikle Frage zu stellen. So habe er sie nur in seinem Kopf gestellt, und der Arm seiner Klientin habe trotzdem geantwortet. Später erklärten sie sich die wundersame Kommunikation damit, dass einst alle Seelen rein und dadurch miteinander verbunden gewesen seien. Erst durch die Traumata hätten sie sich voneinander distanziert. Da ihrer beiden Seelen nun gereinigt seien, könnten sie auf die ursprüngliche Verbindung zurückgreifen.
Warum hat er seinen Namen geändert? "Bei der Arbeit, in der spirituellen Kommunikation, hat sich immer wieder ein Herr Sananda eingemischt. Ich habe ihn gefragt: 'Ähm, kann es sein, dass wir etwas miteinander zu tun haben?'. Und er hat gesagt: ,Ich bin deine Seele. Was dagegen?'". Nun habe er eben den Namen seiner Seele angenommen, sagt Sananda.
Was sich hier zuträgt, mag wie ein skurriles Kammerspiel wirken, mit sprechenden Namen wie Mahner, Wolf oder Götze; mit Socken unter Sandalen, mit Zerstreuter-Professor-Frisuren und Mensa-Essen in der Pause. Für die Skeptiker aber sind diese Tests im Extremen ausgetragene Schlachten einer Gesellschaft, die über Homöopathie genauso lustvoll streitet wie über Horoskope, die Spiritualität entweder feiert oder belächelt. Es ist der Kampf zwischen den Übersinnlichen und den Überheblichen. Und einzig das Fehlen jeglicher Zweifel eint beide Lager.
Sananda ist zurück im Hörsaal und unterschreibt, dass der Versuch zu seiner Zufriedenheit durchgeführt wurde. Wolf vergleicht nun die unten mit dem Arm angezeigten Antworten mit den oben gestellten Fragen. 80 Prozent müssten übereinstimmen, um die Skeptiker zu überzeugen. Bis Frage 40 hat das Trio beachtliche 28 Treffer, aber bei den letzten zehn Fragen lagen sie nur vier Mal richtig. Sananda ist enttäuscht, er kann sich die Niederlage so wenig erklären, wie die Skeptiker seinen Sieg verstehen würden.
Der Biologe Rainer Wolf, der bis vor kurzem in diesen Räumen lehrte, hat kein anderes Ergebnis erwartet. "Mein Weltbild würde zusammenbrechen, wenn jemand den Test bestehen sollte", sagt er; anderseits findet Wolf, dass ein Zusammenbruch "sich lohnen würde". Das gewonnene Forschungsfeld wäre enorm, doch allein der Gedanke daran treibt ihm den Anflug eines Schocks übers Gesicht. In den mehr als 30 Tests, welche die Skeptiker bisher durchgeführt haben, scheiterte jeder der Kandidaten: Der Telekinetiker etwa, der eine seinem Gesicht ähnliche Maske ohne Berührung bewegen wollte; die Frau, die anhand von Porträtfotos eine Herzkrankheit der Abgebildeten erkennen wollte; und auch der Mann, der mit seiner Energie den Geschmack von Weißwein verbessern wollte.
Die Menschen, die sich bei den Skeptikern melden, sind keine Scharlatane, Betrüger fürchten die Enttarnung. Die Kandidaten indes sind nicht immer anständige, aber doch ehrlich von sich überzeugte Leute. Es sind oft von Krisen gezeichnete Menschen, die mit ihren neu entdeckten Kräften aus diesen Krisen gefunden haben. Werden sie schließlich im Labor ihrer Menschlichkeit, ihrer Durchschnittlichkeit gewahr, bricht eine Welt zusammen. Doch "bald finden sie Erklärungen für ihr Versagen", sagt Mahner.
Spätestens drei, vier Tage nach den Tests erhalte er Briefe der Kandidaten, in denen Störfaktoren wie etwa der Stand des Jupiters genannt würden. Bei Sananda dauert es nicht so lange. "Am Ende wurde ich müde, ich hätte doch eine Pause machen sollen", sagt er, bevor er sich verabschiedet. Mahner bescheidet ihm noch ungefragt, dass seine Trefferquote durchaus im Bereich der Zufallserwartung liegt.
Mahner teilt Wolfs leise Hoffnung auf eine wissenschaftliche Revolution wohl nicht. Für ihn scheinen die Tests nichts als ein Zirkus zu sein. Der respektvolle Umgang mit den Kandidaten gelingt ihm nur mit Mühe. Warum dann diese Prüfungen? "Wir Skeptiker wurden früher immer als dogmatische Neinsager kritisiert", sagt er, mit den Tests bewiesen sie öffentlichkeitswirksam ihre Offenheit.
In der Tür stehen die nächsten drei Opfer. Wünschelruten und Pendel sind zwei Instrumente, die den Skeptikern oft begegnen. Ingenieur Kurt Bühner, seine Tochter und deren Kollegin, zwei Osteopathinnen, haben beides mitgebracht. Dazu ein Goldstück, das Wolf irgendwo in einem 25 Mal 30 Kilometer großen Gebiet um Würzburg vergraben wird. In der Uni wollen die drei auf einer Landkarte erst mit der Rute, dann mit dem Pendel das vergrabene Gold lokalisieren. Dazu müssen sie mit dem Gold eine geistige Verbindung aufbauen.
Regen prasselt an die Fenster, und Mahner denkt an die vielen Stunden, die man bei der vergeblichen Jagd nach dem Gold im Matsch vergeuden wird. Schließlich fahren sie zu dem Feld, das Bühner auf der Karte angekreuzt hat. Wenigstens scheint die Sonne wieder. "Das Gold hat eine transferale Wellenwirkung. Deshalb legen sich um das Metall herum Reizstreifen. Die muss man finden und ihren Ausgangspunkt orten. Die Reize übertragen sich auf mein Gehirn, und vegetative Schwingung wirken auf meine Hand, die das Pendel hält", erklärt Bühner, der verloren auf dem Feld neben einem Industriegebiet steht. Der Wind macht der Pendelei zu schaffen. Die Frauen schreiten den Acker derweil mit der Wünschelrute ab. Furche für Furche. Mit jeder Stunde werden ihre Mienen verzweifelter. Aufgeben will er nicht, sagt Bühner, und zitiert Galilei: "Und sie bewegt sich doch."
Das Gold indes liegt etwa 20 Kilometer entfernt, mit dem Feldstecher beobachtet von Wolf, der sich in der Nähe versteckt hält. Die Abendsonne legt sich über das Feld, und Bühner gibt auf. Der Wind sei einfach zu stark, die Energie nicht mehr da. Doch Mahner schlägt Bühner vor, es doch noch mal mit dem Metalldetektor zu versuchen. Die Demütigung geht in die Verlängerung. Bühner holt sein Gerät, er kann nicht glauben, will nicht glauben, dass seine Kräfte nicht wirken.
Aber was heißt schon glauben in diesen Tagen, auf diesem gottverlassenen Acker.