Parapsychologie:Anwalt der Spukgeschädigten

Der verstorbene Gatte erhebt sich aus dem Grab. Roy Black lässt Unverständliches aus dem Jenseits erklingen. Dies sind Fälle für Walter von Lucadou, dem Leiter von Deutschlands einziger parapsychologischer Beratungsstelle.

Mareike Ludwig

Wenn bei Walter von Lucadou das Telefon klingelt, sagen die Menschen am anderen Ende der Leitung oft: "Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin. Mir ist da 'was Seltsames passiert." Dann drückt Lucadou den Hörer ein wenig fester an sein Ohr und rutscht auf dem Schreibtischstuhl nach vorne. Denn er weiß, dass sein Anrufer richtiger nicht verbunden sein könnte und dass nun Geschichten über Geister, magische Flüche, Stimmen aus dem Jenseits oder esoterische Scharlatane folgen.

Walter von Lucadou

Psychologe, Physiker und Experte für Übersinnliches: Walter von Lucadou

(Foto: Foto: dpa)

Er hört sie sich an, oft stundenlang, und streicht dabei den graumelierten Kinnbart, der ihn wie einen spitzfindigen Sachbearbeiter aussehen lässt. In gewisser Weise ist er das auch: sein Zuständigkeitsbereich: X-Akten.

Walter von Lucadou leitet Deutschlands einzige parapsychologische Beratungsstelle. Seit 18 Jahren gibt es diese vom Land Baden-Württemberg geförderte Einrichtung im südbadischen Freiburg bereits; noch immer ist sie bundesweit die einzige.

Zwei Drittel der Deutschen haben paranormale Erlebnisse

Ein Zustand, den der promovierte Psychologe Lucadou für sehr bedenklich hält. Wo doch eine repräsentative Umfrage des Allensbacher Instituts belegt, dass 73 Prozent aller Deutschen schon ein- oder mehrmals im Leben ein sogenanntes subjektiv paranormales Erlebnis hatten. Dass sie also von Wahrträumen, Begegnungen mit Verstorbenen, Spukphänomenen, Déjà-vu-Erfahrungen oder dem Gefühl, verhext zu sein, berichten. "Das muss man sich mal vorstellen", empört sich Lucadou, "zwei Drittel der Bevölkerung und niemand erklärt ihnen, wie sie damit umgehen sollen!"

Die Menschen, die in Freiburg um Rat in rätselhaften Angelegenheiten fragen, sind daher viele - mehr als 2500 pro Jahr. Manchmal meldet sich gar die Polizei, wenn sie bei ihren Ermittlungen nicht mehr weiterkommen. So wie neulich, als nachts um drei ein hilfloser Streifenbeamter aus der Wohnung einer alten Frau anrief, die ihn wegen einer Geistererscheinung alarmiert hatte: Die Frau behauptete, dass ihr vor wenigen Tagen verstorbener Mann im Fernsehsessel auf sie gewartet habe, als sie abends nach Hause kam. Inzwischen fehlte vom Geist jede Spur.

"Phantastische Leistung unseres Gehirns"

Falls dem Experten nichts Besseres einfiele, würde er die Dame nun in die Psychiatrie bringen, sagte der Polizist. Lucadou empfahl, die Ruhe zu bewahren. Weil es sich vielmehr um eine "phantastische Leistung unseres Gehirns" handele als um ein Gespenst: Fehlende Informationen im bereits bekannten Kontext werden automatisch ersetzt.

Im Alltag passiert uns das regelmäßig, ohne dass wir den Schwindel bemerken - wir sehen also häufiger Gespenster, als uns bewusst ist. Im Fall der alten Dame war die fehlende Information der Ehemann im Sessel, in dem sie ihn jahrzehntelang hatte sitzen sehen. "Wenn die Leute das wissen, hilft es ihnen, nicht in Panik zu geraten", sagt Lucadou. "Aber man muss es ihnen erklären. Und man muss sie ernst nehmen."

Betroffene, die in der parapsychologischen Beratungsstelle Hilfe suchen, haben oft schon eine wahre Odyssee hinter sich. Sie wurden von Mitmenschen belächelt, von Ämtern ignoriert oder von Ärzten für psychisch krank erklärt und mit Psychopharmaka behandelt. Lucadou ist meist der Erste, der nicht an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifelt.

Sein Prinzip ist es, den Geplagten erst einmal Glauben zu schenken: "Man kann doch den Leuten nicht zu ihrem ganzen Ungemach auch noch die Beweislast aufladen. Wenn jemand von einem Gauner niedergeschlagen wurde, verlangt die Polizei ja auch nicht, dass er die Ermittlungen führt."

Anwalt der Spukgeschädigten

Die Nachforschungen übernimmt deshalb Lucadou - als eine Art Robin Hood der Spukgeschädigten. Oft hilft ihm dabei sein interdisziplinäres Basiswissen, denn er ist nicht nur promovierter Psychologe, sondern auch Doktor der Physik. "Ich betrachte die Dinge mit zwei unterschiedlichen Augen", pflegt er zu sagen. Für manch gruselige Angelegenheit findet er so schnell eine einleuchtende Erklärung.

Etwa für jene Schlagerkassette, auf der Roy Black gelegentlich Unverständliches aus dem Jenseits herübergetragen haben soll - der Rekorder war dejustiert und spielte die falsche Seite des Bandes unvermittelt rückwärts ab.

"Der Spuk hat immer eine Botschaft"

Andere Rätsel wiederum sind mit konventionellen Methoden nicht zu knacken. Eines allerdings hält Lucadou für gewiss, wenn Bilder wackeln, Türen knallen oder Kinderstimmen aus dem Keller wimmern: "Der Spuk hat immer eine Botschaft." Und die gilt es herauszufinden, um den Betroffenen zu helfen.

Im Falle einer Familie im badischen Raum gelang dies gerade noch, kurz bevor sie ihre Gastwirtschaft schließen wollte - wegen Spukerscheinungen: Es rollten Fässer durch den Keller, Tiere sträubten sich dagegen, das Haus zu betreten, ein Ritter in Rüstung geisterte im Wohnzimmer umher und schließlich, so erzählt es Lucadou, flog sogar ein Messer knapp am Kopf der Wirtin vorbei.

Dann endlich gelang es dem Psychologen, die "Nachricht aus dem Jenseits" zu entschlüsseln: Das Geistertreiben hatte offenbar das Ziel, den Hausherrn heimzuholen, der tagsüber - auch gegen seinen eigenen Willen - einem Job im Nachbarort nachging anstatt seiner Frau zu helfen. Nach der Kündigung hatte es sich im Wirtshaus ausgespukt.

Talent zum Poltern

Lucadou geht davon aus, dass manche Menschen unwissentlich ein Talent dazu haben, es um sich herum poltern zu lassen. Das Prinzip ist für ihn das gleiche wie bei einer psychosomatischen Störung - mit dem Unterschied, dass die seelischen Probleme sich nicht im eigenen Körper manifestieren, sondern in der Umgebung.

Mit anderen Worten: Lucadou glaubt, dass die Wirtin selbst unbewusst die Fässer rollen und die Rüstung klappern ließ, als Ventil für den Frust über die unbefriedigende Situation. Psychische Spannungen, die sich im Verschieben von Materie manifestieren? Nachweisen kann Lucadou diese These zwar nicht, doch die Beweislast scheint ihn nicht zu drücken: "Es ist ein Irrglaube, dass wir nur mit Dingen umgehen können, die wir verstanden haben", erklärt er.

Nachhilfe für Scharlatane

Viel häufiger als mit Spukphänomenen und Gespenstern hat Lucadou es aber mit gewöhnlichen Scharlatanen aus dem Diesseits zu tun. Mit selbsternannten Hellsehern und Heilern, die den Leuten durch faule Tricks das Geld aus der Tasche ziehen.

Oder schlimmer noch - die aus Überzeugung handeln: "Das sind dann diejenigen, die in bester Absicht den größten Schaden anrichten." In der Freiburger Beratungsstelle landen jedes Jahr unzählige Menschen, die zu Opfern solch esoterischer Selbstverwirklichungskünstler wurden und weil Lucadou nicht nur Aufräumarbeit, sondern auch Prävention betreiben möchte, arbeitet er gelegentlich sogar mit Scharlatanen zusammen: "Wenn diese Wunderheiler das Gespräch mit mir suchen, bemühe ich mich, ihnen wenigstens noch ein paar psychologische Grundlagen zu vermitteln. Die lassen sich von ihrem Vorhaben sowieso nicht abbringen."

Wenn all die Beträge, die er den Krankenkassen so durch seine Arbeit erspare, der Beratungsstelle zugute kämen, würde er im Geld schwimmen, vermutet Lucadou. Leider sieht die Realität anders aus: Wegen knapper Finanzen hat das Land Baden-Württemberg die Zuschüsse um 20 Prozent gekürzt und ein Richter, der die Beratungsstelle regelmäßig mit Geld aus dem Bußgeldfonds unterstützte, ist gerade in Rente gegangen.

Um die beiden Halbtagsstellen der Einrichtung weiter finanzieren zu können, muss Lucadou nun zusätzlich 50.000 Euro pro Jahr auftreiben. Die nächsten Monate wird er sich daher einem sehr realen Problem widmen: Er muss auf Sponsorensuche gehen. Was ihm viel weniger liegt als das Übernatürliche. Weil er eigentlich ein Mensch sei, "der lieber vor sich hin forscht".

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