Süddeutsche Zeitung

Paralympics-Sportler vor Gericht:Der Pistorius-Prozess gilt als Testfall für Südafrikas Justiz

  • Als Oscar Pistorius im Oktober 2014 lediglich wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde, gab es heftige Kritik.
  • Das Berufungsgericht in Bloemfontein hat das erstinstanzliche Urteil jetzt aufgehoben. Es ist der Ansicht, der Sportler sei wegen Totschlags zu verurteilen.
  • Über das Strafmaß wird im kommenden Jahr entschieden.

Von Tobias Zick, Kapstadt

Er ist reich, er ist weiß, und deshalb wird er mit Samthandschuhen angefasst - das war der Tenor der wütenden Kommentare in Südafrika, als Oscar Pistorius im Oktober früher als erwartet wegen guter Führung aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen wurde.

Der beidseitig beinamputierte Sportler war im Februar 2013 verhaftet worden, nachdem er seine Freundin Reeva Steenkamp durch die Badezimmertür seines eigenen Hauses erschossen hatte.

Schon nach der Urteilsverkündung im Oktober 2014, als ihn Richterin Thokozile Masipa zu fünf Jahren Haft verurteilte, wegen fahrlässiger Tötung statt Totschlags, hatte es bittere Kritik gegeben: Wer betucht genug sei, um sich Star-Anwälte zu leisten, komme glimpflich davon. Und viel Geld haben in Südafrika auch zwei Jahrzehnte nach Ende der Apartheid mehrheitlich Weiße. Der Prozess hatte vielen als Testfall für die Justiz der politisch freien, aber gesellschaftlich und wirtschaftlich noch immer gespaltenen "Regenbogennation" gegolten. Vor allem in den Augen vieler schwarzer Südafrikaner war klar: Test nicht bestanden.

Richterin in erster Instanz entschied "im Zweifel für den Angeklagten"

Rassistische Voreingenommenheit allerdings hatte man der Richterin nicht ernsthaft vorwerfen können: Thokozile Masipa, geboren in Soweto, der bekanntesten Township des Landes, war 1998, vier Jahre nach Ende der Apartheid, als eine der ersten schwarzen Frauen zur Richterin berufen worden. In anderen Fällen von Gewalt durch (weiße) männliche Angeklagte war sie nicht durch zimperliche Urteile aufgefallen.

Jene, die der Richterin beisprangen, hielten ihr im Fall des Pistorius-Urteils zugute, sie habe nach dem alten Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden. In ihren Augen war Pistorius nicht zweifelsfrei nachzuweisen, dass er mit dem Vorsatz gehandelt hatte, seine Freundin zu töten. Der Sprintstar selbst hatte beteuert, er sei irrtümlich davon ausgegangen, hinter der Tür habe sich ein bewaffneter Einbrecher verschanzt, während Reeva Steenkamp im Bett liege und schlafe.

Kritiker aber warfen Masipa vor, das Strafrecht falsch ausgelegt zu haben: Pistorius habe zweifellos in vollem Bewusstsein gehandelt, dass seine Schüsse tödlich sein würden. Es liege also vor, was Juristen als "dolus eventualis" bezeichnen, Eventualvorsatz.

Genau so argumentierte jetzt auch ein Berufungsgericht in der Stadt Bloemfontein - und verurteilte Pistorius wegen "murder", was im deutschen Strafrecht etwa dem Tatbestand des Totschlags entspricht. Richter Eric Leach erklärte, das Urteil der ersten Instanz habe "grundlegende Irrtümer" enthalten. Der Eventualvorsatz sei eindeutig gegeben. Es sei nicht entscheidend, ob Pistorius gewusst habe, dass sich seine Freundin hinter der Badezimmertür befand. Es gehe darum, ob er sich im Klaren war, dass die Person hinter der Tür durch sein Handeln getötet werden könnte.

Identität des Opfers "nicht ausschlaggebend"

"Ich habe keinen Zweifel", sagte Leach, "dass der Angeklagte, als er die tödlichen Schüsse abgab, notwendigerweise vorhersehen musste und vorhergesehen hat, dass die Person hinter der Tür, wer auch immer sie war, zu sterben drohte". Die Identität des Opfers sei "nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Schuld".

Jetzt muss die Vorinstanz ein neues Strafmaß festlegen. Auf Totschlag stehen in Südafrika mindestens 15 Jahre Haft. Die Entscheidung wird für Anfang des kommenden Jahres erwartet. Bis dahin wird Pistorius sich wohl weiter im Haus seines Onkels in Pretoria aufhalten, in dem er seit Beginn seines Hausarrests wohnt.

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