Friedrich Weber ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Braunschweig und Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Der 64-Jährige Theologe engagiert sich als Catholica-Beauftragter der deutschen Lutheraner in verschiedenen Gremien für die Einheit der Kirche und ist Mitherausgeber der "Ökumenischen Rundschau". Angesichts der Wahl Jorge Mario Bergoglios zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche äußerte sich Weber "positiv überrascht".
Süddeutsche.de: Herr Bischof, wie geht es der Ökumene?
Friedrich Weber: Man muss nur etwa 50 Jahre zurückblicken, um zu erkennen, wie viel sich im ökumenischen Miteinander verändert hat. Wir haben heute Gemeindepartnerschaften, in deren Rahmen katholische und evangelische Christen die selben Räume nutzen oder sogar gemeinsame Gottesdienste feiern. Es gibt eine wechselseitige Anerkennung der Taufe und Lehrgespräche, in denen Theologen beider Konfessionen nach gegenseitigem Verständnis suchen. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den sechziger Jahren wäre das alles undenkbar gewesen. Aber gerade weil in der Vergangenheit so viel erreicht wurde, werden die noch offenen Fragen jetzt umso drängender. Dabei geht es vor allem um das Kirchenverständnis.
Können Sie das genauer erklären?
Es geht darum, was - beziehungsweise wer - überhaupt als "Kirche" angesehen wird. Im Jahr 2007 hat die römische Glaubenskongregation ein von Benedikt XVI. autorisiertes Schreiben veröffentlicht, das betont, die evangelischen Kirchen seien nicht als "Kirchen" sondern lediglich als "Gemeinschaften" zu verstehen. Auch von "Defekten" auf protestantischer Seite war die Rede. So etwas ist natürlich erschütternd.
Sie nennen den Namen des zurückgetretenen Papstes. Am Anfang seiner Amtszeit wurden von evangelischer Seite durchaus Hoffnungen in Benedikt XVI. gesetzt. Was hat er falsch gemacht?
Sicherlich gab es gewisse Hoffnungen, weil Benedikt die evangelische Theologie gut kennt und lange mit evangelischen Kirchen zu tun hatte. Ich bin auch überzeugt, dass ihm die Einheit der Kirche ein aufrichtiges Anliegen war. Nur die Umsetzung war begrenzt. Er war zu sehr in theologischen Grundüberzeugungen verhaftet, die ihm manche Schritte unmöglich machten - Schritte, die wir Lutheraner uns gewünscht hätten. Ich weiß nicht, ob er etwas falsch gemacht hat. Er ist seinen Überzeugungen treu geblieben und hat vielleicht einfach nicht den Mut aufgebracht, neue Wege zu denken.
Sehen Sie die Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio jetzt als Chance?
Noch lässt sich nicht viel sagen. Man wird in den kommenden Tagen sehen müssen, welche Spuren er legt. Joseph Ratzinger hat sich während seiner gesamten beruflichen Laufbahn profund zu ökumenischen Themen geäußert, daher kannte man seine Positionen. Über das Ökumeneverständnis von Franziskus ist uns - zumindest hier in Deutschland - wenig bekannt. Es ist also schwer zu sagen, was kommt.
Was würden Sie sich denn wünschen?
Ich erhoffe mir, dass er die intensiven Dialoge des Einheitsrats wahr- und ernstnimmt und den Einheitsrat ermutigt, diesen Weg weiterzugehen. An einem der Dialoge bin ich als Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa direkt beteiligt. Gerade im lutherisch-katholischen Dialog wird seit Jahren vertrauensvoll und intensiv zusammengearbeitet. Die internationale Kommission wird demnächst ein Papier zum Reformationsjubiläum vorstellen. In dem Papier wird auch versucht, die Geschichte der Reformationszeit gemeinsam darzustellen. Es wäre schön, wenn Franziskus diesen wichtigen Impuls aufgreift.
Was sollte der Vatikan hinsichtlich erzkonservativer katholischer Strömungen unternehmen?
Ich hoffe, dass Franziskus den Status der Piusbrüder klärt. Die Priesterbruderschaft will die ökumenische Öffnung rückgängig machen und einer Theologie, die auch wissenschaftliche Erkenntnisse mit einbezieht, einen Riegel vorschieben. Ganz zu schweigen von ihrer extremen Haltung gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Wenn die Piusbrüder anerkannt werden, könnte das für den Dialog zwischen den Kirchen weitreichende Folgen haben. Die Piusbrüder sind eine Gefahr für die Ökumene.
Unmittelbar nach der Wahl des neuen Papstes haben Sie gesagt, sie seien von der Entscheidung des Konklaves "positiv überrascht". Wen hatten Sie als nächsten Papst erwartet? Wen erhofft?
Ich habe mir einen Pontifex gewünscht, also einen Brückenbauer und einen, der in diesem Amt Mensch ist, fühlt, sieht und versteht, was Menschen - gerade die Armen im weitesten Sinn - bewegt. Und ich wünsche mir, dass er Verständnis für das Christentum in anderen konfessionellen Gestalten hat. Die Wahl des Namens Franziskus legt zumindest nahe, dass er sich in der Nachfolge eines Kirchenreformers sieht, der sein Wirken am Beispiel Jesu orientierte und dem das Wohl der Schöpfung und der Armen Maß seines Handelns war.
Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat davor gewarnt, zu viel Hoffnung in einen einzelnen Menschen zu setzen. Hat sie Recht?
Da würde ich ihr zustimmen. Im Bezug auf die Ökumene kann der neue Papst sicherlich nur gemeinsam mit vielen anderen in der katholischen Kirche etwas erreichen. Gleichzeitig kann er aber in seiner Position als Kirchenoberhaupt sicherstellen, dass sich die Glaubenskongregation auch wirklich mit ökumenischen Ergebnissen auseinandersetzt. Und er kann in Predigten und Verlautbarungen Impulse setzen.
Sie selbst haben gesagt, als Lateinamerikaner kenne Bergoglio auch die Befreiungstheologie. Denken Sie, er wird sich gesellschaftskritischer zeigen als seine Vorgänger?
Sicherlich. Er ist selbst kein Befreiungstheologe, stimmt aber in seiner Fürsorge für die Armen mit der Befreiungstheologie überein. Es ist also damit zu rechnen, dass er wachsam mit gesellschaftlichen Fragen wie Armut und Gerechtigkeit umgeht - und dass er auch Stellung bezieht.
Wie sollte sich der neue Papst gegenüber anderen Glaubensrichtungen - zum Beispiel gegenüber dem Islam - verhalten?
Er sollte das Gespräch suchen und zuhören. Benedikt XVI. hat zum Beispiel die Blaue Moschee in Istanbul besucht. Ähnliches erwarte ich auch von Franziskus. Er sollte mit symbolischen Gesten und Besuchen das Miteinander fördern - das Miteinander der Religionen genauso wie das Miteinander innerhalb des christlichen Glaubens.