Süddeutsche Zeitung

Papst Franziskus:Später Brückenschlag

Argentinien war in seiner Selbstwahrnehmung stets der Brückenkopf Europas. In der Lebensgeschichte Jorge Mario Bergoglios ist die Verbindung noch sehr präsent. Doch mit der Wahl eines argentinischen Papstes kommt die Kirche sehr spät - Lateinamerika ist bereits dabei, sich von Europa abzuwenden.

Ein Kommentar von Sebastian Schoepp

Nun also auch noch Papst. Kein Zweifel, Lateinamerika ist im Aufwind. Seit geraumer Zeit betonen lateinamerikanische Politiker bei jeder sich bietenden Gelegenheit, diese Dekade sei ihre Dekade. Und haben sie nicht auch einiges vorzuweisen? Gute Wirtschaftszahlen, einen wachsenden Mittelstand, weitgehend gefestigte Demokratien. Immer mehr Menschen finden den Weg aus der Armut. Man kommt an Lateinamerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr vorbei. Dem hat nun auch die katholische Kirche Rechnung getragen, indem sie einen Argentinier zum Papst kürte.

Sie nähert sich der Neuen Welt damit sozusagen in Trippelschritten. Argentinien war in seiner Selbstwahrnehmung stets der Brückenkopf Europas. In der Lebensgeschichte Jorge Bergoglios ist die Brücke von Italien an den Rio de la Plata noch präsent. Die Kirche kommt mit ihrem Brückenschlag allerdings spät, nämlich zu einem Zeitpunkt, da Lateinamerika sich von Europa abzuwenden beginnt. Politisch suchen viele Länder einen eigenen Weg jenseits des marktradikalen Mainstream. Daneben entdecken Nachkommen der Ureinwohner ihr indigenes, präkolumbisches Erbe neu.

Noch leben 42 Prozent aller Katholiken in Lateinamerika. Doch die Kirche, die den Kontinent seit der Conquista geformt hat wie keine andere Kraft, ist in der Defensive. Protestantische Freikirchen finden vor allem in der aufstiegsorientierten Mittelschicht rasenden Zulauf. Die Evangelikalen predigen nicht das Jenseits, sondern die protestantische Ethik, dass man schon im Diesseits durch Leistung zur Erlösung gelangen und dadurch den Ruhm vor Gott mehren kann. Die Theologie der Befreiung wollte die katholische Kirche in den Achtzigerjahren für die irdischen Nöte der Menschen öffnen. Sie wurde jedoch von Papst Johannes Paul II. zerschlagen, was ein enormer Rückschritt war.

Gegen Kirchenführung, Konquistadoren und Krone

Mit ihrer Entscheidung, einen Jesuiten zum Papst zu machen, knüpft die Kirche nun an ein fernes Kapitel ihrer Geschichte an, das in einigen Aspekten wie eine Frühform der Befreiungstheologie aussieht: In entlegenen Siedungen, Reduktionen genannt, versuchten die Jesuiten im 17. Jahrhundert das "Heilige Experiment" einer Missionierung, die die Lebensformen der Ureinwohner respektierte. Das brachte sie in Konflikt mit Kirchenführung, Konquistadoren und Krone und führte letztlich zu ihrer Vertreibung aus Lateinamerika. Die Wahl von Franziskus wirkt in dieser Hinsicht geradezu wie eine historische Revision.

Für die Millionen Armen Lateinamerikas, auf die Franziskus sich beruft, kann das eigentlich nur eine gute Nachricht sein. Nie haben sich so viele Kräfte um sie bemüht. Neben den Kirchen sind das die linken Regierungen, in Argentinien repräsentiert von der Peronistin Cristina Fernández de Kirchner. Dass die Präsidentin dabei mit dem konservativen Kardinal Bergoglio in Konflikt geriet, liegt in der Natur der Sache: Beide kämpfen um die Seelen, jedoch von entgegengesetzten Standpunkten aus.

Als Südamerikaner kennt Bergoglio beide Welten - Arm und Reich. Er stammt aus kleinen Verhältnissen, war als junger Mann schwer krank. Er verabscheut Pomp, hört gern Tango, liebt Fußball und fuhr als Kardinal U-Bahn, was man sich bei Joseph Ratzinger schwer vorstellen konnte. Seine Herkunft macht ihn als Papst Franziskus zum durchaus glaubwürdigen Repräsentanten eines Neuanfangs der Kirche im Süden.

Trotzdem wird der neue Papst in Lateinamerika nicht uneingeschränkt gefeiert. Von Mexiko bis Feuerland wird hitzig Bergoglios Rolle während der argentinischen Militärdiktatur diskutiert. Keine der brutalen lateinamerikanischen Diktaturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war so totalitär wie diese. Sie zwang jeden Bürger zur Positionierung. Die Kirche blieb gespalten. Die Spitze begrüßte die Generäle - wie eine Mehrheit der Ober- und Mittelschicht, auch wenn sie heute nicht mehr gerne daran erinnert wird. Viele Priester hingegen leisteten Widerstand.

Bergoglio entschied sich nach allem, was bekannt ist, für eine Rolle in der Mitte. Das hat ihm von Seiten der Verfolgten den Vorwurf eingetragen, er habe sie verraten, was Bergoglio zurückweist. Das Konklave betrachtete die Vorwürfe offenbar als nicht schwerwiegend genug.

Warum hat man unter den vielen Kandidaten aus Lateinamerika nicht einen Unbelasteten genommen? Zum einen, weil die Kirche ihr problematisches Verhältnis zu Diktaturen mitnichten aufgearbeitet hat. Zum anderen mag auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, dass man so einen Papst bekommt, der die Menschen mittels seiner Geschichte stets mit der Frage konfrontieren wird: Was hätte ich in seiner Lage getan?

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SZ vom 15.03.2013/feko
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