Papst Franziskus hat an diesem Dienstag eine Regierungserklärung abgegeben, in ihr fordert er nichts weniger als den radikalen Umbau seiner katholischen Kirche. Das heißt: Eigentlich hat der Mann aus Argentinien, der da seit bald einem dreiviertel Jahr von Rom aus die größte Glaubensgemeinschaft der Welt leitet, nur ein Apostolisches Schreiben mit dem Titel "Evangelii gaudium", "die Freude des Evangeliums", veröffentlicht, in dem er zusammenfasst, was ihm nach der jüngsten Bischofssynode im Vatikan eingefallen ist.
Die fand im Oktober 2012 statt, der Papst hieß noch Benedikt XVI., und dass der nur vier Monate später zurücktreten würde, erschien undenkbar. Aber schon damals sagten viele Bischöfe: So kann es nicht weitergehen. Meist haben die Päpste in den so genannten nachsynodalen Schreiben die Anliegen der Bischöfe einsortiert und abgeschwächt. Franziskus hat das Gegenteil getan. Er hat das Gesagte zugespitzt und ihm eine eigene Sprache gegeben, ein 180-Seiten-Plädoyer ist entstanden, das von den Kirchenvätern bis hin zur Kapitalismuskritik reicht. Es ist eine Programmschrift; seit mehr als 50 Jahren hat kein Papst so radikal von seiner Kirche Veränderung gefordert.
"Raus mit euch!"
"Raus mit euch!" heißt der Kern der Botschaft an die Bischöfe, Priester, Gemeindemitglieder. Geht heraus aus euren bequemen, bürgerlichen Kirchenstrukturen und dem wärmenden Kreis der Überzeugten - verkündet das Evangelium an den Rändern der Städte, den Randexistenzen der Gesellschaft, den Armen, Einsamen, Zweiflern. "Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und Bequemlichkeit krank ist", schreibt er, und dass er sich einen "Zustand permanenter Mission" wünsche - manchmal klingt das päpstliche Pathos wie bei einem Erweckungsprediger aus seiner argentinischen Heimat.
Die Erneuerung fängt bei seinem Amt an, schreibt Franziskus. Vom päpstlichen Lehramt könne man keine "endgültige und vollständige Aussage zu allen Fragen" erwarten, sagt er gleich zu Beginn; notwendig sei eine "heilsame Dezentralisierung" in der Kirche, auch die örtlichen Bischofskonferenzen seien Trägerinnen "einer gewissen authentischen Lehrautorität". Auch stünden nicht alle kirchlichen Lehren für alle Zeiten fest: "Haben wir keine Angst, sie zu revidieren!" Der Papst geht mit dem falschen Klerikalismus ins Gericht, den er in seiner Kirche wahrnimmt. Er fordert eine "Kirche der offenen Türen" auch für Sünder: "Die Eucharistie ist nicht die Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen" - dies müsse "auch pastorale Konsequenzen haben". Da dürfte es Gerhard Ludwig Müller, dem Präfekten der Glaubenskongregation, in den Ohren klingeln: Er hat erklärt, dass Geschiedene, die wieder heiraten, nicht zur Kommunion gehen dürfen, basta.
So konkret wird Franziskus in dem Schreiben selten - meist nur dann, wenn er erklärt, was alles nicht geht: Frauen soll der Zugang zum Priestertum verwehrt bleiben, auch wenn der Papst sich "eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche" wünscht, was immer das heißen mag. Auch bleibt die Abtreibung für ihn eine Todsünde; es sei "nicht fortschrittlich sich einzubilden, Probleme zu lösen, indem man menschliches Leben vernichtet" schreibt er, wie überhaupt Franziskus, wenn es um Ehe, Familie, den Zusammenhalt der Gesellschaft geht, ganz in der Sprache des Konservatismus den Zerfall von Bindungen beklagt - der Pontifex ist eben radikal, nicht liberal.
Linksradikale Kritik
Geradezu linksradikal, wenn man die gängigen Klischees ansetzen mag, erscheint des Papstes Kapitalismus- und Reichtumskritik. Das ökonomische System sei "in der Wurzel ungerecht": "Diese Wirtschaft tötet." Es sei "unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse an der Börse Schlagzeilen macht." Der Mensch werde als Konsumgut betrachtet, "das man gebrauchen und dann wegwerfen" könne, die Ausgeschlossenen würden zu "Müll" und zu "Abfall". Das Fazit: "Das Geld muss dienen und nicht regieren!"
Das Apostolische Schreiben sei ein "prophetischer Aufruf an die Kirche", hat der Münchner Kardinal Reinhard Marx gesagt; der Bischofskonferenzvorsitzende Robert Zollitsch aus Freiburg spricht von einer "beeindruckenden Analyse" in "klarer und erfrischender Sprache". Man lobt als Bischof, wenn der Papst schreibt - diesmal auch, weil sich die meisten deutschen Bischöfe in ihrem Bemühen gestützt sehen, mit der Welt außerhalb der Institution ins Gespräch zu kommen. Im Grunde aber müssten sie sagen: Herr Jesus, was mutet der Papst uns da zu?