Dreimal fährt Andrew M. in den kalten Winternächten des Jahres 2003 vor dem Waisenhaus am Rande von Sankt Peterburg vor. Jedes Mal holt er ein Mädchen ab. Zwei sind 13 Jahre alt, das dritte ist an jenem Tag, an dem M. mit ihm wegfährt, 14 geworden. Der Mann soll den Mädchen versprochen haben, mit ihnen nach Moskau zu fahren. Zum Sightseeing.
"Ich kenne niemanden, der etwas Schlimmeres gemacht hat als ich", wird Andrew M. Jahre später vor einem amerikanischen Gericht sagen, ehe er verurteilt wird und sich die Gefängnistore hinter ihm schließen.
Über Firmen, die Mossack Fonseca in den vergangenen Jahrzehnten in so ziemlich jeder bekannten Steueroase im Auftrag ihrer Kunden eingerichtet hat, sind offenbar viele zweifelhafte Geschäfte gelaufen. Eine Menge davon sind bereits dokumentiert durch die weltweite Berichterstattung zu den Panama Papers, jene Recherche, die eine anonyme Quelle ausgelöst hat, indem sie der Süddeutschen Zeitung 2,6 Terabyte Daten überließ. Sie zeigen, dass solche Briefkastenfirmen wie die der panamaischen Kanzlei des Deutschen Jürgen Mossack und seines panamaischen Partners Ramón Fonseca unverzichtbar sind für Geldwäsche, Drogenhandel, Waffenschieberei, für Terrorfinanzierung oder Steuerhinterziehung, für fast jedes denkbare unerlaubte Geschäft - sie liefern überhaupt erst das Werkzeug dafür.
Mossack Fonseca, konfrontiert mit Fällen des Missbrauchs von Offshore-Firmen, behauptet, "die Kenntnisse über unsere Mandanten regelmäßig" zu erneuern und so sicherzustellen, "dass sich hinsichtlich der Person und der von ihr anvertrauten Gesellschaft kein Negativbefund eingestellt hat". Der Fall von Andrew M. legt erneut Zweifel nahe an diesen "Standards" der Kanzlei in Panama. Denn M. wurde 2009 von einem Bezirksgericht in Pennsylvania verurteilt, weil er die drei Mädchen aus dem Petersburger Waisenhaus zum Geschlechtsverkehr gezwungen hatte.
Die Anklage ging sogar davon aus, M. habe die drei Kinder als Prostituierte einsetzen wollen, als frische Ware für Freier eines Kinderprostitutionsrings. "Die Mädchen waren Siebtklässler und hatten keine Erfahrungen als Prostituierte. Sie waren alle noch Jungfrauen, weil Herr M. das so verlangte", sagte eine amerikanische Staatsanwältin. M. galt Ermittlern aus Russland und den USA als Beteiligter an einem Kinderprostitutionsring in Moskau, finanzielle Transaktionen sollen auch offshore abgewickelt worden sein. Und dennoch: Mindestens eine von Andrew M.s Briefkastenfirmen made by Mossack Fonseca ist bis heute aktiv - obwohl man in der Kanzlei offenbar weiß, wem man da zu Diensten ist; obwohl Medien über den Fall berichteten; und obwohl M. kein unauffälliger Kunde gewesen ist.
Mossack Fonseca gründet am 31. März 1995 für Andrew M. die Firmen Ifex Global Ltd und Maga Global Ltd, beide mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Einen Zweck gibt er nicht an, und Mossack Fonseca stellt den Panama Papers zufolge nicht besonders viele Fragen. Offenbar haben weder die panamaische Kanzlei noch ein zwischengeschalteter amerikanischer Dienstleister, der zwischen M. und Mossack vermittelt hatte, den Gründer jemals gesehen. Noch nicht einmal eine Kopie seines Passes ist den Panama-Papieren zufolge in die Akten gewandert.
Als Andrew M. die beiden Firmen einrichtet, ist er 25 Jahre alt. Sechs Jahre zuvor war er mit seinem Vater von Sankt Peterburg aus in die USA umgezogen. Seine mathematische Begabung brachte ihm einen Platz an der Columbia Universität in New York ein, und obwohl er anfangs so gut wie kein Englisch konnte, schloss er dort mit Bestnoten ab.
Zum Leidwesen seines Vaters schlägt Andrew M. aber keine wissenschaftliche Laufbahn ein, sondern wird Unternehmer. Er vertreibt spezielle Feuerlöscher, die nach dem Patent eines deutschen Erfinders mit wenig Wasser und hohem Druck arbeiten. "Impulse Fire Estinguishing System" nennt sich die Grundlage der maschinengewehrartigen Geräte, kurz: Ifex - wie auch einer seiner 1995 angemeldeten Offshore-Firmen heißt. Später verschifft Andrew M. Autos deutscher Hersteller um die halbe Welt; 2004 wird der Wert seiner Firma auf mehr als zehn Millionen Dollar geschätzt.
Der russische Einwanderer lebt den amerikanischen Traum, heiratet, bekommt drei Kinder, bezieht eine Villa in Philadelphia. Es ist die helle Seite seines Doppellebens.
Die dunkle lässt sich aus Ermittlungsakten und Gerichtsdokumenten rekonstruieren, die der SZ vorliegen: Im Jahr 2002 geht demnach die Webseite www.berenika.org online. Sie wirbt für etwas, das ihre Macher "romantic studio" nennen. Schon auf der Startseite ist ein nacktes Mädchen mit einer Rose in der Hand zu sehen, und es sieht jung aus, sehr jung.
Die Mädchen auf berenika.org werden geordnet nach Größe, Gewicht und BH-Körbchen angeboten, sie seien "jung und frisch" - und schon für 150 bis 300 Dollar pro Stunde zu haben. Eine ganze Nacht koste 500 Dollar. Tatsächlich gibt es auf berenika.org pro forma die Erklärung, alle Mädchen seien über 18 Jahre alt. Aber wer nach minderjährigen Mädchen sucht, sieht sofort, dass er auf der richtigen Seite gelandet ist: einem Angebot für Freier, die nach Kindern suchen. Die Mädchen wohnen in einem Apartment in Moskau und werden zum Arbeiten in einer anderen Wohnung mit den Berenika-Kunden zusammengebracht. Ein offenbar gut organisiertes Verbrechen.
Andrew M. sei einer der Geldgeber des Kinderprostitutionsrings "Berenika" - zu diesem Schluss kommen amerikanische Ermittler. Sie schreiben, M. habe investiert "in der Erwartung, dass er einen Anteil an den Gewinnen aus der Prostitution erwachsener und minderjähriger Frauen bekommen würde". Er soll die Webseite von Mai 2003 an sogar auf Englisch übersetzt haben, um westliche Kunden anzulocken, die in Moskau unterwegs waren. Professionell gemanagt sei der Betrieb und "western owned", hieß es dort, was wohl die Angst der Kunden vor der Russen-Mafia nehmen sollte. Zudem war ein Fahrdienst inklusive, die Freier wurden von ihrem Hotel abgeholt und wieder zurückgebracht- eine Art All-inclusive-Angebot für Sextouristen.
Auf der - heute längst abgeschalteten - Website fanden sich alsbald sogar Kommentare von Kunden, widerliche Rezensionen ihrer illegalen Akte. Allesamt schwer zu ertragen.
Etwa zur selben Zeit, in der sich Berenika für internationale Kundschaft aufstellt, gründet Andrew M. eine Stiftung, um russischen Terroropfern zu helfen - speziell Kindern. Er wird der Präsident des "Teams USA" dieser Stiftung, der amerikanischen Niederlassung. Auf schicken Abendveranstaltungen trifft er den russischen Botschafter in den USA, lässt sich als Wohltäter auf VIP-Partys mit Hollywood-Mimen wie Heather Graham fotografieren. Selfmade-Millionär, Wohltäter, Familienvater: Das ist der Schein.
Aber der Berenika-Ring gerät ins Visier russischer Ermittler, die ihren US-Kollegen offenbar einen ersten Hinweis auf Andrew M. geben. Als der im Juli 2004 von einer seiner vielen Reisen aus Russland in die USA zurückkehrt, konfisziert die Polizei am Flughafen von Philadelphia seinen Laptop. Im Zuge weltweiter Ermittlungen werden in Russland 2005 vier Männer zu Haftstrafen verurteilt. M. hat Glück, jedenfalls zunächst. Seiner Frau gesteht er nach eigenen Angaben, in Russland lediglich eine "Affäre" gehabt zu haben. Nachzuweisen ist ihm zunächst nichts.
Erst 2007 gelingt es dem FBI, verschlüsselte Dateien seines drei Jahre zuvor am Flughafen sichergestellten Computers zu dekodieren. Jetzt finden die Ermittler E-Mails, die M. klar mit berenika.org in Verbindung bringen. Unter anderem habe er Mitarbeiter, die für Berenika arbeiteten, unter "VIP" abgespeichert.
Später stoßen Ermittler bei Recherchen auf die Firma Ifex Global Ltd, eine jener beiden Briefkastenfirmen, die 1995 von Mossack Fonseca auf den Britischen Jungferninseln gegründet wurde. Sie bitten die karibischen Behörden um Auskunft, wollen wisse, wer sich dahinter verbirgt. Die dortige Finanzaufsicht wendet sich an Mossack Fonseca, um Namen und Anschrift des Ifex-Direktors und -Shareholders zu erfragen. Mossack Fonseca antwortet, die Ifex Global gehöre einem Mann namens Dmitrij G. - Andrew M. sei lediglich Direktor.
Die internen Unterlagen von Mossack Fonseca jedoch, die der SZ durch das Daten-Leak vorliegen, führen Andrew M. ganz klar als alleinigen Anteilseigner auf. Seit 1995. Und der Mann hat sogar eine spezielle Geschichte bei Mossack Fonseca. Kurz nachdem er seine beiden Briefkastenfirmen gegründet hatte, war er zusammen mit einem Russen plötzlich persönlich in Road Town, der Hauptstadt der Britischen Jungferninseln, aufgetaucht. Bei der örtlichen Filiale der Chase-Bank wollte er auf den Namen seiner Firmen zwei Konten eröffnen, um Zehntausende Dollar zu transferieren. Noch am selben Tag, "ohne dass die Bank fähig wäre, die Vorschriften zu erfüllen", wie es in einem Memo heißt, das sich in den Panama Papers findet.
Über den offenbar selbst für Mossack-Verhältnisse ungewöhnlichen Vorgang wurden auch Kanzleipartner in einem Memorandum informiert. Den derart auffälligen Kunden behielt die Kanzlei jedoch.
Mossack Fonseca legt bei der Aufklärung gegenüber den alarmierten Mitarbeitern der Finanzaufsicht von den Britischen Jungferninseln trotz dieser Vorgeschichte keinen besonderen Eifer an den Tag. Zu Ifex gebe es nichts besonderes, auch keine Informationen zu anderen mit ihr verbundenen Firmen. Das stimmte wieder nicht, denn Andrew M. hatte ja offenbar zwei Firmen in der Panama-Kanzlei des Deutschen Jürgen Mossack einrichten lassen, neben der Ifex auch eine Maga Global Limited. Den Akten liegt sogar eine Visitenkarte dieser Firma bei, darauf ist Andrew M. als Vizedirektor notiert. Auf eine entsprechende Anfrage der Süddeutschen Zeitung antwortete Mossack Fonseca nicht.
Im Dezember 2008 wird Andrew M. schließlich in den USA festgenommen. Viele Medien berichten ausführlich über den Multimillionär, der Kinder sexuell missbraucht und ausgebeutet haben soll, und Mossack Fonseca bekommt erneut Post von den Behörden der Britischen Jungferninseln. Diesmal wollen die Ermittler Unterlagen einsehen, die zeigen sollen, dass Mossack Fonseca diesen Kunden tatsächlich so penibel und vorschriftsmäßig überprüft hat, wie die Kanzlei stets behauptet.
Allerdings finden die Mossack-Mitarbeiter in ihren Daten nur eine Anschrift in einem Vorort von Philadelphia. Sonst nichts, nicht einmal die Kopie eines Passes. Entsprechend nervös schreiben sie den amerikanischen Vermittler an, der die Firma Ifex einst im Auftrag von Andrew M. bei Mossack Fonseca bestellt hatte. Auch dort findet sich nicht mehr als die Bescheinigung einer norwegischen Bank, bei der M. ein Konto hatte, und ein seit drei Jahren abgelaufener Führerschein. Beides schickt Mossack Fonseca im Januar 2009 schließlich an die Financial Investigation Agency der Britischen Jungferninseln. Außerdem bestätigen sie nun doch, dass M. Eigentümer der Ifex Global ist.
Wenige Tage später gesteht Andrew M. vor einem Bezirksgericht in Pennsylvania, mit drei minderjährigen russischen Mädchen Sex gehabt zu haben. Es ist ein Deal. M. gibt die Vergewaltigungen zu, dafür wird die Anklage wegen Kinderhandels fallen gelassen. Andrew M. wird schließlich im September 2009 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Verdacht der Ermittler, dass M. nicht nur aus pädophiler Neigung heraus, sondern aus geschäftlichem Interesse für das Prostitutionsgeschäft bei Berenika gehandelt hatte, bleibt damit ungeahndet.
Mit den Opfern, die parallel zum Strafgerichts- einen Zivilprozess angestrengt hatten, hatte sich M. noch vor dem Urteil im Strafprozess außergerichtlich geeinigt. Es ersparte seinen Opfern immerhin eine Aussage vor Gericht. In den Unterlagen zu diesem Zivilprozess taucht der Firmenname Ifex Global ebenfalls auf. Kosten für den Kinderprostitutionsring seien als Unternehmensausgaben bei dieser Firma verbucht worden, Gewinnen wiederum sei durch die Firma "der Anschein von Legitimität" gegeben worden. Zudem sei die Homepage www.berenika.org aus M.s Privathaus beziehungsweise aus seinem Geschäft Ifex Global "kontrolliert" worden. Es stehe sogar der Verdacht im Raum, dass mit Geld von Firmenkonten russische Beamten bestochen worden seien, damit diese die Berenika-Betreiber gewähren ließen. M. bestreitet dies. Alle Anschuldigungen, er sei Teil des Berenika-Rings gewesen, basierten auf einem "Lügenmärchen" russischer Behörden. Er habe kein Geld investiert und keinen Anteil an den Berenika-Gewinnen gehabt.
Tatsächlich ist in den Gerichtsunterlagen von einer Ifex Global Inc. die Rede - nicht von der bei Mossack Fonseca bestellten Ifex Global Limited. Ob und wie diese beiden Firmen zusammenhängen, könnte nur die Einsicht in alle Gerichtsakten klären; sie sind jedoch bis auf ein paar Seiten unter Verschluss. Auf Anfrage wollte M. sich nicht öffentlich zu Ifex äußern - die entsprechende E-Mail schrieb er von einer Adresse, die auf @ifex.us endete.
Bei Mossack Fonseca haben die Anfragen von den Britischen Jungferninseln und die Zeitungsartikel über ihren Kunden Andrew M. keine Folgen. Erst im Frühjahr 2014 - fünf Jahre nach der Verurteilung - fällt der Kanzlei in Panama offenbar auf, dass einer ihrer Kunden ein verurteilter Sexualverbrecher ist. Die Mitarbeiter schicken sich intern Zeitungsartikel zu und stufen M. als "Hochrisikokunden" ein. Schließlich taucht auch die Frage auf, ob Mossack Fonseca die Behörden der Britischen Jungferninseln informieren solle.
Die Chefin der Compliance-Abteilung bei Mossack Fonseca, die über die Einhaltung von Recht und Gesetz wachen soll, plädiert dagegen - schließlich sei Ifex Global "in nichts Illegales verwickelt" gewesen, schreibt sie. Am Ende werden die Behörden nicht benachrichtigt; man sehe nicht, wie die Firma von M.s pädophilem Treiben profitiert habe.
Mossack Fonseca behält also einen verurteilten Sexualverbrecher als Offshore-Kunden, der laut Ermittlungen womöglich Geldgeber einer kriminellen Organisation war, die Sex mit Kindern organisierte. Und der im Verdacht stand, die Transaktionen im Zusammenhang mit Kinderprostitution offshore abgewickelt zu haben. Es scheint sich für Mossack Fonseca also "hinsichtlich der Person und der von ihr anvertrauten Gesellschaft kein Negativbefund eingestellt" zu haben. Tatsächlich ist Ifex Global Ltd. bis in diese Tage eine reguläre Firma. Andrew M. wurde im Dezember 2015 aus der Haft entlassen.
Mitarbeit: Will Fitzgibbon