Pakistanisches Mädchen wegen Blasphemie verhaftet:Glaube und Volkszorn

Sie ist elf Jahre alt und zudem wohl geistig behindert. In Pakistan sitzt ein kleines christliches Mädchen wegen Blasphemie in Haft, das angeblich Seiten des Korans entsorgen wollte. Nicht wegen ihres angeblichen Verbrechens - sondern zum Schutz vor Lynchjustiz.

Tobias Matern

Sie soll gerade einmal elf Jahre alt sein und am Down-Syndrom leiden. Nun sitzt Rifta, wie sie in Medienberichten genannt wird, im Gefängnis. Die Sicherheitskräfte betonen: Es gehe nicht darum, das Kind zu bestrafen, sondern zu schützen. In dem Dorf Mehrabadi, ganz in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, soll Rifta versucht haben, einige Seiten aus dem Koran zu verbrennen. In anderen Darstellungen heißt es, sie habe die losen Blätter aus der Heiligen Schrift in einer Mülltüte bei sich getragen. Wie in solchen Fällen in Pakistan üblich, überschlagen sich die Spekulationen, sind Gerüchte nur schwer von Fakten zu trennen.

Fest steht: Im muslimischen Pakistan gibt es ein harsches Gesetz, das Blasphemie verbietet. Hohe Gefängnisstrafen stehen auf das Vergehen, sogar eine Hinrichtung ist möglich, wird in der Praxis jedoch nicht vollstreckt. Allerdings hat es in der Vergangenheit bereits zahlreiche Fälle von Lynchjustiz gegeben, nachdem Verdächtige wieder aus dem Gefängnis entlassen worden sind. Denn nichts bringt den Volkszorn im "Land der Reinen" mehr zum Kochen als das Gefühl, mit dem Islam werde nicht respektvoll umgegangen.

Riftas Fall scheint in das Schema zu passen. Die Familie des Mädchens gehört zur christlichen Minderheit Pakistans. Auch ihre Eltern sollen nun zu ihrem Schutz in Gewahrsam der Behörden sein. Andere Mitglieder der christlichen Minderheit aus der verarmten Gegend hätten aus Angst Mehrabadi verlassen, berichtet die pakistanische Zeitung Express Tribune. Die Sicherheitskräfte hätten für sie nur den Tipp parat gehabt, so schnell wie möglich zu flüchten. In Islamabad hieß es am Montag aber, die Situation habe sich wieder beruhigt, die Menschen kehrten in ihr Dorf zurück.

Ein Minister sagte der BBC, es sei unwahrscheinlich, dass Rifta absichtlich den Koran geschändet habe. Aber viele muslimische Bewohner Mehrabadis seien trotzdem so sehr in Rage geraten, dass die Polizei sie vor dem Mob schützen wollte. "Die Menschen haben damit gedroht, Häuser von Christen zu verbrennen", sagte der Minister. Menschenrechtsgruppen reagierten empört und verlangten die sofortige Freilassung des Mädchens. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari wies das Justizministerium an, den Vorfall zu untersuchen und ihm Bericht zu erstatten.

Reformversuche sind lebensgefährlich

Die pakistanische Regierung steht der zunehmenden Radikalisierung des Landes weitgehend wehrlos gegenüber. Das strikte Blasphemie-Gesetz in seiner jetzigen Form hat der Militärdiktator Zia ul-Haq in den 1980er Jahren erlassen. Schon der Versuch, daran etwas zu ändern, ist in Pakistan lebensgefährlich.

Im vergangenen Jahr wurde der liberale Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, von einem seiner Leibwächter erschossen. Der Politiker hatte sich dafür ausgesprochen, das Gesetz zu reformieren. Anwälte feierten den Attentäter bei seinem Gang zum Gericht. Auch der Minderheitenminister Shabhaz Bhatti musste es mit dem Leben bezahlen, dass er sich für eine Änderung des "schwarzen Paragrafen" ausgesprochen hatte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: