Die Täter gaben ihr ein Schlafmittel, bevor sie ins Bett ging. Dann schlichen sich die beiden Männer in ihr Schlafzimmer. Der eine hielt sie fest, der andere würgte sie, bis sie nicht mehr atmete. Qandeel Baloch, einer der berühmtesten Social-Media-Stars Pakistans, wurde nur 26 Jahre alt. Sie starb in der Nacht zum 16. Juli in einem Haus, das sie für ihre Eltern gemietet hatte. Ein paar Tage später begründete einer der mutmaßlichen Mörder die Tat: "Frauen müssen zu Hause bleiben und Traditionen folgen." Weil Qandeel sich daran aber nicht gehalten und die Familienehre besudelte habe, sei es nötig gewesen, sie umzubringen.
Jedes Jahr werden in Pakistan 1000 solcher Morde verübt
Es war ihr eigener Bruder Waseem, der das sagte. Mit dem Cousin soll er die Tat begangen haben, zwei weitere Verdächtige sind wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. In Multan, der Stadt in Zentralpakistan, in der Qandeel starb, hat nun der Prozess begonnen. Am ersten Verhandlungstag plädierte der mutmaßliche Mörder Waseem trotz seines früheren, öffentlichen Geständnisses auf "nicht schuldig". Beobachter vermuten, dass sich die Verhandlung nun einige Monate hinziehen wird, aber Vorhersagen sind im Justizsystem Pakistans immer schwer zu treffen. Der zweite Verhandlungstag, der für Donnerstag angesetzt war, musste aufgrund eines Streiks verschoben werden.
Im muslimischen Pakistan werden jedes Jahr 1000 sogenannte "Ehrenmorde" verübt. Von Vätern, Brüdern, Cousins, die finden, dass ihre Töchter, Schwestern, Cousinen das Ansehen der Familie beschmutzt haben. Mal ist der Grund, dass sich die Frau entgegen des Rituals, von den Eltern verheiratet zu werden, selbst einen Mann aussuchen will. Mal ist es der Wunsch, dem Vater zu widersprechen. Und immer haben die Männer das Gefühl, damit verliere die Familie an Ansehen. Wer sich genauer mit "Ehrenmorden" in Pakistan beschäftigt, wie etwa die Oscar-Preisträgerin Sharmeen Obaid-Chinoy, geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Dokumentarfilmerin glaubt, dass in ihrem Land jährlich 4000 Ehrenmorde geschehen. Die meisten dieser Taten werden gleich wieder vergessen. Die Opfer erhalten namenlose Gräber, werden am Rande der Gesellschaft verscharrt.
Qandeels Fall ist anders. Er hat für Schlagzeilen gesorgt, weil sie ein Star werden wollte und dafür die Grundfesten einer konservativen Gesellschaft ins Wanken gebracht hat. Eine junge Frau aus einer armen Farmerfamilie vom Lande, deren Leben eigentlich vorbestimmt war: Ein paar Jahre Schule, jung verheiratet, dem Willen des Mannes untergeordnet. Doch Qandeel entzog sich diesem Weg, sie flüchtete aus ihrer Ehe, ging in die Metropole Karatschi, wollte mit aller Macht berühmt werden, wollte unbedingt eine respektierte Schauspielerin oder Model werden.
Aber das hat nicht geklappt, in "Pakistan Idol", der lokalen Variante von "Deutschland sucht den Superstar", flog sie mangels Talent früh raus, für Filmrollen reichte es nicht, auch nicht für die Modelauftritte, die sie sich erträumt hat. Sie drehte stattdessen Videos, in denen sie sich knapp bekleidet vor der Kamera zeigte, publikumswirksam mit Politikern und Cricket-Stars flirtete. All das postete sie auf Facebook und Youtube. Qandeel war in Pakistan immer Gesprächsthema, ihre Clips wurden Hunderttausende Male geklickt, sie galt als Kim Kardashian Pakistans.
Ihre Freizügigkeit hat ihr Aufmerksamkeit beschert, weil das in der pakistanischen Gesellschaft, in der schon Küsse im Fernsehen und Kino zensiert werden, Grenzen verschoben hat. Sie empfand sich als Feministin, die selbst über ihren Körper bestimmt. Geliebt wurde sie dafür, und gehasst - gleichermaßen. Doch darin sehen Beobachter nicht den Grund für ihren Tod: "Sie hat etwas getan, womit keiner gerechnet hat: Sie hat die Scheinheiligkeit der Religiösen offengelegt", sagt eine Journalistin der liberalen Zeitung Dawn.
Ein paar Wochen vor ihrem Tod dreht Qandeel Baloch ein Video mit einem landesweit bekannten Religionsgelehrten: Sie und der Mufti sind in einem Hotelzimmer zu sehen, anschließend sagt sie öffentlich, der Mann habe sich ihr unsittlich nähern wollen, als die Kamera aus war. Der Mufti verliert seine Position in einem angesehenen Religionsgremium. Er widerspricht Qandeels Darstellung, nach seiner Version habe sie bei ihm religiösen Rat gesucht und ihn dann lächerlich machen wollen.
Wurden die Täter von einem Geistlichen angestiftet?
Mit dem Mord an ihr habe er nichts zu tun. Der für den Fall zuständige Bezirksstaatsanwalt Jam Salahuddin sagte laut Pakistan Today am Donnerstag hingegen, das Gericht müsse sich auch mit der Rolle des Muftis beschäftigen: "Wir wollen, dass das Gericht auch diejenigen anklagt, von denen die Täter angestiftet wurden." Beobachter bezweifeln aber, dass der Geistliche tatsächlich vor Gericht erscheinen wird.
Schon vor dem Urteil ist indes klar, dass der Fall Pakistan verändert hat. Nach jahrelangen Diskussionen und lähmendem Stillstand verabschiedete das Parlament im Oktober ein Gesetz, das es Familien verbietet, Angehörigen zu vergeben, die im Name der Ehre eine Frau umgebracht haben. Doch neue Gesetze ändern alte gesellschaftliche Normen nicht über Nacht, das erfahren Qandeels Eltern auf schmerzhafte Art. In ihrem Dorf werden sie isoliert, die Angehörigen wollen, dass der Vater seinem Sohn, dem mutmaßlichen Mörder seiner Tochter, vergibt. Das will er bislang nicht. Unmittelbar nach der Tat sagte er: Waseem solle seine gerechte Strafe erhalten.