Nicht nominiert, aber eigentlich auch ein Gewinner dieser Oscars: der rote Teppich. Die vergangenen Jahre wurde kräftig auf ihn draufgehauen, weil das Prozedere nicht nur als gähnend langweilig und antiquiert galt, sondern dort auch so unerhörte Fragen gestellt wurden wie "Was tragen Sie denn da?" Eine Pandemie und etliche Pirouetten in heimischen Vorgärten und Wohnzimmern später, die per wackelnden Zoom-Konferenzen bei den Golden Globes und anderen "Remote"-Galas übertragen wurden, scheint das vergessen zu sein. Nun sehnten viele nichts so sehr zurück wie dieses Stück Auslegeware für ordentliches Schaulaufen. Ein bisschen alte Normalität eben, und die hatten die Oscars hinlänglich angekündigt.
Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Stars, und tatsächlich legten sich viele sichtlich ins Zeug. Vor allem die Männer erschienen mutiger denn je. Colman Domingo wählte knalliges Pink von Versace, Lakeith Stanfield einen Jumpsuit von Saint Laurent im Siebzigerjahre-Disco-Look samt tiefem Brustausschnitt und Gürtel, der ihn sofort auf die ewige Best-dressed-Liste katapultieren wird. Leslie Odom Jr., nominiert als bester Nebendarsteller in "One Night in Miami", trug - Oscars eben - einen komplett goldenen Brioni-Anzug.
Dieser Siebzigerjahre-Disco-Look wird ihn wohl auf die ewige Best-dressed-Liste katapultieren: Lakeith Stanfield.
(Foto: POOL/REUTERS)Gold war auch bei den weiblichen Nominierten ein großes Thema. Carey Mulligan, nominiert als beste Hauptdarstellerin für "Promising Young Woman", trug eine teppichfüllende Haute-Couture-Robe von Valentino, über und über mit goldenen Pailletten bestickt. Ihre Mitstreiterin Amanda Seyfried aus "Mank" entschied sich für eine knallrote Tüllrobe von Armani Privé.
Chers legendäre Bauchfrei-Roben, hier 1986, waren für viele Oscarkleider in diesem Jahr Vorbild.
(Foto: LENNOX MCLENNDON/AP)Dezente Auftritte? Subtile Botschaften? Gern ein andern Mal wieder, aber die Oscars sind schließlich für die Modehäuser und Stylisten der Moment mit der größten Aufmerksamkeit des Jahres, nach dieser mauen Awards-Season noch einmal mehr. Die aufregendsten Kleider werden tagelang auf Social Media geteilt und im besten Fall jedes Jahr wieder aufs Neue rausgekramt. Man erinnere sich etwa an Chers legendäre Auftritte bei den Verleihungen 1973 und 1986 in Entwürfen ihres Lieblingsdesigners Bob Mackie, dessen Roben nicht nur ziemlich glitzerten, sondern vor allem viel Bauch offenbarten. Damals ein Novum, knapp fünfzig Jahre später: der größte Trend des Abends.
Erschien in einer gelben Valentino-Robe mit deutlichen Cut-outs am Bauch: Zendaya.
(Foto: Chris Pizzello/AP)Denn nicht nur die Sängerin und Schauspielerin Zendaya ließ sich inspirieren und erschien in einer gelben Valentino-Robe mit deutlichen Cut-outs am Bauch. Auch Andra Day, nominiert für "The United States vs. Billie Holiday", und ihre Stylistin nannten Cher als Vorbild und wählten von Vera Wang ein goldenes Kettenhemd-Kleid mit sehr hohem Beinausschnitt und viel Einblick auf ihre linke Taillenseite. Carey Mulligan zeigte ebenfalls viel Bauch, Vanessa Kirby aus "Pieces of a Woman" zumindest ansatzweise. So viel "Midriff", wie es im Englischen heißt, sieht man sonst nur im städtischen Freibad.
Auch Andra Day, nominiert für "The United States vs. Billie Holiday", nannte Cher als Vorbild.
(Foto: Chris Pizzello/AP)Während viele dank Home-Office und Ausgangssperren also mit kleinen Rettungsringen als Kollateralschäden des Lockdowns zu kämpfen haben, ist ausgerechnet Bauchfrei einer der größten Trends. Subtext: Nur wer sich so viel demonstrative Freizügigkeit leisten kann, hat die Pandemie, ganz offensichtlich, tapfer gemeistert und täglich seine Zoom-Session Yoga, Pilates oder Jane-Fonda-Fitness absolviert. Ein weiterer herber Schlag in die Magengrube, wo sich doch eh schon der ganze Frust der letzten Monate sammelt.
Schreibt Oscargeschichte - auch modisch: Gewinnerin Chloé Zhao.
(Foto: Matt Petit/AMPAS via www.imago-images.de/imago images/ZUMA Press)Entspannter Lichtblick dazwischen: Die frisch gekürte Oscar-Gewinnerin Chloé Zhao, die für ihre Regie bei "Nomadland" ausgezeichnet wurde und nicht nur Geschichte als erste "Woman of Color" und zweite Frau überhaupt in dieser Kategorie schreibt. Sie ist auch die Frau, die mit Turnschuhen zum Kleid auflief.