Süddeutsche Zeitung

Orlando:Homosexuelle in Florida ringen um mehr Rechte

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Von Johannes Kuhn, Orlando

Terry DeCarlo und sein Ehemann schliefen am Sonntagmorgen in ihrem Bett, als um 3.30 Uhr plötzlich alle Telefone im Haus schrillten. "Wir erfuhren nur, dass es eine Schießerei im 'Pulse' gegeben hat. Als wir ankamen, war dort alles voller Polizisten, einem Bombeneinsatzkommando, Menschen mit AK-47-Gewehren. Wir haben uns angesehen und es war klar: Das ist mehr als eine Schießerei."

Als "Hölle" bezeichnet der Chef des LGBT Community Center in Orlando die vergangenen Tage. Die örtliche Vertretung der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender ist in einem unscheinbaren Bau untergebracht, Regenbogenflagge und Blumen der Anteilnahme im Fenster. Das Center liegt mehrere Kilometer entfernt vom Nachtclub Pulse und ist eines der Hilfszentren dieser Krise: Aus diesen Büros wird die Unterstützung für die Opfer, aber auch für die verunsicherte Homosexuellen- und Transgender-Szene organisiert.

"Ich kenne mich mit Krisenmanagement aus, aber das hier ist weit jenseits davon", sagt DeCarlo, während ununterbrochen das Telefon klingelt und seine Mitstreiter gedämpft, aber umtriebig die Hilfe organisieren.

Trotz des spürbaren Schocks funktioniert das Center erstaunlich gut: In einer Kirche und per Telefon bietet es psychologische Betreuung an und koordiniert auch Kleinigkeiten wie kostenloses Essen für Blutspender. Drei Millionen Dollar hat das Center mit seinen Partnern schon gesammelt, um beispielsweise die Arztrechnungen von unversicherten Verletzten zu bezahlen. Barack Obama hat Interesse signalisiert, das Büro zu besuchen, wenn er am Donnerstag nach Orlando kommt.

Traumata, Frust und Wut

"Manche aus unserer Community trauen sich vor Angst nicht auf die Straße", erzählt DeCarlo. Als sich am Montagabend Tausende im Stadtzentrum versammelten, hätten Teilnehmer teilweise traumatisiert gewirkt.

"Es ist so hart", erzählte der junge Maurice, der einen Bekannten verlor, "es sind so viele und hier kennt jeder jeden." "Wir sind so frustriert und wütend, dass das es hier passiert ist, in einer modernen Zeit", sagt Sister Christina von den "Sisters of Perpetual Indulgence" und schüttelt den in einen Nonnenschleier gehüllten Kopf. Die queere Aktivistengruppe kombiniert für ihre Performances in satirischer Weise Drag-Elemente mit Symbolen reliöser Orden.

Die LGBT-Szenen in Floridas Städten außerhalb Miamis "fühlen sich häufig wie die einer Kleinstadt an", sagt Ida Eskamani von der Organisation Equality Florida, die sich politisch für die Gleichstellung sexueller Minderheiten einsetzt. "Orlando ist zwar ziemlich groß, aber es ist ein enges Netz. Gay-Clubs und -Bars sind Zufluchtsstätten."

Der enge Zusammenhalt liegt auch daran, dass Florida in einigen Teilen - gerade im Norden - sehr konservativ ist. Lange hielt der Staat am Verbot gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen fest, eine Mehrheit der Wähler lehnte 2008 die "Ehe für alle" ab. Später gehörten der republikanische Gouverneur Rick Scott und seine Staatsanwältin zu den engagiertesten Klägern gegen ihre Einführung. Nach zehnjährigem Ringen deutet sich nun zumindest an, dass sexuelle Orientierung in das gesetzliche Diskriminierungsverbot aufgenommen wird.

"Die Liebe, die wir erhalten, ist unglaublich"

Auch in der aktuellen Krise zeigt sich, wie sehr Scott das Thema meidet. Medienberichten zufolge hat er seit der Bluttat die Worte "LGBT" und "schwul" nicht verwendet. Auf die Frage, ob die Gemeinschaft nun besonders geschützt werde, erklärte er, er wolle, "dass niemand in unserem Bundesstaat angegriffen wird".

Auch in der Latino-Community, aus der mehr als die Hälfte der Opfer stammt, ist Homosexualität nichts, was selbstverständlich akzeptiert würde. "Leider haben viele von uns noch Familien, die nicht damit zurechtkommen, dass wir Teil der Homo- und Transgender-Gemeinschaft sind", sagte die Equality-Florida-Sprecherin Susanna Taddei dem Atlantic.

Terry DeCarlo vom LGBT Community Center hofft trotzdem, dass gerade junge Menschen sich von den vergangenen Tagen nicht entmutigen lassen, zu ihrer Homosexualität zu stehen. "Ich hoffe, dass sie sehen, wie sehr die Community zusammengerückt ist, nicht nur LGBT", sagt er. "Die Liebe, die wir aus aller Welt erhalten, ist unglaublich. Wir spüren, wie uns die Hände aller Menschen halten, damit wir nicht umfallen."

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