Süddeutsche Zeitung

Orkantief über Deutschland:Windböen, Schneechaos, Regen - "Joachim" hat gewütet

Lesezeit: 3 Min.

Sturmtief "Joachim" hat sich mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 100 Stundenkilometern und heftigen Niederschlägen über Deutschland ausgetobt. Die Orkanböen lösten vielerorts Verkehrschaos aus. Weihnachtsmärkte mussten schließen, zahlreiche Veranstaltungen wurden abgesagt, das befürchtete Chaos ist aber ausgeblieben. Inzwischen ist der Sturm nach Nordosten weitergezogen.

Schneewehen, umgestürzte Bäume und Strommasten, geschlossene Weihnachtsmärkte: Orkantief Joachim hat am Freitag mit heftigen Stürmen und Niederschlägen vor allem in Süd- und Mitteldeutschland Schäden angerichtet und zu teils erheblichen Verkehrsbehinderungen geführt. Auf den Autobahnen bildeten sich lange Staus, einige Bahnstrecken waren zeitweise gesperrt. Weihnachtsmärkte öffneten nicht und mancherorts fiel die Schule aus. Bereits in der Nacht zu Freitag hatten die Unwetter in Frankreich erhebliche Schäden angerichtet.

Der Kern des Tiefs, in dem vergleichsweise moderate Böen der Stärke 7 wehten, zog vom Rheinland über das südliche Niedersachsen weiter nach Brandenburg. Am frühen Abend hatte der Sturm seine größte Stärke erreicht. Besonders windig war es am Abend im Schwarzwald, hier registrierten die Meteorologen Böen von bis zu 155 Stundenkilometer, auf dem Brocken im Harz waren sie bis 133 Stundenkilometer schnell, auf dem Wendelstein in Bayern wurden Böen von 170 Stundenkilometer gemessen. Im Flachland erreichte Joachim Spitzenwerte um die 100 Stundenkilometer wie am Münchener Flughafen.

Am späten Abend zog der Orkan weiter Richtung Nordosten. Sein Zentrum lag zunächst nördlich von Berlin, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach berichtete. Stürmisch blieb es in der Nacht vor allem in Bayern und im Osten Deutschlands: Mit Stärke 12 verursachte der Sturm in Bayern, Thüringen und Teilen Sachsen-Anhalts ein Schneechaos.

Die befürchteten Verwüstung durch den Orkan blieben größtenteils aus. Joachim sei nicht so heftig wie Kyrill, der im Januar 2007 in Deutschland und Europa verheerende Schäden angerichtet hatte, sagte DWD-Meteorologin Dorothea Paetzold.

Im oberpfälzischen Pechbrunn starb ein 57-Jähriger beim Schneeräumen auf dem Gehweg seines Anwesens, wie die Polizei mitteilte. Bei Neustadt an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz erlitt ein 38-jähriger schwere Verletzungen, als sein Wagen von einer Sturmböe erfasst wurde und sich überschlug. Am Schulzentrum Balingen-Frommern in Baden-Württemberg riss der Sturm ein tonnenschweres Blechdach ab. Verletzt wurde niemand.

Vielerorts wurden Bäume entwurzelt. Begleitet wurde der Sturm von zum Teil starken Regenfällen. Auf der Zugspitze wurden Orkanböen mit bis zu 183 Stundenkilometern gemessen. Vor allem in Mitteldeutschland wurde starker Schneefall verzeichnet.

In den Höhenlagen des Bayerischen Walds meldete die Polizei starke Schneefälle, Unfälle und Behinderungen im Straßenverkehr. Der Fernverkehr der Deutschen Bahn war nach Angaben eines Sprechers kaum beeinträchtigt. Im Süden von Rheinland-Pfalz brachten gefährliche Windböen jedoch den regionalen Zugverkehr stundenlang zum Erliegen, erst am Nachmittag konnten die Strecken wieder freigegeben werden. Die Behörden warnten zudem vor Überschwemmungen an Mosel und Nahe in der Nacht zu Samstag.

In Thüringen verursachten liegen gebliebene Lkw auf der A 71 kilometerlange Staus. Bei dutzenden Unfällen wurden mehrere Menschen schwer verletzt. Das Hotel auf dem Brocken im Harz wurde wegen des Orkantiefs evakuiert. In Sachsen waren die Auswirkungen des Tiefs nur in den Höhenlagen des Erzgebirges und des Vogtlandes zu spüren. In Südhessen bescherte das Unwetter mehr als 45.000 Kindern einen schulfreien Nachmittag. Der Unterricht in allen 122 staatlichen Schulen in Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg wurde abgesagt. Auch in Teilen Unterfrankens fiel der Unterricht aus.

Am Frankfurter Flughafen kam es zu Verzögerungen, Flüge mussten bis zum Nachmittag aber nicht abgesagt werden. Auch Nordrhein-Westfalen blieb von Tief Joachim nicht verschont. Auf den Autobahnen vor allem rund ums Sauerland bildeten sich lange Staus, die A 45 und die A 4 mussten zeitweise gesperrt werden.

Lediglich in Norddeutschland blieb die Lage zunächst entspannt. In der Nacht zum Samstag erwartet das Bundesamt für Seeschifffahrt jedoch entlang der gesamten Küste Hochwasser.

Wegen des Orkantiefs mussten auch zahlreiche Veranstaltungen abgesagt werden. Die Weihnachtsmärkte in Karlsruhe, Friedrichshafen, Chemnitz, Freiberg und Kempten wurden vorsorglich geschlossen. Das Tollwood-Winterfestival auf der Münchner Theresienwiese öffnete aus Sicherheitsgründen ebenfalls nicht.

Mehrere Skigebiete stellten den Liftbetrieb ein. An der Zugspitze war die Eibsee-Seilbahn nicht in Betrieb. Bereits in der Nacht zu Freitag war Tief Joachim über Frankreich und die Schweiz gezogen. In Engelberg wurde die Qualifikation zum Skisprung-Weltcup abgesagt.

In Frankreich tobte sich Joachim bereits in der Nacht aus. In dem Sturm strandete vor der Südküste der französischen Bretagne der unter maltesischer Flagge fahrende Frachter TK Bremen. Die Behörden lösten Umweltalarm aus, da Öl ausläuft. "Im Rumpf gibt es ein Loch, der Ölfilm ist mittlerweile einen Kilometer lang und fünf Meter breit", sagte die Bürgermeisterin des Ortes Erdeven, Marie-Françoise Le Jossec, dem Nachrichtensender BFM. Die Tanks des Schiffes sollen ausgepumpt werden. Der Frachter sei aber abgesehen von 220 Tonnen Treibstoff weitgehend leer.

In Westfrankreich fiel nach Regierungsangaben in etwa 400.000 Haushalten der Strom aus, davon 100.000 in der Bretagne. Beeinträchtigungen wurden auch auf der Luftverkehrs-Drehscheibe in Paris erwartet, wo der Andrang der Reisenden im Vorfeld des Weihnachtsfestes bereits groß ist.

Auch in Großbritannien kehrte am Freitag der Winter ein. Im schottischen Glasgow wurden sechs Zentimeter Schnee gemessen, in Nordirland vier Zentimeter. Auch im Südosten in der Region um London schneite es bei Temperaturen um den Gefrierpunkt leicht.

Wenn Joachim durchgezogen ist, soll es stürmisch bleiben und gleichzeitig deutlich kälter werden. Am Wochenende sinkt die Schneefallgrenze vor allem im Süden und Südosten bis ins Flachland. Auch im Norden und Nordwesten können sich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt Flocken unter die Regentropfen mischen. Danach soll es wieder milder werden, so dass der Schnee rasch schmilzt. Für Weiße Weihnachten stehen die Aussichten nach den Erwartungen der Meteorologen eher schlecht.

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