Organisierte Kriminalität:Warum Beamte Dienstgeheimnisse verraten

Police Arrest Mafia Members Across Europe

In dieser unscheinbaren Osteria in Pulheim bei Köln wurde ein mutmaßlicher Clanboss der 'Ndrangheta festgenommen - der Wirt.

(Foto: Michael Gottschalk/Getty Images)

Der Kripo-Beamte Heinz Sprenger klärte 2007 die Duisburger Mafia-Morde auf. Im Interview erklärt er, wann Kollegen Infos durchstechen. Und woran der Gast erkennt, ob beim Lieblingsitaliener mafiöse Strukturen herrschen.

Interview von Violetta Simon

Bei der Operation "Pollino" wurden am Mittwoch in einer europaweiten Polizeiaktion 84 mutmaßliche Mafia-Angehörige verhaftet, 15 in Deutschland. Heinz Sprenger war mehr als 40 Jahre Polizist in Nordrhein-Westfalen und Leiter der Duisburger Mordkommission. Berühmt wurde der Ermittler durch die Aufklärung der "Mafiamorde von Duisburg" im Jahr 2007. Im Interview mit der SZ erklärt der 65-Jährige, warum die Polizeiarbeit in diesen Fällen besonders schwierig ist - und warum die Mafia immer erst in solchen Momenten im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen auftaucht.

SZ: Razzien brauchen eine gute Vorbereitung, oft hängen jahrelange Ermittlungen daran. Wie lässt sich verhindern, dass Informationen durchgestochen werden?

Heinz Sprenger: Gerade Ermittler in der organisierten Kriminalität sollten sich gut abschotten, sowohl nach außen als auch nach innen. Meiner Erfahrung nach haben auch die Medien ihren Anteil daran, dass das nicht ganz einfach ist - da werden mitunter ganze Teams zum Abgreifen von Informationen eingesetzt, das ist sehr unbefriedigend.

Heinz Sprenger

Heinz Sprenger, ehemaliger Leiter der Mordkommission Duisburg und Polizei-Legende.

(Foto: privat)

Am Donnerstag wurde bekannt, dass fünf Beamte Dienstgeheimnisse im Zusammenhang mit der Operation "Pollino" an die Mafia weitergegeben haben sollen.

Nicht nur im Verfahren mit der Mafia, auch bei anderen Tötungsdelikten im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität werden mitunter Details verraten. Sie können davon ausgehen, dass der Leiter einer Ermittlungskommission solche Risiken auf dem Schirm hat und versucht, brisante Informationen abzuschotten. Darüber hinaus ermöglichen spezielle Verwaltungsprogramme, nicht nur bestimmte Dokumente zu sperren, sondern machen auch nachvollziehbar, wer wann Zugriff hatte auf die Daten. Nicht immer geht es um Dienstgeheimnisse, auch Zeugen und Kollegen müssen geschützt werden, etwa vor Rache.

Wie kommt es dazu, dass Beamte sich dazu hinreißen lassen, brisante Informationen auszuplaudern?​​​​​​​

In den meisten Fällen geschieht das nicht einmal des Geldes wegen, sondern aus persönlichen Gründen. Da ließen sich Kollegen einlullen - weil man sich sympathisch war, weil man jemandem einen Gefallen tun wollte. Ich habe erlebt, dass Personen gezielt angebaggert und in eine Liebesgeschichte verwickelt wurden mit dem Ziel, Informationen abzuschöpfen. Auch Menschen, die regelmäßig Restaurants besuchen und dort entsprechend hofiert werden, plaudern Dinge aus. Andere lernen jemanden im Fitnessstudio kennen und erzählen Details aus einem Geltungsdrang heraus, um zu demonstrieren, was für eine wichtige Nummer sie sind. Das alles ist menschlich, das sollte man einkalkulieren. Aber man muss auch die Konsequenzen ziehen und diese Personen entlassen. Die haben im Staatsdienst nichts verloren.

Ist die Bedrohung durch die Mafia mit dem "Pollino"-Erfolg gesunken?

Wissen Sie, der italienischen Presse zufolge müsste die Mafia längst ausgelöscht sein: Da ist immer von dem "entscheidenden Schlag" die Rede. Die 'Ndrangheta hat aber so viele Clans weltweit, die mit anderen Kriminellen zusammenarbeitet, da ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich glaube nicht, dass sich das Problem in Deutschland in den Griff bekommen lässt. Dazu sind auch unsere Ermittlungsmethoden zu eingeschränkt.

Inwiefern?

Man muss den Kollegen mehr Handlungsspielraum einräumen, etwa in Bezug auf Überwachung oder die Erlaubnis, geringfügige Straftaten zu begehen, um nicht aufzufliegen. Und dann die Gesetzgebung: Würde die sogenannte Beweislastumkehr gelten, müsste ein Verdächtiger nachweisen, woher er sein Vermögen hat. In Italien können auch Leute inhaftiert werden, die Mafia-Clans unterstützen. Zum Beispiel wurde die Person, die 2007 in Duisburg das Fahrzeug angemietet, die Handys versteckt und die Waffen der Täter entsorgt hat, in Italien wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung zu mehreren Jahren Haft verurteilt. In Deutschland hätte er wegen Beihilfe eine geringe Strafe bekommen. So kann man die Mafia nicht effektiv bekämpfen.

Wie kann es eigentlich sein, dass eine unscheinbare Osteria in Pulheim bei Köln jahrelang unbehelligt von einem Drogenboss der 'Ndrangheta geführt wird?

So ein Betrieb rückt erst dann in den Fokus der Behörden, wenn die Ermittlungen erfolgreich waren. Bis dahin wirken diese Lokale vollkommen unauffällig für Außenstehende. Von solchen Läden gibt es in Deutschland mehr als man annimmt. Nur der Ermittler kann sich ein Bild davon machen, ob das alles Fassade ist. Die Gebiete sind regelrecht aufgeteilt unter den Familienclans, dahinter stehen mittlerweile legal betriebene Geschäfte, die dafür sorgen, dass das Geld vernünftig gewaschen wird.

Wie läuft so eine mafiös organisierte Pizzeria?

Nehmen wir das Beispiel Duisburg: Dort gab es überall Stützpunkte - Pizzerien, in denen Clan-Bosse saßen und Geschäfte organisierten, und in denen flüchtige Kriminelle aus Italien untergebracht waren. Die Ermittlungen haben ergeben, dass in solchen Lokalen die Geschäftsführung monatlich ausgewechselt wird, Gelder in unterschiedliche Richtungen fließen, die Einnahmen nicht zu den Ausgaben passen.

Versteckte Hinweise auf mafiöse Strukturen

Gibt es auch Merkmale, die einem Gast auffallen könnten?

Das ist nicht so einfach. Wer die italienische Küche schätzt, wird sehr zuvorkommend behandelt. Da muss man schon genauer hinter die Fassade sehen: Aus welcher Region kommt das Personal - aus Süditalien, wo die Cosa Nostra und die 'Ndrangheta herrschen? Wie sind die Strukturen - sitzt da die Mama, gibt es Statthalter, die als Geschäftsführer fungieren, zieht ein anderer die Strippen? Mitunter kann auch ein Heiligenbildchen an der Wand ein versteckter Hinweis sein - etwa von Santa Maria di Polsi, eine Wallfahrtskirche und Pilgerstätte, an der sich die Clanbosse der 'Ndrangheta einmal im Jahr treffen. Oder San Michele, dessen Kopf manchmal verunstaltet ist. Er gilt als Schutzpatron der italienischen Polizei, beim Aufnahmeritual wird der Kopf auf einem Bild ausgebrannt. Diese symbolisierte Drohung richtet sich auch gegen die Mitglieder: Verräter werden brennen wie das Bild.

Es gibt mehr als 400 mafiös geführte Lokale in Deutschland - muss man als Gast damit rechnen, dass hinter dem Lieblingsitaliener ein Mafiaboss steckt?

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Es gibt viele Restaurantbesitzer, die mit der Mafia nichts zu tun haben wollen. Das Problem ist, dass ihre Familienangehörigen in Süditalien, im Gebiet der 'Ndrangheta, leben und von dort beeinflusst oder bedroht werden. Das öffentliche Leben wird dort von der Mafia geregelt, weil der Staat es versäumt hat, für die Menschen zu sorgen. In Deutschland sieht das dann so aus, dass alle - selbst seriös wirkende - Gastwirte aus einer Region denselben Einrichter und Weinlieferanten haben. Weil es ihnen nahegelegt wurde. Quasi eine moderne Form der Schutzgeldmaßnahme.

Aber ganz abwegig ist die Vorstellung vom mafiösen Lieblingsitaliener nicht, oder?

Keineswegs, In Orten wie San Luca oder Siderno herrscht die pure Armut - insofern ist es nicht überraschend, dass viele auf den Zug aufspringen. Und wenn Sie wissen möchten, wo viele von ihnen sich aufhalten: Fahren Sie mal durch diese kleinen Orte in Kalabrien und achten sie auf deutsche Nummernschilder. Sie werden auffallend viele Fahrzeuge mit Duisburger oder Erfurter Kennzeichen auf einem Haufen finden. Da können sie eins und eins zusammenzählen, die gehören alle zu Besitzern von Restaurants in Deutschland.

Viele Deutsche hörten 2007 nach den Morden von Duisburg zum ersten Mal von der 'Ndrangheta. Warum haben wir die Mafia - im Gegensatz etwa zu islamistischen Gefährdern - nicht auf dem Schirm?

Weil das organisierte Verbrechen davon lebt, im Verborgenen zu agieren. Auch wer sie bekämpft, tut gut daran, nicht groß darüber zu sprechen. Im Gegensatz zu Terroristen, die sich mit ihren Taten brüsten, um Schrecken und eine allgegenwärtige Bedrohung zu verbreiten, bedeutet jede öffentliche Aufmerksamkeit für die Mafia finanzielle Einbußen, das will sie vermeiden.

Warum hat die Mafia bei vielen Deutschen noch immer das Image von Folklore? Wurde es durch Filme wie "Der Pate" oder die Liebe zu Italien verklärt?

Sicherlich verbindet man mit diesem Film etwas, das hat sich ritualisiert. In Süditalien können Sie sogar CDs mit Mafia-Musik kaufen. In den Texten wird die Mafia positiv dargestellt, das Versagen des Staates angeprangert. Diese Organisation lebt von Ritualen, die sie innerhalb der eigenen Gesellschaft etabliert hat, daher sehen auch viele Deutsche sie romantisch verklärt. In Wahrheit steckt dahinter sehr viel Leid und Elend. Das somantische Bild würde schnell zusammenbrechen, wenn man neben einem steht, dem mehrere Kugeln in den Kopf geschossen wurden. Wo Menschen unterdrückt und in ein illegales System gezwängt werden, kommen Unschuldige zu Tode.

Toter Fisch in der Zeitung, Bruderkuss - wie relevant sind solche Mythen noch für den Zusammenhalt?

Solche Geschichten sind durch verdeckte Ermittlungen und Videos belegt, die ziehen das durch. Natürlich ist die Mafia heute besser - im Sinne von moderner - organisiert. Aber nehmen Sie die Gangs aus der Rocker-Szene mit ihren Kutten und ihrem kindlich-dummen Gebaren. Das ist auch nur ein Abklatsch von dem, was die Mafia tut.

Klingt fast ein bisschen verniedlichend ...

Im Gegenteil! Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass man in Deutschland genau diese Naivität aufgibt und sich überlegt, wie man die Mafia bekämpfen kann.

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:Razzia beim Italiener um die Ecke

15 Verdächtige wurden bei Ermittlungen gegen die 'Ndrangheta in Deutschland festgenommen. Einer ihrer führenden Köpfe soll ein Restaurantbesitzer in Pulheim sein.

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