Wiener Opernball:Eh alles Drama, Baby!

In diesem Jahr lässt Richard "Mörtel" Lugner sich beim Opernball vom früheren Top-Model Elle Macpherson begleiten. Bloß der nächste Akt einer grotesken Selbstinszenierung? Nicht doch!

Von SZ-Autoren

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Drama, Baby!

Mörtel Lugner lüftet Rätsel über seine Opernball-Begleitung

Quelle: dpa

Mit Elle Macpherson, einem früheren Top-Model, 54 Jahre alt und geboren in Australien, wird Richard "Mörtel" Lugner - wenn alles glatt geht - den Wiener Opernball am 28. Februar besuchen. Er wird mit ihr seine Loge teilen und im Blitzlicht der Kameras die gängigen Klischees über sich bestätigen. Die Rolle des als Bauunternehmers zu nicht unerheblichem Wohlstand gelangten 86-Jährigen beschränkt sich im Prinzip darauf, jedes Jahr im Februar einen weiblichen Gast mit "Luder"-Qualitäten zu engagieren. Dieser Gast, meistens weiblich, führt er dann, so zumindest der Plan, später beim Wiener Opernball öffentlichkeitswirksam in seine Loge. Reiner Trash, oder? Wie Unrecht ihm doch alle tun.

Tatsächlich ist hier - und das lernt, wer sich genauer über das Lugner'sche Figurenensemble der vergangenen zweieinhalb Dekaden beugt - ein großer Künstler am Werk. Lugner bringt nicht einfach Promis in seine Loge. Lugner lässt Figuren von literarischer Tiefe auftreten, raffiniert auserwählt, glänzend inszeniert. Zeugnis seiner Belesenheit. Hier zeigt ein veritabler Theatermacher sein Können, dessen Vorbilder die großen Stoffe der Weltliteratur sind.

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Olimpia

Austrian building tycoon Lugner, his wife Christine and US actress Electra arrive at the Opera Ball in Vienna

Quelle: REUTERS

Gast: Carmen Electra

Literarisches Vorbild: Der Sandmann (E.T.A. Hoffmann)

Die Handlung: 2006 kommt Lugner mit der ehemaligen "Baywatch"-Darstellerin Carmen Electra (rechts im Bild) durch den Hintereingang. Schon vor dem Ball werden Gerüchte kolportiert, Electra gehe auf Distanz zum Gastgeber und habe sich nicht von ihm vom Flughafen abholen lassen. Was sie später dementiert: Electra sagt laut ORF: "Er ist ein guter Mann, ein Gentleman und hat eine schöne Frau". Und er so: "Sie hat auch ein sexy Gesicht und eine sexy Persönlichkeit."

Die Interpretation: Lugner, im Genre der Schwarzen Romantik qua Aura, wechselnden Ehefrauen und eigenem Einkaufszentrum zu Hause, übernimmt hier selbst eine Rolle, nämlich die des narzisstischen Nathanael aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" (1815). Dieser verliebt sich in die seltsam stumme Olimpia (die immerzu "Ach! Ach!" sagt) und preist zwar nicht ihr "sexy Gesicht", aber ihre "himmlische Schönheit". Olimpia ist das Objekt, in dem Nathanael sich spiegelt und dank dessen er sich als geiler Typ fühlen darf. Klarer Vorläufer von Lugner/Electra. Dummerweise stellt sich in der literarischen Vorlage von E.T.A. Hoffmann irgendwann heraus, dass Olimpia kein Mensch ist, sondern ein Automat.

Friederike Zoe Grasshoff

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Biedermann

OPERNBALL 2014

Quelle: picture alliance / GEORG HOCHMUT

Gast: Kim Kardashian

Literarisches Vorbild: Biedermann und die Brandstifter (Max Frisch)

Die Handlung: Für den Mann, der sie einlud, interessierte sich Kim Kardashian 2014 nicht groß, sie brachte ihr eigenes Filmteam und eine Security-Armee mit, gab ansonsten kaum Interviews und starrte auf ihr Handy. Schon vor Mitternacht rauschte sie wieder ab. Er sei froh, dass sie weg ist, maulte Lugner hinterher.

Interpretation: Von Lugner weiß man, dass er "pflegeleichte" Frauen besonders schätzt. Warum also lud er die Kardashian ein? Die Antwort mag jene Kritiker überraschen, die Lugner diese Selbstironie nicht zugetraut hätten: Der Bauunternehmer inszeniert sich in diesem Stück als naiver Biedermann, der ahnungslos die Brandstifter in sein Haus holt. Kardashians feuriger Selbstdarstellungskunst ist selbst der Medienrummelkönig Lugner - zumindest in seiner Rolle als Richard Lugner - nicht gewachsen. Inhaltlich weicht Lugner vom Max-Frisch-Stoff leicht ab, den Untertitel des Frisch-Stücks aber könnte Lugner übernehmen: Lehrstück ohne Lehre.

Moritz Geier

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Pipi Langstrumpf

Nacktmodel Dita von Teese wird Lugner-Gast beim Wiener Opernball

Quelle: dpa

Gast: Paris Hilton

Literarisches Vorbild: Pippi Langstrumpf (Astrid Lindgren)

Die Handlung: Paris Hilton, US-amerikanische Hotelerbin und damals auf dem Höhepunkt ihres Selbstvermarktungsschaffens, kam, lächelte professionell und schaute dann vor allem auf ihr Handy. Schon 30 Minuten nach Mitternacht verließ Hilton, die Eltern, Bruder und eine Cousine mitgebracht hatte, den Opernball; eine halbe Stunde früher als vertraglich vereinbart. Auch beim Tanzen machte sie nicht mit.

Interpretation: Auf den ersten, auf den zweiten und auf den dritten Blick könnte man Lugner für einen unbelehrbaren Sexisten halten; anno 2007 aber muss er einen (sehr) kurzen, anderen Moment gehabt haben. Denn in Hilton holte er sich Pippi Langstrumpf in die Loge Kunterbunt und damit eine Ikone der Kinderbuch-Literatur. Pippi Langstrumpf ist das frechste und stärkste Mädchen der Welt: unangepasst, eigenwillig und sie legt sich gerne mit Erwachsenen an (auf dem Opernball zählen dazu auch Männer wie Lugner). Was außerdem geschah: In dem Astrid Lindgren-Roman "Pippi in Taka-Tuka-Land" nehmen Pippi und ihre Freunde die Zauberpille namens Krummelus, mit deren Wirkung sie für immer Kinder bleiben wollen. Davon muss Pippi Hilton auch Lugner etwas zugesteckt haben. So gemein war sie also doch nicht.

Friederike Zoe Grasshoff

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Emma Bovary

´Mörtel" Lugner bringt ´Desperate Housewife" Sheridan zum Opernball

Quelle: dpa

Gast: Nicollette Sheridan

Literarisches Vorbild: Madame Bovary (Gustave Flaubert)

Die Handlung: 2009 lief im Fernsehen die US-Fernsehserie "Desperate Housewives" rauf und runter, also engagierte Lugner Nicollette Sheridan. Sein Argument: "Sie ist das Luder der Serie". Sheridan kam angeflogen, wünschte Sachertorte, einen Besuch in der Spanische Hofreitschule (und vieles mehr ), kam dann eine halbe Stunde zu spät zum Ball und beugte sich zwei Stunden lang genervt von der Lugner-Logenbrüstung.

Interpretation: Als sicherer Kenner der Weltliteratur, im Speziellen des 19. Jahrhunderts, hat Lugner natürlich sofort die Intertextualität zwischen Desperate Housewives einerseits und Emma Bovary andererseits erkannt: Emma Bovary ist die verzweifelte Hausfrau par excellence. Was Lugner in seiner Aufführung im Jahr 2009 besonders präzise herausgearbeitet hat: den Überdruss an den gesellschaftlichen Konventionen (Wiener Opernball), die nur eine Femme fatale wie Emma Bovary in Gestalt von Nicolette Sheridan verkörpern beziehungsweise sogar transzendieren kann. Formvollendet auch Lugners Regieanweisung an Sheridan, sich wahrhaft gelangweilt (Ennui!) auf die Logen-Brüstung zu drapieren.

Hannes Vollmuth

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Godot

Lindsay Lohan zeigt vor Opernball Diva-Allüren

Quelle: dpa

Gast: Lindsay Lohan

Literarisches Vorbild: Warten auf Godot (Samuel Beckett)

Die Handlung: Lugners damals 16-jährige Tochter hatte ihm bei der Auswahl geholfen: Die US-Schauspielerin Lohan sollte 2010 mit zum Opernball, kam aber nie in Wien an. Der Grund: Gerichtstermine, spontane Shoppingtour, Flug verpasst. Ihr Auftritt platzte. Um Gage und vorgestreckte Reisekosten streiten sich Lugner und Lohan heute noch. (siehe auch: Dieter Bohlen)

Interpretation: Gibt es einen versierteren Vertreter des absurden Theaters als Richard Lugner? In Anspielung auf Samuel Beckett hat Lugner das lange, vergebliche Warten auf Lindsay Lohan als absurden Akt der Sinnlosigkeit inszeniert, als ewige Illusion. Hier offenbart Lugner seine existentialistische Weltanschauung: Er leugnet die Bestimmung des Menschen als gottähnliches Vernunftwesen. Der Mensch, das ist Lugners Botschaft, muss sich erleben, muss auch mal Mist bauen, um sich zu verstehen.

Moritz Geier

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Lolita

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2011

Quelle: REUTERS

Gast: Karima "Ruby" el-Mahroug

Literarisches Vorbild: Lolita (Vladimir Nabokov)

Die Handlung: Großen Wirbel löste Lugner 2011 aus, als er, damals 78, seinen Gast Karima el-Mahroug, damals 18, präsentierte: "Ruby", die Prostituierte Berlusconis, die jener im Jahr zuvor - da war Ruby noch minderjährig - für Sex bezahlt haben soll. Schon wurde der Opernball als Bunga-Bunga-Ball verspottet. Was aber tat Ruby? Entwaffnete alle mit ihrer Offenheit ("Walzer tanzen kann ich nicht, ich kann nur bauchtanzen"), tanzte in der Loge und später sogar mit Lugner auf dem Parkett.

Interpretation: Lugner war 23 Jahre alt, als Nabokovs "Lolita" zum ersten Mal erschien. Und selbstverständlich hat Lolita - "Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele" (Nabokov) - einen Ehrenplatz im Figurenensemble des österreichischen Theatermachers. Kühn, fast heldenhaft ob der politischen Situation, besetzte er Ruby als seine Ball-Lolita, die bei Nabokov mit ihrer verbotenen, weil kindlichen Erotik den Erzähler ins Verderben stürzt. Wenn es jemanden gibt, der dieser Figur gewachsen war, dann Lugner.

Hannes Vollmuth

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Eulenspiegel

Wiener Opernball 2010

Quelle: dpa

Gast: Dieter Bohlen

Literarisches Vorbild: Till Eulenspiegel (Autor unbekannt)

Die Handlung: Nachdem der Auftritt von Lindsay Lohan 2010 geplatzt war, musste sich Lugner um Ersatz kümmern: Seine Wahl fiel auf Dieter Bohlen, der zu Protokoll gab: "Ich habe Österreich schon zweimal den Arsch beim Songcontest mit einer Komposition gerettet. Jetzt kann ich das beim Opernball auch."

Interpretation: Kenner des Lugner'schen Theaterhandwerks wissen selbstverständlich, dass das Lohan-Fiasko nur ein absurdes Präludium à la "Warten auf Godot" war, ein Ablenkungsmanöver. Damit er dann am Ende die Figur präsentieren konnte, auf die er es wirklich abgesehen hatten: Dieter Bohlen, den Till Eulenspiegel der Nullerjahre, Bohlen, den Gaukler, Bohlen, den Spott säenden Schelm, das Chaos bereitende Element. Deftige Wortwahl ist seine Sache, ein breites, verschlagenes Grinsen auch. Gerade mit Bohlen bewies Lugner, dass man seinem Schauspiel alles nachsagen kann, aber niemals Eintönigkeit.

Hannes Vollmuth

© SZ vom 14.02.2019/pvn
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