Süddeutsche Zeitung

Österreich:Wien wird doch nicht zur Hauptstadt der Namenlosen

  • In 220 000 Wiener Gemeindebauwohnungen sollten die Klingelschilder auf Türnummern umgerüstet werden.
  • Ein bis heute anonym gebliebener Mieter hatte in der in der Nennung seines Namens an der Haustür einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung der EU gewittert.
  • Die Stadt-Regierung war seiner Argumentation erst gefolgt - und macht doch noch eine Kehrtwende.

Von Peter Münch, Wien

Fast wäre Wien die Hauptstadt der Namenlosen geworden, doch nun macht die Stadt-Regierung doch noch eine Kehrtwende: Die im Oktober unter größter öffentlicher Anteilnahme bis weit über die Grenzen des Landes hinaus verkündete Anonymisierung der Klingelschilder in allen städtischen Wohnungen wird gestoppt. "Es gibt zu dem Thema unterschiedliche Rechtsmeinungen, daher bleiben die Namensschilder", verkündete nun die Wohnbau-Stadträtin Kathrin Gaal. Sie beruft sich dabei auch auf viele Mieter, die protestiert hätten gegen die Ersetzung ihres Namens durch bloße Wohnungsnummern.

Ursprünglich auf das Problem aufmerksam gemacht hatte ein bis heute anonym gebliebener Mieter, der in der Nennung seines Namens an der Haustür einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung der EU witterte. Die städtischen Experten schlossen sich dieser Lesart an und verfügten im Eilverfahren, bei allen 220 000 Wiener Gemeindebauwohnungen die Klingelschilder auf Türnummern umzurüsten, die in Österreich auf gut Griechisch "Top"-Nummern heißen, von Topos, der Ort.

Bei diesem Beschluss blieb es zunächst sogar, als die EU-Kommission hochoffiziell bestätigte, dass die neue Datenschutz-Verordnung diesen Bereich gar nicht reguliere. Seit dem 7. November sind die städtischen Bediensteten im Einsatz beim Unternehmen Klingelschild - doch inzwischen häufen sich offenbar die Beschwerden. Deshalb griff nun die Politik ein in Gestalt der SPÖ-Stadträtin Gaal. Der Stopp der Aktion bedeutet auch, dass bei den mehr als 10 000 Wohnungen, bei denen die Umstellung bereits erfolgt ist, nun wieder die Namensschilder angebracht werden. Wer das nicht will, muss seinen Wunsch schriftlich kundtun. Anders herum verhält es sich allerdings bei neuen Mietern. Die bekommen grundsätzlich eine Top-Nummer auf ihr Klingelschild, aber es bleibt ihnen frei gestellt, es selbst mit dem Namen zu beschriften.

Gekostet haben soll das Hin und Her bis-lang schon mehr als 14 000 Euro. Abgerechnet wird überdies auch noch auf dem Feld der Politik. Die FPÖ wettert nun gegen das "dreiste rot-grüne Treiben" der Stadtregierung in dieser Causa und nimmt für sich in Anspruch, von Anfang an für die Namen gekämpft zu haben. Da zieht womöglich ein Wahlkampf-Thema auf für die Schlacht um die Macht im neuen Schilda.

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SZ vom 29.11.2018/ick
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