Österreich:Todesschüsse in den Rücken

Nachdem die österreichische Polizei einen 14-Jährigen im Einsatz getötet hatte, zeigte die Öffentlichkeit Verständnis. Jetzt steht fest: Er wurde von hinten erschossen.

Michael Frank, Wien

Schlimmer kann eine Konfrontation zwischen Gesetz und rechtswidrigem Verhalten kaum ausgehen. Im niederösterreichischen Krems sind im August ein 17- und ein 14-jähriger Halbwüchsiger nachts in einen Supermarkt eingestiegen. Unbemerkt für die Einbrecher wird stiller Alarm ausgelöst, zwei Polizisten und ein Angestellter eilen herbei.

Das Zusammentreffen von Rechtsbrechern und Ordnungsmacht endet schaurig: Der 14- Jährige stirbt, der 17-Jährige bleibt schwerverletzt im Laden zurück, niedergestreckt von Polizeikugeln. Die Öffentlichkeit ist entsetzt über den Tod des Kindes, hegt aber gewisses Verständnis für die ihrerseits geschockten Beamten, eine Polizistin und ihren Kollegen.

Man verzichtet der psychischen Belastung wegen sehr lange auf deren Einvernahme. Der schwerverletzte Bursche - ein Schuss aus der Hand der Polizistin durchschlägt beide Oberschenkel - wird nach der Krankenhausbehandlung in Untersuchungshaft genommen.

Den Polizeibeamten wird gerne "Putativnotwehr" zugebilligt, also die Reaktion auf einen fälschlicherweise angenommenen Angriff. Der erste Schuss der Polizistin in einem finsteren Flur, konfrontiert mit einer dunklen, möglicherweise schlecht einzuschätzenden Gestalt, mag da seine Ursache haben.

Für den Schuss auf den 14-Jährigen, bei dem sich der Polizist ebenfalls in einer Verteidigungssituation glaubt, wie er angibt, kann das offenbar nicht mehr gelten: Laut Gutachten ist der 14-Jährige in einem gut beleuchteten Raum aus zwei Metern Entfernung von hinten in den Rücken geschossen worden. Er war unbewaffnet, hatte ein Werkzeug unsichtbar unter der Regenjacke versteckt.

Wie kann eine derartige Fehlreaktion bei professionellen Einsatzkräften überhaupt zustande kommen? Der Fall bekommt mittlerweile eine Dimension, in der die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen "vorsätzlichen" Handelns nicht mehr ausschließen mag. Vorerst wird gegen beide Polizisten wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen ermittelt.

Die Gutachten der Gerichtsmedizin und des Ballistikers sagen, der tödliche Schuss sei zu einem Zeitpunkt gefallen, als eine Gefahr für die Beamten längst gebannt war - wenn denn überhaupt eine Gefahr gegeben war.

Diese Wendung des Falls ist ernüchternd. Denn Österreichs Boulevardzeitungen hatten lange Verständnis und Rücksicht für die Beamten eingefordert. Jetzt wird klar, dass mehr als unglückliche Umstände den Tod des Buben bewirkt haben, wenn nicht eine schwer entschuldbare Überreaktion der Polizisten der Grund war.

Körperverletzung mit Todesfolge könnte bis zu zehn Jahren Haft einbringen. Eine vorläufige Suspendierung der Beamten steht nicht an. "Das wäre gesetzlich gar nicht möglich. Es gibt auch keinen Handlungsbedarf", erklärte ein Oberstleutnant des Landespolizeikommandos Niederösterreich.

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