Süddeutsche Zeitung

Österreich:Ein Land zieht blank

In Österreich darf man sein Gesicht künftig nur noch aus kulturellen oder gesundheitlichen Gründen verhüllen. Sonst drohen 150 Euro Strafe. Das neue Gesetz könnte freilich auch so heißen: Burka-Verbot.

Von Peter Münch, Wien

Auf die österreichische Polizei kommt ab Sonntag eine neue Aufgabe zu: Sie muss Vermummte jagen. Vom 1. Oktober an gilt das neue Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, kurz: AGesVH, vulgo: Burka-Verbot. Ähnliches gibt es zwar bereits seit einiger Zeit in Belgien, Frankreich, Bulgarien oder im Schweizer Tessin. Aber in Österreich könnten die Konsequenzen weitreichender sein. Eine Verunsicherung jedenfalls macht sich nicht nur in den sogenannten Hinterhof-Moscheen breit, sondern auch in den von arabischen Touristen gern bevölkerten Luxushotels und obendrein noch von den Ballsälen bis zu den Skipisten.

Natürlich ist das Gesetz gegen die verschleierten Kräfte des radikalen Islam gerichtet, die auch im österreichischen Wahlkampf gerade wieder als Projektionsfläche für allerlei Ängste dienen. Dem Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung ist es je-doch geschuldet, dass das Gesetz religionsneutral formuliert werden musste. Erfasst werden deshalb nicht nur Burka und Nikab tragende Muslima. Im Visier ist jeder, der in der Öffentlichkeit seine "Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind". Schlechte Zeiten also für Horrorclowns und Freunde allzu großer Sonnenbrillen. Oder auch für die vielen asiatischen Besucher, die aus Angst vor Ansteckungen gern Mundschutz tragen.

Die Idee zu dem Gesetz stammt von Kanzlerkandidat Sebastian Kurz

"Behutsam, aber konsequent" wolle man bei der Umsetzung vorgehen, hat das Innenministerium verkündet. Zur Aufklärung wurde ein Faltblatt entworfen, das in Bild und Text - viersprachig auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch - über die neuen Regeln informiert. Wer sich dem Verbot widersetzt, muss mit einer Strafe von bis zu 150 Euro und einer Mitnahme aufs Polizeirevier rechnen.

Die Ausnahmen sind klar definiert, zum Beispiel für "kulturelle und traditionelle Veranstaltungen", was den Fasching einschließt, aber eher keine privaten Maskenbälle außerhalb der Saison. Motorradfahrer dürfen weiter Integralhelme tragen. Mundschutzträger müssen ein ärztliches Attest vorweisen können. Sonderregeln gelten auch beim Sport. Doch wenn auf der Piste Skihelm, Brille und Sturmmaske erlaubt sind, könnte man sich streng genommen auch mit der Burka auf Brettern auf den Kälteschutz berufen.

Da droht noch mancher Graubereich, und Probleme könnten vor allem im Tourismus erwachsen. Im vergangenen Jahr wurden in Österreich allein 120 000 Besucher aus den Golf-Emiraten und 105 000 aus Saudi-Arabien gezählt. Die sind nicht nur oft verhüllt, sondern meist auch gut betucht. Die Kronen Zeitung berichtet bereits von einer Reisewarnung für Österreich aus Oman. Mit Informationskampagnen in arabischen Ländern mit hohem Besucherpotenzial wollen die österreichischen Tourismusvermarkter nun bösen Überraschungen vorbeugen.

Eingemischt in die österreichische Debatte hat sich inzwischen auch der in Paris residierende algerische Geschäftsmann Rachid Nekkaz. Er will aus Protest gegen das Verbot alle anfallenden Geldstrafen auf seine Rechnung nehmen. So macht er das auch in anderen Ländern und hat dafür nach eigenen Angaben schon 300 000 Euro ausgegeben. In Österreich sollte sich der "Moslem-Millionär", wie ihn die Boulevard-Blätter nennen, jedoch besser warm anziehen. Kanzler-Kandidat Sebastian Kurz, der auch das Verbotsgesetz initiierte, hat bereits erklärt: "Wir lassen uns das sicher nicht gefallen."

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SZ vom 30.09.2017
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