Hitler-Rede im Zug:Die Macht des Vierkantschlüssels

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Mit einem Vierkantschlüssel (hier das Modell zur Heizungsentlüftung) haben sich gerade zwei Bösewichte in einem ÖBB-Railjet Zugang zu den "Sprechstellen" verschafft. (Foto: Manfred Habel/mauritius images)

In Österreich war plötzlich Hitler im Railjet zu hören. Die Akustik-Terroristen hatten die Sprechstelle im Zug mit einem Standardwerkzeug geöffnet. Droht jetzt Gefahr für die Demokratie?

Von Martin Zips

Es wird dieser Tage ja viel spekuliert, wann er denn wohl kommt, der weltweite Blackout, ausgelöst durch Cyberterroristen oder Tiefseetaucher oder sonstige Saboteure, die es auf was auch immer abgesehen haben. Aber klar, eine vor allem auf Digitalität und Elektrizität ausgerichtete Welt, die ist eben fragil. Gleichzeitig droht der Mensch herkömmliche Gefahren mehr und mehr aus dem Blick zu verlieren: Die Brechstange zum Beispiel, die Tresorbombe, die Bananenschale oder den Vierkantschlüssel.

Mit einem solchen Schlüssel haben sich gerade Bösewichte in einem ÖBB-Railjet Zugang zu einer Sprechstelle verschafft. Sprechstellen werden die Durchsage-Dienst-Kommoden der österreichischen Zugbegleiter genannt. Wer Zugang zu einer Sprechstelle hat, der hat die Macht. Zunächst speisten die Akustik-Terroristen zwischen Wien Hauptbahnhof und St. Pölten diverse Hoppalas in die Lautsprecher ein. Hoppalas nennt man in Österreich Versprecher. Das war für die Passagiere ja noch ganz lustig, als plötzlich die Schauspielerin Chris Lohner zu hören war, die auch die offizielle Stimme der Österreichischen Bundesbahnen ist und sich halt manchmal verspricht ("This train also stops at Fuck am See"). Als dann aber plötzlich "Sieg Heil" und Hitler durch den Zug schallten, dann war's aus mit lustig. Zum Glück konnten die Täter bald dingfest gemacht werden, ihnen droht ein Verfahren wegen "Wiederbetätigung", man könnte auch sagen: politischer Zündelei.

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Was bleibt, ist ein flaues Gefühl beim Betrachten des eigenen Werkzeugkastens, den man sich schon vor vielen Jahren im Baumarkt gekauft hat, zusammen mit der Erlebnisdusche, dem Wäscheständer und der Dimmleuchte. Kann es sein, dass von diesem einfachen Stück Metall eine derart große Gefahr für die Demokratie ausgeht? In Österreich verweist man jetzt darauf, dass das zum Öffnen der Sprechstellen benötigte Werkzeug in Europa zehntausendfach im Umlauf sei. Das ergibt auch Sinn, wenn so ein Zug von Ungarn, vielleicht mit einem kleinen Abstecher über das politisch oft nicht weniger rätselhafte Kickl-Kärnten, nach Bayern fährt. Aber, hoppala: Könnte ein Bürger in Wut mit dem gleichen Schlüssel auch Poller vor dem Bellevue versenken oder sich Zugang zum Düngemittel des Kanzleramtes verschaffen? Die eigentliche Gefahr, das lernen wir auch hier, geht immer vom Menschen aus.

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