Süddeutsche Zeitung

Obama zum Amoklauf in Aurora:"Das Herz der amerikanischen Familie ist zerbrochen"

Barack Obama unterbricht seinen Wahlkampf: Der US-Präsident appelliert an seine Landsleute, den Polit-Streit zu unterbrechen und der zwölf Toten in Colorado zu gedenken. Die Tragödie sei Anlass, sich "die wichtigen Dinge im Leben" bewusst zu machen. Auch der Republikaner Romney ist bestürzt. Über eine Verschärfung der Waffengesetze spricht keiner der Kandidaten.

Matthias Kolb, Washington

Es sollte eine angriffslustige Rede werden. Geplant war ein typischer Wahlkampfauftritt, bei dem US-Präsident Barack Obama in Florida deutlich machen wollte, dass sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney das Land in die falsche Richtung führen und dem Mittelstand schaden würde. Doch nach dem Blutbad in einem Kino in Colorado suchte Obama nach Worten, um seine Landsleute zu beruhigen: "Die Tragödie, von der wir alle heute morgen erfahren haben, erinnert uns daran, dass wir eine gemeinsame amerikanische Familie sind."

In seiner kurzen Rede in Fort Myers bezeichnete der US-Präsident die Schießerei als "sinnlos". Ein 24-jähriger Mann ist in Polizeigewahrsam. Obama sagte, er vertraue darauf, dass die Behörden den Fall aufklären würden und berichtete, dass er mit dem Bürgermeister von Aurora und mit Colorados Gouverneur telefoniert habe: "Ich habe ihnen gesagt, dass das Herz der gesamten amerikanischen Familie zerbrochen ist."

Der Präsident trat staatsmännisch auf und brachte zwei Mal Zwischenrufer mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. Der traurige Anlass solle die Amerikaner daran erinnern, welche Dinge im Leben wichtig seien: Es gehe um Familie, Freundschaft und darum, der Gemeinschaft zu helfen. "Unser Leben ist kurz. All die Menschen, die in Aurora gestorben sind, hatten Träume, die noch nicht in Erfüllung gegangen sind", erklärte Obama.

Als Vater zweier Töchter im Teenager-Alter könne er sich das Leiden der Eltern genau vorstellen: "Malia und Sasha gehen auch ins Kino. So viele Kinder tun das. Michelle und ich werden unsere Töchter heute besonders lang umarmen. Diejenigen von euch, die Kinder haben, werden das auch tun. Aber ich bitte euch, an die Eltern zu denken, die dies nicht mehr können. Wir müssen als Nation für sie da sein." Anschließend bat Obama seine Anhänger, in einer Schweigeminute den Toten, Verletzten und deren Angehörige zu gedenken. Bei dem Event wurde keine Musik gespielt, es waren auch keine Poster mit dem Obama-Slogan "Forward" angebracht worden.

"Es wird andere Tage für Politik geben. Diesen Tag sollten wir für Gebete und Besinnung nutzen", erklärte Obama, der einen weiteren Wahlkampfauftritt in Florida absagte, um zu Briefings nach Washington zurückzukehren. Auch Vizepräsident Joe Biden und First Lady Michelle sagten Termine ab.

Obamas Wahlkampfsprecherin Jen Psaki erklärte, man habe TV-Sender in Colorado gebeten, keine Wahlkampfvideos auszustrahlen, die den politischen Gegner Romney attackieren. Ähnlich reagierten republikanische Super-Pacs. Nicht alle Fans hielten sich an Obamas Bitte um Zurückhaltung: Als der Demokrat die Bühne verließ, waren einige "Four more years"-Rufe zu hören.

Auch Romney meldete sich zu Wort. "Wir beten für die Familien und Lieben der Opfer in diesem Moment des Schocks und der tiefen Trauer", hieß es zunächst in einer Mitteilung des Republikaners. "Wir erwarten, dass der Verantwortliche rasch zur Rechenschaft gezogen wird." Später sagte er vor Anhängern in New Hampshire, die Amerikaner erlebten an diesem nicht nur ein "Gefühl der Trauer", sondern auch ein "Gefühl der Hilflosigkeit".

Er spreche heute nicht als Kandidat, sondern als "Vater, Großvater und Ehemann", erklärte Romney. "Jeder von uns wird seine Kinder heute abend etwas fester halten, etwas länger mit Kollegen reden oder einen Freund oder Verwandten anrufen."

Zwei Dinge fallen sofort auf: Die Kandidaten präsentieren sich als mitfühlende Familienmenschen, und beide verlieren kein Wort über eine mögliche Verschärfung der Waffengesetze. Dabei ruft das Blutbad von Aurora Erinnerungen an das Schulmassaker von Littleton, das Attentat auf die demokratische Abgeordnete Gabby Giffords oder den jüngsten Amoklauf an einer Privatuni in Oakland hervor.

Nach all diesen Ereignissen trauerte das Land, doch kaum ein Politiker wagt es, sich mit der Waffenlobby anzulegen und sich für strengere Regeln einzusetzen. Gerade für den Demokraten Barack Obama wäre ein solcher Vorschlag politisch sehr riskant: Er braucht die Stimmen der weißen Mittelschicht-Wähler in swing states wie Virginia, Ohio und Pennsylvania - und vielen dieser Männer und Frauen sind ihre Pistolen und Gewehre sehr wichtig.

Lediglich Michael Bloomberg, der Bürgermeister im liberalen New York, forderte Obama und Romney auf, für eine Verschärfung der Waffengesetze zu sorgen. Diese schrecklichen Taten fänden immer wieder und im ganzen Land statt. Bloomberg ordnete nach CNN-Angaben zudem Sicherheitsvorkehrungen bei "Batman"-Vorführungen in seiner Stadt an.

Warner Bros., der Verleiher des Filmes "Batman - The Dark Knight Rises", dessen Premiere sich in Aurora in eine Tragödie verwandelte, sagte die feierliche Uraufführung des Actionsfilms in Paris ab und teilte mit: "Warner Bros. ist tieftraurig, von diesem schockierenden Vorfall zu erfahren. Wir sprechen den Familien und Lieben der Opfer unser ehrliches Mitgefühl aus."

"Mögen die Verletzten wieder ganz gesund werden"

Lokalpolitiker reagierten ebenfalls entsetzt auf die Tragödie: "Die Polizeikräfte tun, was sie können - sie handeln tapfer im Angesicht der Gewalt und wir sind alle dankbar für ihre Dienste. In den kommenden Stunden und Tagen werden wir die Antworten erhalten, nach denen wir so verzweifelt suchen, um zu verstehen, was passiert ist", sagte der republikanische Abgeordnete Cory Gardner.

Sein Parteifreund Mike Coffman sagte: "Meine Gedanken und Gebete sind nach diesem sinnlosen Gewaltakt bei allen Opfern und ihren Familien. Ich lebe schon fast mein ganzes Leben in Aurora, und noch nie ist so etwas wie das passiert. Diese Art der Gewalt hätte ich erwartet, als ich als Marine-Soldat im Irak gedient habe, aber nicht hier zu Hause."

Mike Tipton, ebenfalls Republikaner, machte den betroffenen Menschen Mut: "Mögen die Familien in dieser schwierigen Zeit Stärke und Frieden finden, und die Verletzten wieder ganz gesund werden."

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