SZ-Kolumne "Alles Gute":Ein wahrer Bilderbuch-Strand

Alles Gute
(Foto: Steffen Mackert)

Der Oarai Sun Beach lockt jeden Sommer Menschen aus der Kanto-Region zum Baden. Dieses Jahr dürfen sie nur zum Lesen kommen - eine hervorragende Idee, findet unser Autor.

Von Thomas Hahn

Irgendwas musste sich der Tourismus-Verband von Oarai schließlich einfallen lassen. Ein Badeort, in dem aufgrund der Pandemie das Baden verboten ist, stellt sich naturgemäß existentielle Fragen: Was kann ich? Wer bin ich? Warum bin ich? Doch bevor eine marternde Sinnsuche die ostjapanische Stadt am Pazifik in Depression und Untergangsstimmung treiben konnte, hatten die örtlichen Fremdenverkehrsschaffenden auch schon eine Idee für ihren Sonnenstrand: Am 1. August wurde am Strand von Oarai eine Beach-Bibliothek eröffnet. Lesen mit Meeresrauschen im Hintergrund ist der Spaß des Sommers 2020. Das Schwimmverbot ist jetzt ein Ereignis.

Das ist insofern erwähnenswert, weil der "Oarai Sun Beach", ein beliebter Sandstrand 120 Kilometer nördlich von Tokio in der Präfektur Ibaraki, im Sommer Erholungssuchende aus der ganzen Kanto-Region anlockt. Doch dieses Jahr soll eigentlich niemand kommen, damit sich das Coronavirus nicht weiter ausbreitet. Deshalb ist die Hauptattraktion des Standortes, das Ins-Wasser-Gehen, gerade untersagt. Aber niemand sind halt doch ein paar Gäste zu wenig.

800 Bücher warten zur Ausleihe

Die Strandbücherei ist der Kompromiss zwischen Virusvorsorge und Action am Wasser. Der Tourismus-Verband hat Schatten spendende Zeltplanen aufgebaut und die nahegelegene Tsunami-Evakuierungsanlage mit etwa 800 Büchern ausgestattet, die Privatpersonen und Stadtbücherei gespendet haben. Diese Bücher können Besucher nun jeden Tag ausleihen und am Strand lesen - natürlich nach ordnungsgemäßer Desinfektion der Hände und Registrierung am Empfang.

Insgesamt stehen dazu 40 Sitzgelegenheiten zur Verfügung, die den nationalen Abstandsregeln genügen. Wer zuerst kommt, liest zu erst, Reservierungen sind nicht möglich. Jeder könne so lange sitzen bleiben, wie er wolle, meldet der Tourismusverband auf seiner Webseite. Allerdings nur innerhalb der Öffnungszeiten von 15 bis 18 Uhr. Außerdem gewährt der Veranstalter Lesefreiheit: "Sie können Ihr eigenes Buch mitbringen."

Bei Sturmwarnung fällt das Lesen am Strand übrigens aus, was kein Nachteil ist. Erstens ist das Japan-Wetter im August meistens ruhig und schwül. Zweitens will ohnehin niemand draußen lesen, wenn der Wind die Blätter im Buch aufwirbelt. Bedauerlicher für die Freunde des Beach-Lesens ist der Umstand, dass die Strandbücherei am Sonntag schon wieder ihren letzten Tag hat - für diese Saison und möglicherweise sogar für immer. Denn im nächsten Jahr ist die Pandemie ja vielleicht vorbei und der "Oarai Sun Beach" wieder einer dieser ganz gewöhnlichen Strände, an dem das Wasser für die Masse der Besucher verlockender ist als ein gutes Buch.

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