NRW:Gladbecker Geiselnehmer darf vier Stunden "Mensch sein"

Gladbecker Geiseldrama

Der Fluchtwagen der Geiselnehmer von Gladbeck (rechts) wird von dem Mercedes der Polizei (links) auf der Autobahn A3 bei Bad Honnef gestoppt.

(Foto: dpa)
  • 1988 war Hans-Jürgen Rösner mit seinem Komplizen Dieter Degowski für das "Gladbecker Geiseldrama" verantwortlich.
  • Nach einem missglückten Banküberfall waren die beiden tagelang auf der Flucht, in deren Verlauf drei Menschen starben.
  • Dafür wurde Rösner zu lebenslanger Haft mit Sicherheitsverwahrung verurteilt und verbüßt seine Strafe aktuell in der JVA Aachen.
  • Nun durfte Rösner erstmals das Gefängnis verlassen. Im Sommer 2016 könnte er dauerhaft entlassen werden.

Eschweiler, am Nordhang der Eifel. Eine Stadt mit vielen Vorzügen, sagt ihr Bürgermeister Rudi Bertram. Gute Infrastruktur, zahlreiche Kultur- und Freizeiteinrichtungen, reizvolle Naherholungsgebiete und ein reges Vereinsleben würden Lebensqualität schaffen.

Wo, wenn nicht in der Kleinstadt nahe Aachen hätte der Gladbecker Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner besser seine ersten Stunden außerhalb eines Gefängnisses nach mehr als 27 Jahren verbringen sollen. "Hier genießt man es, Mensch zu sein", heißt es schließlich auf der Homepage der 55 000 Einwohner-Gemeinde.

Rösner genoss sein Mensch-Sein mit spezieller Hand- und Fußfessel und unter strenger Begleitung von drei Polizeibeamten. Laut Kölner Stadtanzeiger saß der 58-Jährige in einem Café, kaufte in einem Elektromarkt Musik-CDs und schlenderte durch die kleine Fußgängerzone. Erkannt sei er dabei nicht worden, sagte Rösners Anwalt Rainer Dietz der Zeitung. "Es ist alles glatt und entspannt abgelaufen." Nach vier Stunden kehrte der zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilte Rösner in die Justizvollzugsanstalt Aachen zurück.

Maßnahme "zur Aufrechterhaltung der Lebenstüchtigkeit"

Im August 1988 war er mit seinem Komplizen Dieter Degowski nach einem missglückten Bankraub in Gladbeck im Ruhrgebiet mit Geiseln geflüchtet. Ihre drei Tage dauernde, als "Gladbecker Geiseldrama" in die Geschichte eingegangene Flucht endete in einer Polizeiaktion auf der Autobahn 3 bei Bad Honnef. Zwei Geiseln - ein 15-Jähriger und eine 18-Jährige - sowie ein Polizist kamen dabei ums Leben. Während der Flucht hatten die Geiselnehmer sich immer wieder, auch vor laufenden Kameras, interviewen lassen.

Dass er vergangene Woche durch Eschweiler spazieren durfte, sei eine Maßname zur "Aufrechterhaltung der Lebenstüchtigkeit", sagte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Justizministeriums. Damit Rösner mal sehen könne, "wie sich die Welt nach 27 Jahren verändert hat."

Sein Anwalt ist in der Vergangenheit mehrfach vor Gericht gezogen, um Rösner diese im Strafvollzugsrecht verankerte Maßnahme zu ermöglichen. "Was bei anderen Knackis eine Selbstverständlichkeit ist, darum muss man bei Rösner immer wieder kämpfen", sagte Dietz. Nur: Sein Mandant hat es immer wieder abgelehnt, ausgeführt zu werden. Dem Justizministerium zufolge habe Rösner die spezielle Kombination aus Hand- und Fußfessel nicht tragen wollen, die für Außenstehende unsichtbar unter der Kleidung befestigt wird.

Haftentlassung im Sommer 2016 möglich

Dass Rösner nun einwilligte, seine Gefängnismauern zu verlassen, hat einen Hintergrund. Er muss seine Strafe bis mindestens Juni 2016 verbüßen, hat dann erstmals die Chance, eine Haftentlassung auf Bewährung zu beantragen. Bedingung dafür seien "umfassende" Lockerungsmaßnahmen - beispielsweise ohne Fessel und mit nur einem Betreuer auszugehen. "Das ist zur Zeit nicht der Fall, weil er aus unserer aktuellen Sicht nicht lockerungsgeeignet scheint", so der Ministeriumssprecher.

Rösner scheint trotzdem Hoffnungen zu hegen. Inwieweit diese durch die Eschweiler Lebensqualität entstanden sind, ist nicht bekannt. Klar ist aber: Der einstige Geiselgangster geht mittlerweile alle zwei Wochen zur Einzeltherapie mit einem Psychologen, sagte sein Anwalt. Auch dagegen hatte Rösner sich jahrelang gewehrt.

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