Notre-Dame:In Flammen

Der zerstörerische Brand der berühmten Pariser Kathedrale hat Menschen weltweit bewegt. Sie soll rasch restauriert werden, aber wie? Schon gibt es Streit.

Von Kia Vahland

Sie steht. Immer noch. Die Kathedrale von Notre-Dame in Paris hat das Feuer überlebt, das am 15. April den Dachstuhl zerstörte, den Spitzturm zum Einstürzen brachte, Gewölbeteile vernichtete. Zwar kann immer noch viel passieren. Die Mauern und Fugen sind womöglich durch das Löschwasser und eindringendes Salz doch so porös geworden, dass auch später noch Teile einbrechen können. Welche Schäden das herabgeflossene Blei des Daches im Strebewerk verursacht hat, ist auch nicht abzumessen. Sogar in den Pfeifen der Orgel fanden sich Spuren von Blei (und bedenklich viel davon auch im Blut der Handwerker und der Nachbarskinder, welche die Luft nach dem Brand eingeatmet hatten).

Aber: Es gibt Notre-Dame noch, die Kathedrale Unserer Lieben Frau an der Seine. Die Baumeister des 12. bis 14. Jahrhunderts verstanden ihr Handwerk, sie zielten auf die Ewigkeit, als sie ihre Strebebögen in die Höhe zogen und vorsorglich das brennbare Holzdach getrennt von dem Gewölbe konstruierten - schließlich fingen auch damals schon Kirchen Feuer, die Architekten und Handwerker verfügten über Erfahrungswissen. Überlebt haben nicht nur Steine, auch die Buntglasfenster hielten stand sowie die Einrichtungsgegenstände, die Kunstwerke und Reliquien und die Kanzel.

Danach sah es am Abend des 15. April gar nicht aus. In Echtzeit beobachtete das Weltpublikum auf seinen Bildschirmen, wie die Flammen gen Himmel züngelten, immer weitere Teile erfassten, wie sich der schmale, mehr als 90 Meter hohe Vierungsturm schließlich nicht mehr auf dem Dach halten konnte und krachend ins Innere stürzte.

Das Unheil nahm seinen Lauf, es schien nicht aufzuhalten zu sein. Auf Luftaufnahmen sah die Kirche wie ein großes brennendes Kreuz aus. Pariser und Touristen rannten auf die Straßen, beteten, sangen religiöse Lieder. Es war tieftraurig. Und zugleich führte der Schrecken dieses Abends die Menschen zu einer Art spirituellem Akt zusammen, wie ihn Paris seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte. Es schien, als würde das gotische Gotteshaus im Moment seines Niedergangs noch einmal seine Kraft der Transzendenz entfalten.

Die Anteilnahme auch unter Nichtchristen war dabei groß, schließlich ist die Kathedrale eng mit der Geschichte des Landes verbunden. In den Revolutionsjahren galt sie als Symbol der Monarchie und verlor im Bildersturm wichtige Kunstwerke; 1804 ließ Napoleon sich hier zum Kaiser krönen. International beliebt wurde die Kirche durch Victor Hugos 1831 erschienenen Roman "Der Glöckner von Notre-Dame", der die Schönheit der Gotik feierte.

Mitte des 19. Jahrhunderts restaurierte der Architekt Eugène Viollet-le-Duc den Bau und ersetzte fantasievoll fehlende Skulpturen und Wasserspeier, auch der Vierungsturm war seine Erfindung. Später malten die Impressionisten immer wieder die Fassade und überführten das Bild der Kathedrale damit in die Moderne. Bei so viel Symbolkraft und einer so langen Geschichte ist es kein Wunder, dass Paris-Liebhaber auf der ganzen Welt sich von den Bildern des Brandes getroffen fühlten.

Schnell wurde dieses Gefühl für die Verletzbarkeit großer Kunst von Populisten und Nationalisten missbraucht, die meinten, in dem Brand ein Symbol für den angeblich drohenden Untergang des christlichen Abendlandes erkennen zu können. Und manche Linke echauffierten sich über die Aufmerksamkeit, die die lodernde Kirche erhielt. Dass französische Milliardäre einander sogleich mit Spendenangeboten im dreistelligen Millionenbereich übertrafen, erschien ihnen angesichts anderer Notstände auf der Welt degoutant.

Erst als Präsident Emmanuel Macron den Wiederaufbau zur Chefsache erklärte, schwenkte die Debatte um: Seither geht es um das Wie, nicht mehr um das Ob. Ein eigens beschlossenes Gesetz für eine schnelle Restaurierung von Notre-Dame, angestrebt innerhalb von fünf Jahren, setzte denkmalpflegerische Regeln teils außer Kraft - zum Entsetzen von Fachleuten, die erklärten, wie aufwendig ein nachhaltiger Neuaufbau ist. Noch nicht ausdiskutiert ist die Frage, was überhaupt wiedererrichtet werden soll - der mittelalterliche Zustand des Daches? Der beliebte kleine Vierungsturm aus dem 19. Jahrhundert, so wie er vor dem Brand aussah? Das Holzdach, das vom Gewicht her passt, aber wieder abbrennen kann? Oder soll eine feuerfeste Stahlkonstruktion her, die aber womöglich zu statischen Problemen führen kann? Wie wäre es gleich mit einem durchsichtigen Glasdach, oder zumindest mit einem Vierungsturm, dem man das 21. Jahrhundert auf den ersten Blick ansieht?

Einig sind sich alle darin, dass die irgendwann hoffentlich einmal wiedereröffnete Kirche besser geschützt werden muss als früher. Der Brand hat viel mit zu laxen Sicherheitsmaßnahmen zu tun, mit zu wenig und nicht gut genug ausgebildetem Sicherheitspersonal, mit falscher Gefahreneinschätzung am Brandtag, mit nicht ausreichend überwachter Elektrik bei den Instandsetzungsarbeiten in dem Turm, der als erster Feuer fing.

Die große Notre-Dame, so erschien es vor dem 15. April, steht schon so lange an der Seine, sie erträgt auch Sparmaßnahmen und Nachlässigkeit bei der Sicherheit. Doch das stimmte nicht. Seit dem Unglück werden nun überall in Europa die Brandschutzbestimmungen in alten Kirchen geprüft. Wiedererwacht ist das Bewusstsein dafür, wie fragil auch die mächtig wirkende Gotik sein kann und wie viel fehlen würde, gäbe es die Kirchen des Mittelalters einmal nicht mehr.

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