Süddeutsche Zeitung

Katastrophenschutz:Es geht ans Eingemachte

  • Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ruft Bürger dazu auf, Rezepte für lang haltbare Lebensmittel einzureichen, um daraus ein "Notfallkochbuch" zu erstellen.
  • Die Zutaten sollte ohnehin jeder als Notvorrat zu Hause haben, rät die Behörde.
  • Die Aktion erzeugt Aufmerksamkeit für das Thema - auch ungewollte. Rechte Blogs sehen sie als Beleg, dass die Bundesrepublik durch die Energiewende in den Blackout steuere.

Von Philipp Bovermann

Zu Zeiten des Kalten Krieges ließ der Zivilschutz einfach die Sirenen heulen, um auf sich aufmerksam zu machen. So blies er beiderseits der Mauer zur Übung und erinnerte zugleich daran, dass das bequeme und sichere Leben jederzeit schlagartig vorbei sein kann, sobald Raketen in der Luft sind. Seitdem hat sich einiges geändert. Wenn das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) heute vor existenziellen Gefahren warnen will, entwickelt es eine Social-Media-Kampagne - voll mit positiven Botschaften, man kann mitmachen, es ist lustig, kreativ und es gibt sogar was zu gewinnen.

So zu beobachten bei der am Mittwoch gestarteten Kampagne "Notfallkochbuch" des BBK. Die Katastrophenschützer rufen die Menschen in einem Wettbewerb dazu auf, bis Ende Mai Rezepte einzureichen, in denen ausschließlich lang haltbare Lebensmittel verkocht werden dürfen. Aus den leckersten und kreativsten wird anschließend ein Kochbuch für die dunklen Stunden entstehen. Es soll ein Problem lösen, auf das man erstmal kommen muss: Angenommen, der Strom fällt längerfristig und flächendeckend aus, die öffentliche Ordnung bricht zusammen - was soll man dann kochen?

Als Beispiel eines solchen Rezepts bereiteten Vertreter des BBK bei der Pressekonferenz zum Projekt Mandelcouscous. Man nehme dafür Softaprikosen und Maronen aus Dosen, schneide sie in Stücke, gieße eingelegte Paprika und Mais ab und zerkleinere sie ebenfalls, werfe sodann den Campingkocher an, röste Mandelkerne, hacke Zwiebeln und schwitze sie in der Pfanne an, um schließlich alles zu dem Couscous zu geben, den man mit Gemüsebrühpulver und Wasser aus der Flasche gekocht hat - mangels elektrischer Pumpleistung kommt ja keins mehr aus dem Hahn. Jetzt noch Margarine untermischen, mit Koriander bestreuen, vielleicht eine Kerze anzünden, falls es schon dunkel geworden sein sollte - guten Appetit! Das BBK empfiehlt zum Nachtisch Pfannkuchen mit Apfelmus. Aus dem Glas, versteht sich.

Die Bevölkerungsschützer sollen ihre Kompetenz auf Twitter zeigen

Elektrische Haushaltsgeräte dürfen dabei keine Rolle spielen. Erlaubt sind nur Lebensmittel und Hilfsmittel, die laut einer Empfehlung der Bundesregierung ohnehin jeder ständig als Notvorrat für mindestens zehn Tage zu Hause haben sollte. Die Empfehlung stammt aus den Fünfzigerjahren und gilt immer noch, nur ist sie leider inzwischen ziemlich in Vergessenheit geraten. Die Menschen auf diesen Notvorrat hinzuweisen, ist Sinn der Aktion.

Eine Forschergruppe der Freien Universität Berlin, die sich Gedanken machen sollte, wie das am besten gelingen könnte, kam zu dem Schluss, es sei ratsam, "positive und alltagsnahe Aspekte stärker in den Vordergrund zu rücken, statt die gefahrenzentrierte Darstellung zu fokussieren". So das BBK in einer Publikation vom vergangenem Dezember. Darin wird das Projekt des "Notfallkochbuchs" skizziert, für das "die Bevölkerungsschützer aus Bonn ihre geballte Kompetenz im Bereich der neuen Medien zum Einsatz bringen" wollen, auf Twitter und Youtube.

Sinn und Zweck der Aktion ist letztendlich, dass möglichst viele Menschen einen Blick in den "Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen" werfen, den das BBK in ähnlicher Form seit seiner Gründung herausgibt. Er enthält eine Checkliste, was Menschen für Katastrophenfälle zu Hause vorrätig haben sollten. Das sind unter anderem 20 Liter Getränke pro Person, vier Kilogramm Gemüse und Hülsenfrüchte im Glas oder in Dosen, aber auch etwa eine Hausapotheke, ein Grundstock an Hygieneartikeln samt Campingklo, Utensilien zur Brandbekämpfung, Kerzen, Taschenlampe und Brennstoffe, außerdem ein Radio mit Kurbelantrieb, behelfsmäßige Schutzkleidung, Material zur Wundversorgung, Schutzmaske, Gummistiefel, derbes Schuhwerk.

Menschen, die mit "derbem Schuhwerk" und "behelfsmäßiger Schutzkleidung" angetan zu Hause "Brennstoffe" entzünden - das klingt dann plötzlich nicht mehr ganz so locker und cool nach Mandelcoucous.

Rechte Blogs raunen, nun gingen bald die Lichter aus

Das "Notfallkochbuch" zeigt auch, wie angreifbar sich Behörden in den sozialen Medien machen können. Rechte Blogs zogen die Ankündigung als launigen Beweis heran, dass nun angeblich bald die Lichter ausgingen, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden und der Strom hauptsächlich aus regenerativen Quellen kommt; die Bundesregierung sorge offenbar schon mal vor. Unsinn, sagt die Bundesnetzagentur. "Die Stromversorgungsqualität in Deutschland ist seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau." Es sei durch den unregelmäßig eingespeisten Strom aus Sonne und Wind komplexer geworden, Systemstabilität zu gewährleisten. Die Zahl der Minuten, die jeder Verbraucher durchschnittlich pro Jahr ohne Strom verbringt, sei zuletzt aber sogar leicht gesunken. "Unsinn", sagt auch BBK-Präsident Christoph Unger am Telefon. Schon die ersten Notfallübungen der 2004 neu gegründeten Behörde hätten Szenarien von Stromausfällen erprobt.

Davor gab es sie vier Jahre lang gar nicht. Im Jahr 2000 wurde sie geschlossen, man wähnte sich von Freunden umzingelt. Dann kam der 11. September 2001. Unger, ein ehemaliger Offizier der 1. Panzerdivision und Richter, erzählt von der heutigen Bedrohung für die Stromversorgung durch Cyberattacken, von Unwettern infolge des Klimawandels, die Leitungen beschädigen könnten, von Dürreperioden, in denen bei Niedrigwasser Kraftwerke nicht mehr durch Flusswasser gekühlt werden können und herunterfahren; "beim Thema Verteidigungsfall" habe seine Behörde noch einiges nachzuholen und nachzubessern. Sorgen macht ihm, dass die Abhängigkeit vom Strom immer weiter wachse - wenn der einmal länger ausfalle, dann gehe so gut wie gar nichts mehr. Dann herrschten, wenn der Blackout ein größeres Gebiet beträfe, "nach zwei Tagen chaotische Verhältnisse".

Als vor einem Jahr in Berlin-Köpenick bei Bauarbeiten Stromleitungen durchtrennt wurden und rund 30 000 Haushalte ohne Strom waren, wurden Busse der städtischen Verkehrsbetriebe dorthin gefahren, um die Kommunikation über den Busfunk aufrechtzuerhalten. Erst ging den Handys allmählich der Saft aus, dann wurden auch die Heizungen kalt. Die Polizei richtete mobile Wachen ein, um Plünderungen im Dunkeln und bei abgeschalteten Alarmanlagen zu verhindern. Für viele betroffene Bewohner war das vermutlich ein bisschen viel "Digital Detox" auf einmal. Der Stromausfall in Köpenick dauerte eineinhalb Tage, er ereignete sich am 19. Februar. Am Jahrestag des Blackouts wurde das "Notfallkochbuch"-Projekt nun vorgestellt.

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