Notfälle - Ratingen:Explosion in Ratingen: Verdächtiger war Behörden bekannt

Notfälle - Ratingen: Herbert Reus (CDU, r), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, spricht am Tatort zu den Journalisten. Foto: -/dpa
Herbert Reus (CDU, r), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, spricht am Tatort zu den Journalisten. Foto: -/dpa (Foto: dpa)

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Ratingen (dpa) - Der Verdächtige, der die Explosion in einem Ratinger Hochhaus verursacht haben soll, war für Polizei und Justiz kein Unbekannter. Wegen eines nicht gezahlten Geldbetrags habe ein Vollstreckungshaftbefehl gegen ihn vorgelegen, sagte Laura Neumann, Sprecherin der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Er habe auch Voreintragungen, "aber nichts Einschlägiges, nichts Vergleichbares", sagte sie.

Der 57-jährige Ratinger soll noch an diesem Freitag einem Haftrichter vorgeführt werden. Ob der Haftbefehl auf versuchten Mord oder versuchten Totschlag lauten wird, sei noch nicht abschließend entschieden. Weitere Einzelheiten zum Stand der Ermittlungen wollten Polizei und Staatsanwaltschaft bei einer für Freitagnachmittag angekündigten Pressekonferenz mitteilen.

Fünf Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst, die durch die Explosion schwer verletzt wurden, befanden sich am Freitag nach Angaben der Feuerwehr Ratingen im künstlichen Koma. Sie seien in Spezialkliniken für Brandverletzte nach Köln, Duisburg, Dortmund, Düsseldorf und Bochum gebracht worden. "Die Kollegen erlitten Verbrennungen von bis zu 40 Prozent der Körperoberfläche", teilte die Feuerwehr mit.

Die Feuerwehr Ratingen sei am Donnerstag um 10.37 Uhr zu einem Routineeinsatz gerufen worden: Sie sollte eine Wohnungstür öffnen. Gegen 11.15 Uhr sei es dann zu der Explosion gekommen, bei der insgesamt sieben Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst sowie zwei Polizisten schwerer verletzt wurden. Daneben habe es noch leichtere Verletzte gegeben, darunter ein Mitarbeiter einer Wohnungsbaugesellschaft.

Nach Angaben der Polizei von Donnerstagabend waren eine 25-jährige Polizistin und ein 29-jähriger Polizist lebensgefährlich verletzt worden. "22 weitere trugen leichte Verletzungen davon", teilte die Polizei mit. Die Zahl der Verletzten könne aber noch variieren. Zudem war zunächst unklar, ob alle durch die Explosion verletzt wurden.

Ob der Tatverdächtige inzwischen vernommen werden konnte und Angaben zu seinem Motiv gemacht hat, wollten die Behörden zunächst nicht mitteilen. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund der Tat gibt es bislang nicht: Man stehe mit den örtlichen Behörden in Kontakt, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Derzeit lägen aber keine Anhaltspunkte für eine Übernahme der Ermittlungen vor.

Ein Polizeisprecher sagte, die Wohnung, in der sich die Explosion ereignete, habe erst am Freitag von Tatort-Spezialisten betreten werden können. "Da gab es ja Löscharbeiten und viel Löschwasser, das erst beseitigt werden musste." Inzwischen habe die Spurensicherung vor Ort begonnen.

Die Ermittler untersuchen nun, ob die Einsatzkräfte in einen Hinterhalt gelockt wurden. Zu dem Einsatz war es nach Behördenangaben gekommen, weil es Sorgen um die Bewohner in der Wohnung gab, in der neben dem 57-jährigen Deutschen auch dessen Mutter lebte. Der Briefkasten quoll über und niemand öffnete.

Als Polizei und Feuerwehr am Donnerstag vor der Wohnungstür im 10. Stock standen, sei diese von dem 57-Jährigen plötzlich aufgerissen worden, hatte Polizeisprecher Raimund Dockter berichtet. "Es kam sofort zu einer Explosion, unmittelbar, also ein Feuerball kam auf die Kolleginnen und Kollegen der Feuerwehr und Polizei zu."

Nach der Explosion soll der Verdächtige einen Brand gelegt haben. Er war schließlich von Spezialkräften überwältigt und festgenommen worden, als diese die Wohnung stürmten.

In der Wohnung waren sie auf die Leiche einer Frau gestoßen. Dass es sich dabei um die der Mutter des 57-Jährigen handelt, gilt als wahrscheinlich, muss aber noch abschließend geklärt werden. Die Frau sei schon länger tot gewesen, hieß es. Die Einsatzkräfte hätten einen deutlichen Verwesungsgeruch wahrgenommen.

Dutzende Rettungswagen, Notärzte, Feuerwehrwehrautos und Polizeifahrzeuge waren zum Einsatzort geeilt. Auf den Balkonen der gegenüberliegenden Wohnungen waren Scharfschützen in Stellung gegangen. Eingehüllt in eine Rettungsdecke und mit einer Atemmaske wurde der Verdächtige schließlich verletzt zu einem Krankenwagen gebracht und festgenommen.

Unter dem Eindruck der Explosion forderte ein Verbandssprecher der Feuerwehren ein konsequenteres Vorgehen der Justiz gegen Gewalttäter. "Unsere Einsatzkräfte sind immer dann irritiert, wenn Ermittlungsverfahren gegen Gewalttäter sehr früh und lapidar einfach eingestellt werden. Sie wünschen sich ein starkes Ausnutzen der vorhandenen strafrechtlichen Möglichkeiten", sagte Christoph Schöneborn, Geschäftsführer des Verbandes der Feuerwehren in NRW, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ, Samstagsausgabe).

Die Zahl der Angriffe auf Feuerwehrleute sei zwar in NRW relativ gering, so Schöneborn und verwies auf die Kriminalitätsstatistik für 2022. Demnach seien 19 Fälle von Gewaltkriminalität mit einem Bezug zu den Feuerwehren gezählt worden. "Der Fall in Ratingen zeigt aber, dass es jede und jeden von uns treffen kann", sagte Schöneborn.

© dpa-infocom, dpa:230511-99-654201/8

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