Süddeutsche Zeitung

Norwegen:Walmanipulation

Am norwegischen Nordkap sorgt ein Belugawal mit seiner Zutraulichkeit für Staunen. Weil er eine Kamerahalterung trägt, fragt sich das Dorf jetzt: Woher kommt der Wal? Was und für wen soll er filmen? Und stecken gar die Russen dahinter?

Von Kai Strittmatter

Vor ein paar Tagen wurde er als "Spionagewal" bekannt: ein weißer Belugawal, der in den arktischen Gewässern in der Nähe des norwegischen Nordkaps tagelang ganz offensichtlich die Nähe und die Hilfe von Fischern gesucht hatte. Die Norweger befreiten den Wal schließlich von Gurtzeug, das ihm - vermutlich in Russland - von Menschenhand angelegt worden war. Anstatt in die Weiten des Polarmeers abzutauchen, sucht der Wal nun weiter die Nähe von Menschen - und wurde in den letzten Tagen zu einer regelrechten Attraktion im kleinen nordnorwegischen Fischerweiler Tufjord.

Die Bewohner von Tufjord berichteten dem staatlichen Rundfunksender NRK, dass der Wal nun regelmäßig in den Hafen schwimme, um dort am Pier mit den Menschen zu interagieren. Der Wal ist so zahm, dass sie ihm die Schnauze streicheln können und er für sie Plastikringe oder tote Fische vom Meeresboden holt, die sie hineinwerfen. In einem von NRK veröffentlichten Videoclip ist zu sehen, wie der Beluga sich für seine Zuschauer im Kreis dreht. "Es scheint, als sei er gewohnt, Aufträge auszuführen", sagte Dorfbewohnerin Linn Saether dem Sender NRK. "Offensichtlich ist er dazu ausgebildet, Dinge vom Meeresboden aufzuheben und seinen Ausbildern zu bringen". Der Wal ist zu einer solchen Attraktion geworden, dass Schulklassen ihren Unterricht unterbrechen, um ihn zu bestaunen. Das sei zwar spannend für ihr Dorf, sagte Saether NRK. "Ich finde es aber auch sehr traurig, dass er hier ist. Ich frage mich, was er für eine Vorgeschichte hat und wie lange er in Gefangenschaft war."

Wo bloß kommt er her, der zutrauliche Beluga? Die Frage stellen sich ziemlich viele. Mitglieder der Fischerfamilie Hesten, mit ihrem Boot in der Nähe der Insel Ingøya unterwegs, waren die ersten, die mit ihm in Kontakt gekommen waren. "Wir wollten gerade Netze auswerfen, als wir einen Wal zwischen den Booten sahen", erzählte Fischer Joar Hesten der norwegischen Zeitung Verdens Gang. Hesten war mit seinem Bruder und seinem Vater unterwegs. Als der Wal näher kam, sahen sie, dass ihm eine Art Geschirr um den Vorderleib gelegt war. "Er versuchte, sich an unserem Boot zu reiben, um die Riemen abzubekommen. Es war schnell klar, dass er zahm ist und dass er Hilfe braucht." Die Fischer kontaktierten die Fischereidirektion. Bei einer gemeinsamen Ausfahrt versuchten sie, den Wal von dem Gurtzeug zu befreien - was erst gelang, als Fischer Joar Hesten in einen Neoprenanzug schlüpfte und zum Wal ins Wasser sprang.

Spionage? Ein Vertreter der russischen Marine macht sich lustig über die Schlagzeilen

An den Gurten fanden die Helfer dann die Halterung einer GoPro-Kamera, nicht aber die Kamera selbst. Außerdem berichtete hernach der Meeresbiologe Jørgen Wiig von der Fischereidirektion, das Gurtzeug sei beschriftet gewesen mit der Inschrift "Ausrüstung St. Petersburg", weswegen die Norweger schnell auf eine russische Herkunft des Wals tippten. Audun Rikardsen, ein Meeresbiologe an der Arktischen Universität Tromsø, sagte Verdens Gang, er habe daraufhin russische Forscherkollegen kontaktiert: "Sie haben mir bestätigt, dass sie so etwas nicht tun", sagte Rikardsen. "Ihr Tipp war, dass das wahrscheinlich von der russischen Marine in Murmansk kommt." Prompt sprachen Medien weltweit vom "russischen Spionagewal".

In einem Interview mit dem russischen Sender Govorit Moskva machte sich Viktor Baranets, ein Vertreter der russischen Marine, lustig über die Schlagzeilen: "Wenn wir dieses Tier zum Spionieren eingesetzt hätten, glauben Sie wirklich, wir hätten noch eine Telefonnummer drangemacht mit einer Nachricht: 'Bitte wählen Sie diese Nummer'?" Dann fügte er an: "Wir haben aber nie verheimlicht, dass wir im Militär Delfine einsetzen für Kampfaufgaben. In Sewastopol haben wir ein Zentrum für militärische Delfine, die für alle möglichen Aufgaben trainiert werden: Sie können den Meeresboden absuchen, einen Abschnitt bewachen, fremde Taucher töten oder Minen an dem Rumpf fremder Schiffe anbringen."

Details über dieses Zentrum wurden erstmals 2017 bekannt, als TV Zvezda, ein vom russischen Verteidigungsministerium kontrollierter Sender, ausführlich über die Delfine und Robben berichtete, die dort schon seit Sowjetzeiten für militärische Aufgaben ausgebildet werden. Erstmals wurde in dem Bericht allerdings auch die Arbeit mit Belugawalen in der Arktis beschrieben. Dem Sender zufolge untersuchte die russische Marine, ob man auch Belugawale dazu ausbilden könnte, den Zugang zu Marinebasen zu bewachen, "Tiefseetaucher zu unterstützen und, wenn nötig, jeden Fremden zu töten, der in ihr Territorium eindringt". Die Siberian Times nannte diese "neue Rolle" solcher Experimente in der Arktis "eine Enthüllung". In dem TV-Zvezda-Bericht hieß es allerdings auch, die Belugas seien "sehr sensible Tiere" und längst nicht so einfach zu trainieren wie die klugen und folgsamen Robben.

Auch die US-Marine trainiert seit Jahrzehnten Meerestiere für den militärischen Einsatz, Große Tümmler und Kalifornische Seelöwen, die zum Beispiel Unterwasserminen aufspüren können. Dass auch die USA ihre Tiere etwa als "Killerdelfine" einsetzen wie zum Beispiel im Hollywood-Thriller "Der Tag des Delfins" zu sehen, bestreitet die US-Marine. Auch um solche Gerüchte zu entkräften, können Interessierte die Trainingsbasis in San Diego nach Anmeldung sogar besuchen.

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SZ vom 02.05.2019/aner/cat
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