Nordrhein-Westfalen:Verstärkte Kontrollen schaffen neue Probleme

Nordrhein-Westfalen: Jetzt greift die Polizei durch in Düsseldorf-Oberbilk - zu hart, klagen die Anwohner.

Jetzt greift die Polizei durch in Düsseldorf-Oberbilk - zu hart, klagen die Anwohner.

(Foto: Patrick Stollarz/AFP)
  • In Nordrhein-Westfalen zeigt die Polizei seit den Übergriffen von Silvester in bestimmten Vierteln deutlich mehr Präsenz.
  • Für die Koordinatorin des Kölner Antidiskriminierungsbüros hat diese Maßnahme auch eine Schattenseite: So werde die Stimmung gegen Migranten und Flüchtlinge angeheizt.
  • Dem NRW-Innenminister seien die Probleme in Köln bekannt gewesen, er habe jedoch nichts unternommen.

Von Kristiana Ludwig, Düsseldorf

Yacine E. ist fort, sein Blut aber bedeckt noch die Pflastersteine; Yacines Bruder fotografiert die rote Pfütze. Die Leute sind aus den Cafés gekommen, zwischen Friseur und Supermarkt stehen sie am Sonntagabend auf der Linienstraße in Düsseldorf-Oberbilk und starren die drei Polizisten an. Einer ihrer Wagen hat gerade Yacine E. mitgenommen. Jetzt blicken die Beamten in die Gesichter einer Gegend, die viele nur das "Maghreb-Viertel" nennen. Sie sagen einen Satz, an den sich die Menschen hier noch nach drei Tagen erinnern werden: "In anderen Ländern geht die Polizei viel schlimmer vor." Als sei das eine Antwort.

Vier Beamte, erzählen die Leute, haben Yacine E. zu Boden gerungen, ihm ihre Finger in die Augen gedrückt, das Knie in die Seite gestoßen. Nach einer Nacht in der Zelle kommt er um 7.24 Uhr ins Krankenhaus, dort diagnostiziert die Ärztin Prellungen an den Rippen und der Schulter und ein blaues Auge.

Yacine E. sagt, er sei in eine der Kontrollen geraten, mit denen die Polizei hier neuerdings Hehler und Drogendealer überführen will. Ein Versehen, aus seiner Sicht. Ein Polizist habe ihn erst gepackt, dann gehen lassen und später versucht, ins Auto zu zerren. "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", heißt nun der Tatvorwurf. Yacine E. habe außerdem gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen, sagt ein Polizeisprecher. E. dagegen bestreitet, dass er Drogen in der Tasche hatte. Man ermittele nun auch gegen die Beamten, heißt es bei der Polizei, wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt.

Die neuen Ängste heißen "Diskriminierung" und "Polizeigewalt"

Eigentlich hatten sich die Anwohner von Oberbilk seit Monaten mehr Polizei in den Straßen gewünscht. Immer mehr junge nordafrikanische Männer hatten sich hier getroffen, die Geschäftsleute fürchteten sich vor den rabiaten Straßenjungen, die wenig mit ihrem Düsseldorfer Leben zu tun hatten - außer der Muttersprache. Auch Yacine E. ging schon als Kind die Linienstraße entlang zur Schule, seine beiden Brüder arbeiten hier in Lokalen. Seit Sonntagabend gibt es in Oberbilk neue Ängste. Sie heißen "Diskriminierung" und "Polizeigewalt".

Seit in Köln in der Silvesternacht Gruppen von offenbar mehrheitlich nordafrikanischen Männern Frauen sexuell genötigt und bestohlen haben, setzen die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden auf starke Präsenz. Polizeiaktionen richten sich gegen ganze Viertel, Bahnhöfe, Flüchtlingsunterkünfte und die Kölner Innenstadt.

Verhaltensweisen für Karneval

Ob die Benimm-Broschüren, die Bonns Prinzenführer Christoph Arnold verteilt, dem besseren Miteinander dienen, bleibt strittig.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

"Jeden Abend, jede Nacht", sagt der neue Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies, würden etwa 200 Personen kontrolliert. Für die Koordinatorin des Kölner Antidiskriminierungsbüros, Ilka Simon, hat dies auch eine Schattenseite. Noch bevor nur ein Täter der Silvesternacht vor Gericht steht, werde die Stimmung angeheizt, sagt sie: "Es herrscht sehr viel mehr Misstrauen gegenüber Menschen, die nordafrikanisch aussehen."

Kriminalität unter Migranten ohne Bleibeperspektive ist schon länger bekannt

Auch die Sprecherin des Kölner Caritasverbands sagt, Flüchtlinge berichteten, dass sie seit den Silvestervorfällen zunehmend Ablehnung spürten. Menschen wechselten die Straßenseite, wenn sie ihnen begegneten. Dabei deutet bei den bisherigen Ermittlungen wenig darauf hin, dass es sich bei den Tätern der Silvesternacht um anerkannte Flüchtlinge oder Migranten der zweiten Generation handelt. Ein Großteil der Beschuldigten stammt aus Marokko und Algerien. Sie haben vor Kurzem Asyl beantragt oder halten sich illegal in Deutschland auf, weil ihre Bleibeperspektive schlecht ist.

Bereits im Juli 2015 hatten die Landesunterkünfte dem Innenministerium über diese Männer berichtet. Mit 7,5 Prozent waren sie überdurchschnittlich oft an Straftaten beteiligt, sie fielen zudem durch falsche Personalien auf. Damals empfahlen die Bezirke eine bessere Registrierung der Männer. Innenminister Ralf Jäger (SPD) unternahm seither jedoch nichts, "aufgrund der Zugangsentwicklung und der damit verbundenen Belastungssituation", wie es heißt. In zwei Wochen will er dem Innenausschuss nun einen neuen Bericht vorlegen.

Als würden Flüchtlinge "Frauen anspringen"

Der Sozialpädagoge Samy Charchira, der in Düsseldorf-Oberbilk mit den jungen Nordafrikanern arbeitet, sagt, es fehle an gezielten Maßnahmen, die Straffällige erreichen, die von Stadt zu Stadt reisen. Einige von ihnen seien mittellos und könnten allein durch Nothilfe von der Kriminalität abgebracht werden.

Die Geschäftsführerin der Kölner Arbeiterwohlfahrt, Ulrike Volland-Dörmann, die im Auftrag des Innenministeriums seit 2014 straffällige nordafrikanische Jugendliche betreut, spricht sich für legale Bleibeperspektiven aus. "Die Menschen, bei denen es jetzt Probleme gibt, würden von einem Zuwanderungsgesetz erfasst werden", sagt sie. Erst die Chance auf ein Leben in Deutschland motiviere viele zu einem gradlinigen Weg.

Der NRW-Innenminister jedenfalls hat erst einmal die Bezirksregierungen aufgefordert, alle Flüchtlinge mit "Abläufen an den Karnevalstagen vertraut zu machen". Viele Karnevalsvereine druckten mehrsprachige Flyer, auf denen sie den respektvollen Umgang mit Frauen anmahnen. Mönchengladbach bekam daraufhin einen Brief vom kroatischen Botschafter. Die kroatische Übersetzung der Broschüre sei "unangemessen", schrieb er, Kroaten seien längst "gut integriert". Auch Sozialpädagoge Charchira findet es nicht gut, auf diese Weise "Basics des Miteinanders" erklären zu wollen. Dies schüre Vorurteile, Flüchtlinge würden "Frauen anspringen", sagt er.

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